Danilo Rigamonti

 

365 ZEUGNISSE DER GELEBTEN GASTFREUNDSCHAFT

       Mitarbeiter

Italien

Danilo Rigamonti

 

“Das Zeugnis der Hospitalität beschwört suggestive und fantasievolle Atmosphären herauf: man denke nur an die Menschen, die wir in unseren Einrichtungen aufnehmen, an die Menschen mit denen wir zu tun haben, an die Hospitalität, die wir denjenigen schenken, die uns am nächsten stehen und uns am Herzen liegen.

Eine gleiche Atmosphäre entsteht durch die Erinnerung an Gelegenheiten, da wir von jemandem aufgenommen wurden, vielleicht Unbekannte oder Fremde; wie wir aufgenommen wurden an neuen Orten, von neuen Menschen und welche Hospitalität uns gegenüber geübt wurde?

Darüber hätte ich viel zu sagen, doch nicht hier.

Stattdessen möchte ich mich mit dem Thema der Hospitalität im Rahmen der Klinikarbeit des Psychiaters auseinandersetzen,  in einer besonderen Einrichtung,  dem „Institut für Psychiatrische Rehabilitation“, - so lautet jedenfalls der Name auf dem Wegweiser am Anfang der nach Johannes von Gott benannten Allee in San Colombano al Lambro,  - fast ein Manifest oder ein Versprechen für den sich nähernden „Fremden“.

Ich muss an Don Giussani denken, an seine Bemerkung, es bestehe eine Art Pathologie der Ungastlichkeit, die in den heutigen, modernen Beziehungen vorrangig zu sein scheint; ebenso scheint Ausgangspunkt und Zweck der Hospitalität vor allem die Aufnahme unser selbst zu sein. Daher die Aufforderung „die erste Mission gilt uns selbst“, als wolle er hervorheben, dass die Bemühung sich selbst an- und aufzunehmen, mit den eigenen Schwächen und Unsicherheiten, grundlegende Voraussetzung zur  Aufnahme des Anderen sei: lehnen wir uns selbst ab, vermögen wir auch niemand anderes wirklich in unserem Leben und im Rahmen unserer Beziehungen an- und aufzunehmen.

So verschiebt sich die Frage: Wie können wir einen Kranken aufnehmen, wenn wir nicht fähig sind, unsere Schwierigkeiten und Schwächen zu erkennen und zu akzeptieren?

Die Verrückten sind verrückt, werden Sie mir sagen, mit einer Art beruhigender Tautologie, oder sie sind chronisch, und dann kann man eh’ nichts mehr machen....

Gerade darin sehe ich die Chronizität, die durch die Haltung des Pflegenden selbst verursacht wird: die Chronizität entsteht in dem Moment, in dem sie von demjenigen, der eingreifen sollte, um ihr vorzubeugen, gedacht wird; dann also, um es im Fachjargon zu formulieren, wenn im Geist des Pflegers der Kranke als chronisch erachtet und nicht mehr jeden Tag neu an- und aufgenommen wird; dann wird er automatisch seiner fortschreitenden Rückentwicklung überlassen: man investiert nicht mehr in ihn, man erlaubt es ihm nicht mehr, seine Zeit zu leben (ich zitiere hier Frater Gennaro), man aberkennt ihm das Recht auf das eigene Wort, das Bewusstsein des Pflegers verbannt seine Existenz. Das einzig Wichtige ist, dass er uns nicht stört.

So nimmt, wie Galimberti in einer an junge Menschen gerichteten Schrift sagte, in der er Nietzsches Gedanken aufgreift, der „unheimliche Gast“ Gestalt an. Hier haben wir das Aufkommen des Nihilismus, dem unheimlichsten aller Gäste, der ungesehen im Haus sein Unwesen treibt (das Wesentliche ist den Augen nicht sichtbar würde Saint Exupery sagen): „Grundlegend ist, diesen Gast wahrzunehmen und ihn genau im Blick zu behalten“ , denn Nihilismus bedeutet, „es fehlt der Zweck, die Antwort auf das Warum“ und es bedeutet, „die höheren Werte verlieren jede Bedeutung“.

Diese Haltung können wir, meiner Ansicht nach, nur bekämpfen, indem ein Raum für den Kranken geschaffen wird, ein freier, konkreter, physischer, struktureller Raum, vor allem jedoch ein geistig freier Raum und dies kann gerade durch die Umsetzung von Hospitalität geschehen.

Die „geistige“ Hospitalität bezieht sich auf die Fähigkeit, im eigenen Geist einen Raum zu schaffen, um all die Merkmale des anderen, des Kranken aufnehmen zu können, seien diese „positiv“ oder „negativ“ (wobei diese Urteilskategorien im klinischen Bereich nicht anwendbar sind), dabei eine neutrale und vorurteilslose Haltung einnehmend: vielleicht könnte dies, und es ist eine Frage, die ich mir stelle, den anderen helfen, ihrerseits in bestmöglicher Weise die eigenen Emotionen und Gefühle an- und aufzunehmen und sich anzueignen, mögen sie noch so schmerzhaft, verworren oder zerstörerischen sein.

In diesem Vorgehen erkenne ich das, was ich als ethische Haltung in der psychiatrischen Behandlung und im Verhalten des psychiatrischen Pflegers definieren möchte: die Übernahme von Verantwortung seitens desjenigen, der die Vitalität und nicht die Chronizität des anderen wahrnimmt, ihm die Möglichkeit eines Raumes bietend, um einen Dialog und eine Geschichte zu gestalten: schwierig, mühsam, aber sicherlich therapeutisch.

Erlauben Sie mir, abschließend einen Satz von Howard Zinn zu zitieren, einem großen amerikanischen Historiker, der die Geschichte der USA erzählt hat, indem er als erstes die von der offiziellen Geschichte Ausgegrenzten ansprach, die Armen, die farbigen Sklaven, die Eingeborenenstämme Amerikas: „Man braucht keine großen, heroischen Taten zu verwirklichen, um sich am Veränderungsprozess zu beteiligen. Kleine Gesten, die von Millionen Menschen durchgeführt werden, können die Welt verändern....“. 

 

Torna alla pagina precedenteTorna alla home page