Dem Leben dienen, das Leben fördern...
Gedanken über das Miteinander von Brüdern und Mitarbeitern
HOSPITALORDEN
VOM HEILIGEN JOHANNES VON GOTT
GENERALKURIE
DEM LEBEN DIENEN,
DAS LEBEN FÖRDERN...
GEDANKEN
ÜBER DAS MITEINANDER
VON
BRÜDERN UND MITARBEITERN
¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦
Ständige Kommission für die
Animation
Rom, 1991
INHALTSVERZEICHNIS
Einleitung 5
Erstes Kapitel
Die Beziehung
zwischen Brüdern und Mitarbeitern
aus der Sicht der
Berufung des Menschen zur Gemeinschaft 15
Eingrenzung des Themas 15
Auf einem gemeinsamen "Tun"
aufbauende Beziehungen 18
Auf einem gemeinsamen "Sein"
aufbauende Beziehungen 20
Die Rolle der Motive im Zusammenspiel
der Beziehungsdynamik 24
Praktische Schwierigkeiten 25
Zweites Kapitel
Die gemeinsame Verpflichtung
von Ordensleuten und Laien zur
Reich-Gottes-Arbeit
in der Gemeinschaft der Kirche 31
Selbstverständnis und Sendungsauftrag der
Laien
in der Kirche 32
Die Würde des Laien 32
Die Teilhabe der Laien am Leben der Kirche
-
Der "Communio"-Gedanke 33
Die Mitverantwortlichkeit der Laienchristen
für die Kirche in ihrer Sendung 34
Verschiedenheit und Komplementarität
der Berufungen 36
Standort und Funktion der Kommunität in den
Werken 38
Wer sind wir 39
Die Gemeinschaft - eine grundlegende Dimension
im Leben des Barmherzigen Bruders 41
Apostolische Sinndeutung 43
Gemeinschaftsstiftende Gemeinschaft 43
Daseinssinn der Kommunität in den Werken 44
Drittes Kapitel
Die Beteiligung der
Mitarbeiter an Charisma, Spiritualität
und Sendung des
Ordens der Barmherzigen Brüder 51
Geschichtlicher Abriß 51
Beteiligung der Mitarbeiter
am Charisma des Ordens 54
Das Ordensleben als Charisma 56
Zum theologischen Verständnis von Charisma,
Sendung und Spiritualität 60
Schluß
Theoretische Wegweisungen 69
Praktische Wegweisungen 70
EINLEITUNG
1 Seit seinem Entstehen hat der Hospitalorden
vom hl. Johannes von Gott bei der
Erfüllung seines kirchlichen Auftrags die Hilfe von weltlichen Mitarbeitern in
Anspruch genommen. Die Mitarbeit freigebiger und sozial engagierter Menschen
war eine Konstante in der Geschichte des Ordens. Ausgehend vom Außerordentlichen
Generalkapitel von 1979 hat in unseren Tagen auf dieser Linie ordensweit eine
tiefgreifende Bewußtseinsbildung eingesetzt mit dem Ziel, die Beziehung
zwischen Brüdern und Mitarbeitern zum Wohl der ihnen gemeinsam anvertrauten
Menschen weiter auszubauen und nach allen Richtungen zu fördern.
Das Generalkapitel 1988 war in diesem
Zusammenhang ein "historisches" Ereignis, da an ihm zum erstenmal in
der Geschichte des Ordens mehrere weltliche Vertreter aus verschiedenen
Provinzen teilnahmen. Bei dem Generalkapitel wurde die Feststellung gemacht,
daß zum Thema Laien keine
endgültigen Aussagen gemacht werden konnten, weil in diesem Bereich in den
einzelnen Provinzen verschiedene Voraussetzungen herrschen. Deswegen beschloß
man, vorerst zu diesem Thema mit einer allgemeinen Rahmenerklärung Stellung zu
nehmen, um dann schrittweise ein einheitliches Verständnis herbeizuführen. In
diesem Sinne wurde die Generalleitung beauftragt, "die Beteiligung der
Mitarbeiter am Ordensgeschehen gedanklich und praktisch genauer zu bestimmen"[1].
2 Einige Monate nach Abschluß des
Generalkapitels wurde das Apostolische
Schreiben Christifideles laici publiziert, in dem die Erörterungen der
Bischofssynode 1987 aufgegriffen und vertieft worden sind. In dem Schreiben
wird insbesondere auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Sendung der Laien in
der Kirche anzuerkennen und zu fördern, sowie wegweisend die verschiedenen
Möglichkeiten der konkreten Beteiligung der Laien an der Evangelisierung aufgezeigt,
zu der sie kraft ihrer Taufweihe berufen sind.
Warum dieses Dokument?
3 Die Notwendigkeit der Erstellung eines
Dokumentes zum Thema Laien erklärt sich
in der Hauptsache zweifelsohne aus der apostolischen Zielsetzung unserer
Einrichtungen - Zielsetzung, die von den Brüdern allein in den heutigen Verhältnissen
nicht erreicht werden kann. Unsere Gemeinschaft mit der Kirche muß dadurch
Ausdruck finden, daß wir mit Freude der Aufforderung nachkommen, die Laien in
die Reich-Gottes-Arbeit im Gesundheits-und Sozialwesen miteinzubinden, wobei
uns stets bewußt sein muß, daß der kranke und hilfsbedürftige Mensch ein Recht
darauf hat, im Licht des Evangeliums auch geistlich betreut zu werden.
4 Ein weiterer wichtiger Grund für dieses
Dokument ist in den tiefgreifenden
Veränderungen zu sehen, die im Gesundheits-und Sozialbereich stattgefunden
haben. Auch wenn es allgemein bekannt sein dürfte, möchten wir hier trotzdem
noch einmal auf die Tatsache hinweisen, daß die Einrichtungen des Ordens bis
vor wenigen Jahrzehnten organisatorisch und verwaltungsmäßig so aufgebaut
waren, daß die Brüder beinahe alle Aufgaben allein erfüllen konnten. Der Anteil
weltlicher Mitarbeiter war sowohl im Pflegebereich als auch in der Leitung
minimal. Heute ist ihre Anzahl in fast allen Einrichtungen um ein vielfaches
angestiegen, während die der Brüder empfindlich zurückgegangen ist.
Diese Tatsachen, vor allem aber der tiefere
Sinn der Weihe an Gott im Dienst an den Kranken und Hilfsbedürftigen,
verlangen, daß die Brüder ein neues Rollenverständnis hinsichtlich ihres
Einsatzes in unseren Werken entwickeln.
Ziele dieses Dokumentes
5 Mit dem vorliegenden Dokument soll in erster
Linie dem Auftrag entsprochen werden,
mit dem die Generalleitung vom letzten Generalkapitel betraut worden ist, d.h.
die Beteiligung der Mitarbeiter am Ordensgeschehen soll gedanklich und
praktisch genauer bestimmt werden.
Damit hängen jedoch eine Reihe von Aufgaben
zusammen, die wie folgt zusammengefaßt werden können:
- aufbauend auf der
Lehre der Kirche sollen die verschiedenen Ebenen erhellt werden, auf denen
die Beziehung zwischen Brüdern und Mitarbeitern gefestigt werden kann bzw.
gefestigt werden soll;
- die Begriffe und
Inhalte des angestrebten Miteinanders von Brüdern und Mitarbeitern sowie die
verschiedenen Ebenen der Beteiligung sollen genau geklärt werden, damit man
ordensweit zu einer gemeinsamen Sprache gelangt;
- die
Verständnisschwierigkeiten, die, vielfach unbewußt, unter den verschiedenen
Gruppierungen vorherrschen, sollen abgebaut und die daraus resultierende
Distanz überwunden werden, damit die Empfänger unseres Dienstes sowohl unter
fachlichem als auch unter menschlichem Gesichtspunkt eine möglichst wirksame
Betreuung erfahren können;
- unter allen
Beteiligten, die in den Einrichtungen des Ordens zum Wohl des kranken und
hilfsbedürftigen Menschen tätig sind, soll eine echte Partnerschaft
angestrebt werden.
Terminologie
6 Um eventuellen Mißverständnissen
vorzugreifen und das Verständnis des
Dokumentes zu erleichtern, sollen im folgenden kurz einige Begriffe geklärt
werden, die für eine zutreffende Interpretation des Dokumentes von grundlegender
Bedeutung sind.
- Laien. Wenn wir
den Begriff "Laien" verwenden, berufen wir uns auf das kirchliche
Sprachverständnis, nach dem unter diesem Terminus folgendes zu verstehen ist:
"Unter der Bezeichnung Laien", so beschreibt sie
die Konstitution Lumen Gentium,"sind hier alle Christgläubigen verstanden,
mit Ausnahme der Glieder des Weihestandes und des in der Kirche anerkannten
Ordensstandes, das heißt, die Christgläubigen, die durch die Taufe Christus
einverleibt, zum Volk Gottes gemacht und des priesterlichen, prophetischen und
königlichen Amtes Christi auf ihre Weise teilhaftig, zu ihrem Teil die Sendung
des ganzen christlichen Volkes in der Kirche und in der Welt ausüben."[2]
- Mitarbeiter. In
den Erklärungen des 62. Generalkapitels sind unter diesem Begriff sowohl die
durch ein festes Arbeitsverhältnis an den Orden gebundenen Mitarbeiter als
auch die ehrenamtlichen Helfer und die Wohltäter[3]
zusammengefaßt. In diesem weiten Sinn wird der Begriff auch im vorliegenden
Dokument verwendet.
- Ständige
Mitarbeiter. Mit diesem Terminus beziehen wir uns auf alle Personen, die in
den Einrichtungen des Ordens auf der Basis eines Arbeitsvertrages tätig sind.
Davon ausgenommen sind die Brüder der Kommunität.
- Ehrenamtliche
Helfer. Darunter sind die Personen zu verstehen, die, ausgehend von
verschiedenen Motivationen, einen Teil ihres Seins und ihrer Zeit in selbstloser
und uneigennütziger Weise dem Dienst an den Kranken und Hilfsbedürftigen
widmen, indem sie in den Einrichtungen des Ordens aktiv an der Humanisierung
der Betreuung mitarbeiten.
- Wohltäter.
Darunter sind die Personen gemeint, die den Orden finanziell bzw. geistlich
unterstützen und fördern.
- Gesundheits- und
Sozialbereich. Mit diesem weitläufigen Begriff beziehen wir uns auf alle
Tätigkeitsfelder, in denen der Orden weltweit seine Sendung im Dienst an den
Kranken und Hilfsbedürftigen verwirklicht.
Einige Vorbemerkungen
7 Die Werke des Ordens unterliegen
hinsichtlich ihrer sozialen Zweckbestimmung
sowie unter arbeitsrechtlichem Gesichtspunkt den allgemeinen, gesetzlichen
Bestimmungen, die für Einrichtungen dieser Art gelten. Trotzdem muß hier die
Besonderheit ihres Daseinsgrundes berücksichtigt werden, der in der Mehrzahl
der Länder, in denen der Orden tätig ist, auch rechtlich verankert und
anerkannt ist.
A. Der konfessionelle Charakter unserer Einrichtungen
8 Der Daseinsgrund des Hospitalordens ist:
"Unsere Existenz in der Kirche hat den Sinn, das Charisma
der Hospitalität nach dem Vorbild des hl. Johannes von Gott zu leben und
offenbar zu machen..." Kraft dieses Charismas "stellen wir uns durch
die Betreuung der Kranken und Hilfsbedürftigen in den Dienst der Kirche",
um "die lebendige Gegenwart des Barmherzigen Jesus von Nazareth in der
Zeit" sichtbar zu machen und "Zeichen und Ankündigung des
angebrochenen Reiches Gottes"[4]
zu sein.
Deswegen haben seine Einrichtungen konfessionellen
Charakter.
9 Es ist sicher nicht notwendig, das Recht der
Kirche und mithin des Ordens,
Gesundheits- oder Sozialeinrichtungen zu errichten und zu leiten, im einzelnen
zu begründen. Denn obwohl diese Aufgabe unter den
"zeitlich-weltlichen" Bereich fällt, ist augenscheinlich, daß durch
die soziale Tätigkeit, die in diesen Einrichtungen realisiert wird,
Reich-Gottes-Arbeit geleistet wird. Die Kirche will in diesen Einrichtungen die
Liebe Gottes zu den Menschen sichtbar und erfahrbar machen durch Taten der
Liebe, so wie sie uns von Jesus von Nazareth vorgelebt wurden. Durch diese
Taten wollte Jesus sichtbare "Zeichen" für das angebrochene Reich
Gottes setzen und offenbar machen, daß er der Messias war (vgl. Lk 7, 18-23).
Als kirchliche Einrichtung setzt der Orden
das von Jesus begonnene Heilswerk nach dem Vorbild des heiligen Johannes von
Gott aus einer ökumenischen Perspektive fort, indem er seine Dienste allen
hilfsbedürftigen Menschen anbietet, seien sie Gläubige oder Nichtgläubige,
Christen oder Angehörige einer anderen Konfession.
Aus demselben Grund begegnet er dem Denken
und Fühlen der Einzelnen mit großem Respekt und ist darum bemüht, die religiöse
Betreuung Andersgläubiger soweit als möglich zu unterstützen und zu fördern[5].
10 Die Barmherzigen Brüder treten als Träger
ihrer Einrichtun gen mit derselben
Einstellung auf, aus der ihr Stifter sein erstes Hospital gründete, nachdem er
im Königlichen Krankenhaus von Granada am eigenen Leib erfahren hatte, wie
verletzend und menschenverachtend die Betreuung der Patienten gehandhabt wurde:
"Und als er sah, wie die Kranken, die verrückt waren und
mit ihm zusammen untergebracht waren, gezüchtigt wurden, sprach er: Jesus Christus
möge mir die Zeit und die Gnade gewähren, daß ich ein Hospital habe, in dem ich
die armen Menschen, die verlassen und der Vernunft beraubt sind, sammeln kann, um
ihnen zu dienen, wie ich es wünsche!"[6]
Sein Wunsch war, den kranken und
hilfsbedürftigen Menschen in Liebe zu dienen, für ihre
Gesundheit, ihr Wohlergehen und ihr Heil Sorge zu tragen. Heute bezeichnen wir
seine bahnbrechende Tätigkeit als ganzheitliche Betreuung mit evangelischem
Zeichenwert.
11 Das Tätigkeitsfeld des Ordens beschränkt sich
jedoch nicht nur auf seine
Einrichtungen. Das war, angefangen bei unserem Stifter Johannes von Gott,
niemals der Fall. Die schnelle Verbreitung des Ordens verdanken wir so etwa dem
Umstand, daß die Brüder das spanische Heer als Krankenpfleger und Feldsanitäter
begleiteten. Außerdem haben die Brüder, wo immer es ihnen möglich war, auf
Bitten der Bischöfe und der zivilen Behörden die Leitung von Krankenhäusern und
anderen Einrichtungen in den Diözesen und Gemeindebezirken übernommen. Der
Orden hat bis heute gemäß seiner Tradition diese weitangelegte
Einsatzbereitschaft beibehalten[7].
12 Der Tatsache, daß wir Eigentümer unserer
Einrichtungen sind, liegt in keiner Weise
eine diskriminierende Absicht gegen irgendjemand zugrunde. Die Einrichtungen
des Ordens, angefangen beim ersten Hospital des hl. Johannes von Gott, waren
und sind für alle da und offen:"Da dies ein Haus für alle ist, werden alle
Arten von Kranken aufgenommen und auch alle Arten von Menschen."[8]
Die Formulierung "alle Arten von
Kranken und alle Arten von Menschen" ist hier im weitesten Sinne zu
verstehen, also Kranke und Hilfsbedürftige aller Art, Männer und Frauen der
verschiedensten sozialen Herkunft, Rasse und Konfession.
Diese Grundeinstellung ist, wie die
Konstitutionen des Ordens in ihren verschiedenen Fassungen zeigen, über die
Jahrhunderte bewahrt worden.
13 Das Hauptanliegen von Johannes von Gott war,
man verzeihe das Wortspiel, das
Gute gut zu tun, also keine sterile Betreuung, unter der letztendlich
immer die Qualität leidet, sondern der Versuch, das Gebot der christlichen
Nächstenliebe fruchtbar mit den Ansprüchen der Gerechtigkeit zu verbinden,
stets mit dem Ziel vor Augen, dem kranken und hilfsbedürftigen Menschen einen
unter menschlichem, fachlichem und technischem Gesichtspunkt hochqualifizierten
und wirksamen Dienst anzubieten.[9]
B. Die Philosophie des Ordens
14 Der konfessionelle Charakter der
Einrichtungen läßt vermu- ten, daß der
Orden sich bei seinem Tun auf eine spezifische Geisteshaltung und auf eine in
den Jahrhunderten gewachsene Tradition stützt, aus der er auf die Wegweisungen
der Kirche und auf die sozialpolitischen Veränderungen eingegangen ist. Daraus
hat sich, bald bewußt, bald unbewußt, eine eigene Philosophie entwickelt, unter
der jedoch nicht nur das theoretische Beiwerk verstanden werden darf, von dem
theologisch, rechtlich und historisch die Struktur, Ausrichtung und Organisation
seiner Einrichtungen geregelt und bestimmt werden. Vielmehr handelt es sich
dabei im Kern um ein ureigenes Konzept, die
Gabe der Hospitalität zu verstehen und in die Praxis umzusetzen. Denn
auf dieser Gabe baut im Endeffekt, sowohl in der Theorie als auch in der
Praxis, der besondere Sendungsauftrag des Ordens auf.
15 Obgleich die Philosophie des Ordens in einer
anderen Schrift dargelegt ist, in der
zu diesem Thema Genaueres erfahren werden kann, halten wir es für angezeigt, an
dieser Stelle die wichtigsten Leitgedanken daraus aufzuführen.
1. Der Hospitalorden ist in das Leben der Kirche und der
Gesellschaft als Frucht der Gabe der Hospitalität getreten, die seinem Stifter
Johannes von Gott geschenkt wurde. Von einer inneren Kraft getrieben, gefestigt
durch die Erfahrung der barmherzigen Liebe Gottes und einen tiefen Glauben,
antwortete er auf die Gabe, die ihm zuteil worden war, mit der restlosen
Hingabe seiner selbst an Gott im Dienst an den Armen und Kranken der spanischen
Stadt Granada.[10]
2. Das Beispiel des hl. Johannes von Gott spornte andere
Menschen dazu an, seinen Lebensstil nachzuahmen. Sie wollten wie er, im Dienst
an den Armen in die engere Nachfolge Jesu Christi treten und an seinem
Heilswerk mitwirken.[11]
3. Den Einrichtungen des Ordens liegt deswegen eine ganz
spezifische kirchlich-apostolische Zweckbestimmung zugrunde, die
folgendermaßen umschrieben werden kann:
- Von der Erfahrung der
barmherzigen Liebe Gottes gedrängt, schenken und weihen sich die Barmherzigen
Brüder ganz Gott im Dienst an den Kranken und Hilfsbedürftigen.[12]
- Ihr
Apostolat, Lebensgrund und -inhalt ihrer Gemeinschaft, verwirklichen sie in
und durch die ganzheitliche Sorge um den kranken und hilfsbedürftigen
Menschen.[13]
4. Der Sendungsauftrag des Ordens
orientiert sich am "Geist" des Stifters; an dem Gedanken der
christlichen Nächstenliebe; an den Wegweisungen der katholischen Kirche, ganz
besonders in Fragen der Bioethik und der Soziallehre; und richtet sich nach den
gesetzlichen Bestimmungen, von denen in den einzelnen Ländern der Sozial- und
Gesundheitsdienst geregelt wird, insofern diese nicht den grundlegenden
Rechten des Menschen widersprechen, die da sind:"Der Mensch hat das Recht,
geboren zu werden und menschenwürdig zu leben. Er hat den Anspruch auf Pflege
in seiner Krankheit und in Würde zu sterben."[14]
5. Die Empfänger der Sendung des Ordens
sind alle Menschen, die unter Armut, Krankheit und sozialer Ausgrenzung leiden,
ohne Unterschied ihrer ethnischen, sozialen und religiösen Zugehörigkeit. Unter
ihnen bevorzugen wir die Ärmsten.[15]
6. Die Einrichtungen des Ordens sind
bereit, mit dem Staat und anderen Institutionen zusammenzuarbeiten, unter der
Bedingung daß die apostolischen, ethischen und rechtlichen Prinzipien anerkannt
und respektiert werden, auf denen ihre Tätigkeit aufbaut.[16]
7. Der Orden schätzt, fördert und übernimmt
die Errungenschaften des Fortschrittes von Technik und Wissenschaft im
Gesundheits- und Sozialbereich. Er setzt sich entschlossen dafür ein, daß alle
zur Verbesserung der ganzheitlichen Betreuung der Kranken und Hilfsbedürftigen
zur Verfügung stehenden Mittel gezielt zur Anwendung gebracht werden, insofern
sie zur Wiederherstellung der Gesundheit bzw. zur sozialen Wiedereingliederung
beitragen.[17]
8. Der Orden schätzt, fördert und nimmt
gern die Mitarbeit all jener in Anspruch, die bei der Betreuung und Rehabilitation
der Kranken und Hilfsbedürftigen mitwirken wollen unter der Voraussetzung, daß
sie die Philosophie des Ordens anerkennen und respektieren.[18]
9. Der Orden respektiert und setzt sich für
die Rechte der Mitarbeiter ein, die in seinen Einrichtungen tätig sind, und
weiß sich den Weisungen der kirchlichen Soziallehre und den sozialrechtlichen
Bestimmungen der einzelnen Länder verpflichtet, hat dabei aber auch immer die
Rechte der Kranken und Hilfsbedürftigen im Auge.
10. Der Orden anerkennt das Recht seiner
Mitarbeiter auf die persönliche Entfaltung. Deswegen:
- fördert
und setzt er sich im Rahmen seiner Möglichkeiten dafür ein, daß es in den
einzelnen Fachbereichen seiner Einrichtungen ein reiches Weiterbildungsangebot
gibt und setzt auch Initiativen zur Verbesserung der Arbeitsverhältnisse und
zum Wohle ihrer Familien;
- bietet
er allen Mitarbeitern, ehrenamtlichen Helfern, Freunden und Wohltätern, die
Möglichkeit an, ihr Christsein und Glaubensleben zu vertiefen, indem er sie,
wie an einer anderen Stelle dieses Dokumentes näher ausgeführt, unmittelbar an
seinem Leben und Sendungsauftrag beteiligt.
Schematischer Aufbau des Dokumentes
16 Zum Abschluß dieser Einleitung möchten wir
noch kurz den schematischen Aufbau
des Dokumentes Dem Leben dienen, das Leben fördern - Gedanken über das Miteinander von
Brüdern und Mitarbeitern erklären.
Zunächst ein paar Worte zum Titel: Damit
wollten wir das Hauptziel des Ordens verdeutlichen, das, wie wir auf den
vorausgehenden Seiten zu erläutern versucht haben, darin besteht, dem Leben zu
dienen und das Leben zu fördern. Dieser Aufgabe kann sich der Orden nur dann
erfolgreich stellen, wenn die Fähigkeiten und Energien aller
Menschen, die tagtäglich in seinen Einrichtungen miteinander leben und wirken,
also Patienten, Mitarbeiter und Brüder, in dynamischer Weise zusammengezogen
und ausgeschöpft werden.
17 In den einzelnen Kapiteln wird das Thema des
Miteinanders aus folgenden
Blickwinkeln erhellt werden:
1. Aus anthropologischer Sicht. In dem
entsprechenden Kapitel wird der Versuch gemacht, die Beziehung zwischen Brüdern
und Mitarbeitern nach allen Seiten hin zu durchleuchten und die verschiedenen
Beziehungsebenen darzustellen, die sich aus ihrem Miteinander ergeben und
anbieten. Außerdem wird man einige praktische Fragen ansprechen, die auf das
Miteinander einen unleugbaren Einfluß ausüben.
2. Aus theologischer Sicht. In diesem
Zusammenhang wird auf dem Hintergrund der Lehre der Kirche (Christifideles
laici) die Berufung des Laienchristen und die Identität des Barmherzigen
Bruders behandelt werden.
3. Aus charismatischer Sicht. Nach
einem kurzen, geschichtlichen Abriß werden wir uns in diesem Kapitel
ausführlich mit der Beteiligung der Laienmitarbeiter an Charisma,
Sendungsauftrag und Spiritualität des Ordens auseinandersetzen.
4. Den Schluß der Arbeit bildet ein kurzes
Resümee, in dem aus den wichtigsten Aussagen Bilanz gezogen wird.
ERSTES
KAPITEL
Die Beziehung
zwischen Brüdern und Mitarbeitern
aus
der Sicht
der
Berufung des Menschen zur Gemeinschaft
Eingrenzung des Themas
18 Im folgenden werden wir uns kurz mit den
Grundgedanken beschäftigen, auf denen
der Gesundheits- und Sozialdienst aus anthropologischer Sicht aufbaut. Dabei
werden wir uns im Rahmen einer allgemeinen Reflexion mit der Beziehungs- und
Gemeinschaftsfähigkeit und dem Beziehungs- und Gemeinschaftsbedürfnis der
menschlichen Person auseinandersetzen. Dazu sollen vorab folgende Punkte
festgehalten werden:
1. Der Mensch ist nach seinem Aufbau und
Handeln ein komplexes, aber durch und durch einheitliches Wesen. Damit
wollen wir sagen: Im menschlichen Wesen koexistieren biologische Elemente, die
gewissermaßen materiell erfaßt und auf die Materie zurückgeführt werden können,
und eine psychologisch-geistige Ebene, die unerfaßbar ist und über das rein
Materielle hinausgeht. Diese Ebene bezeichnen wir gewöhnlich als Seele.
Die menschliche Person setzt sich jedoch
nicht aus diesen Größen zu einem losen, äußeren Ganzen zusammen, sondern ist
eine primäre
Einheit, das heißt: diese Größen bilden eine strukturelle Einheit.
Aus diesem Zusammenhang ergibt sich denn auch der Begriff von der personalen
Einheit.
Dasselbe gilt für den Bereich des Handelns: So
wie es keine rein seelisch-geistige Handlung gibt, gibt es auch keine rein
biologische oder sensorielle Handlung. Alles menschliche Handeln ist als
solches ein Handeln der gesamten Person.
2. Die menschliche Person ist ein begrenztes
Wesen. Obwohl sie als "Abbild Gottes" (Gen 1, 27) mit einer
grundlegenden Größe ausgestattet wurde, kraft der sie zum Guten, zur
Gemeinschaft und zur Solidarität prädestiniert ist, ist sie auch negativen
Tendenzen ausgesetzt, die sie zum Bösen, zum Egoismus und zur Zerstörung
verleiten.[19]
Das Begrenztsein des Menschen kommt
besonders schmerzlich in der Erfahrung des Leidens, der Krankheit und des Todes
zum Ausdruck.
Wenn man das Begrenztsein der menschlichen
Person jedoch von seiner positiven Seite wertet, erkennt man, daß erst aus ihm
dem Menschen die innere Kraft erwächst, das Leben in seinem unwiederbringlichen
Wert zu schätzen und zu pflegen, an der Entfaltung seiner Persönlichkeit zu
arbeiten und an der Entwicklung der Menschheit und der Schöpfung mitzuwirken.
Auf diesem Hintergrund zeichnet sich in aller Schärfe die "transzendente
Bestimmung" der menschlichen Existenz ab, also die Fähigkeit, über sich
selbst "hinauszugehen", d.h. ständig an den eigenen Anlagen und
Werten zu arbeiten, um die Beziehung zu Gott und zu den anderen fortschreitend
zu vertiefen. Deswegen ist der Mensch nicht ein "abgeschlossenes",
vollkommenes Wesen, sondern ein auf dem Weg seiendes und
"vervollkommnungsfähiges".
Diese positive Auffassung vom Begrenztsein
des Menschen weist bereits auf die folgende Dimension voraus.
3. Die menschliche Person ist von ihrem Wesen
her "offen" für die Welt, für die anderen Menschen und für Gott.
19 In diesem Kapitel werden wir immer wieder auf
die drei eben aufgezählten Aspekte
Bezug nehmen. Unser Hauptinteresse wird dabei jedoch der Fähigkeit zum
Offensein und dem Bedürfnis nach Offensein der menschlichen Person gelten. Denn
diese Veranlagung hat nicht nur unmittelbar mit dem Thema, das wir uns gestellt
haben, zu tun, sondern kann als die positivste und fruchtbarste Seite des
menschlichen Begrenztseins betrachtet werden.
20 Das "Offensein" der Brüder und
Mitarbeiter kann in der Hauptsache
unter folgenden Gesichtspunkten behandelt werden:
- einmal aus ihrer wechselseitigen
Beziehung;
- zum
anderen aus ihrer Beziehung zu den Kranken und Hilfsbedürftigen.
Obgleich die folgenden Ausführungen im
Endeffekt dazu beitragen sollen, die Beziehung zu den Kranken und Hilfsbedürftigen
zu verbessern, werden wir uns im folgenden, gemäß der Themenstellung, vor allem
mit der Beziehung zwischen Brüdern und Mitarbeitern beschäftigen.
Die menschliche Person ist ein "offenes" Wesen
21 Wenn wir vom Offensein der
menschlichen Person sprechen, meinen wir
damit ihr Bedürfnis und ihre Fähigkeit, in Gemeinschaft und in
Beziehung mit der Schöpfung, mit den anderen Menschen und mit Gott zu treten
und zu leben.
Das "Offensein" der menschlichen
Person geschieht und verwirklicht sich auf verschiedenen Ebenen:
- Offensein
als Selbsthingabe. Damit meinen wir die Fähigkeit des Menschen, aus sich
selbst "herauszugehen" und auf den anderen zu- und einzugehen. Das
kann auf zwei Ebenen geschehen: die Hingabe an den Nächsten, indem man die
eigenen Fähigkeiten in seinen Dienst stellt; das Zugehen auf den Nächsten,
indem man ihm die tiefsten, eigenen Gefühle offenbart und zum eigenen
Innenleben Zugang gewährt.
- Offensein
als Aufnahme des Nächsten. Damit meinen wir die Fähigkeit, den Nächsten als
Person anzunehmen und ihm einen Platz im eigenen Leben zu geben.
Auch das kann auf zwei Ebenen geschehen: durch die Achtung und Annahme des
Nächsten im eigenen Leben; indem man dem Nächsten einen Platz im eigenen Leben
gibt, ohne mit ihm zu verschmelzen.
- Offensein
als Miteinander. Dabei handelt es sich zweifelsohne um die fruchtbarste
und tiefste Beziehungsebene, auf der Menschen einander begegnen können: Jede
Form bewußten Egoismus vermeidend, versuchen Menschen im echten Miteinander das
Beste von sich zu geben und in Liebe aufeinander zuzugehen.
22 Im praktischen Leben tritt diese logische
Abgrenzung natürlich nie in dieser
reinen Form auf: Vielfach überschneiden und decken sich die eben aufgezählten
Ebenen. Alle drei Ebenen, ganz besonders die beiden letzten, setzen jedoch
einen Prozeß voraus, und zwar daß man den anderen in seiner personalen
Identität und Wirklichkeit anerkennt, schätzt und annimmt. Wo dieser Prozeß
ausbleibt, d.h. wenn man den anderen nicht in seinem Anderssein mit all seinen
Fähigkeiten und Grenzen, also seine Anders- und Einzigartigkeit, seinen
"unwiederbringlichen Wert" anerkennt, ist eine echte
zwischenmenschliche Beziehung nicht möglich.
23 Mit diesen grundlegenden Wahrheiten vor Augen
wollen wir nun die verschiedenen
Beziehungsebenen untersuchen, die sich aus dem Miteinander von Brüdern und
Mitarbeitern ergeben bzw. anbieten, und zwar:
- auf
der Basis des Handelns;
- auf der Basis des Seins;
- auf der Basis der Motive.
Auf einem gemeinsamen "Tun" aufbauende
Beziehungen
24 Dabei handelt es sich sicher um die
oberflächlichste Beziehungsebene, die
sich zwischen Menschen, die sich zur Verwirklichung eines gemeinsamen Zieles
zusammengeschlossen haben, einstellt.
Das gilt auch in unserem Fall. Obgleich es,
wie wir weiter vorne gesehen haben, verschiedene Formen der Zusammenarbeit mit
dem Orden von seiten der Personen, die ihm nicht angehören, gibt, wollen wir im
folgenden vor allem die Beziehung analysieren, die auf dieser Ebene zwischen
den Brüdern und ihren ständigen Mitarbeitern besteht.
25 Zunächst gilt es festzuhalten, daß der Orden
zur Verwirkli chung seines
Sendungsauftrages auf den qualifizierten Dienst der Brüder und der Mitarbeiter
zählt. Als zweites muß festgehalten werden, daß seine Präsenz in den
Einrichtungen einzig und allein die Betreuung kranker und hilfsbedürftiger
Menschen zum Ziel und zur Aufgabe hat. Das schließt natürlich nicht aus, daß
sowohl die Brüder als auch die Mitarbeiter danach streben, ihren Dienst so zu
versehen, daß sie darin Erfüllung finden und ihre Persönlichkeit zur Entfaltung
bringen. Ganz im Gegenteil!
Unter diesen Vorzeichen wollen wir nun kurz
die Beziehungen untersuchen, die zwischen Brüdern und Mitarbeitern auf der
Ebene ihres gemeinsamen Tuns möglich sind.
26 Als erstes muß hier gesagt werden, daß die
Beziehung zwischen Brüdern und
Mitarbeitern auf dieser Ebene grundsätzlich eine Beziehung der Gleichheit
ist. Alle ohne Unterschied sollen ihre Fähigkeiten in den Dienst der
Kranken und Hilfsbedürftigen stellen mit dem Ziel, ihnen eine fachlich und
technisch hochqualifizierte Betreuung sowie einen ganzheitlichen und humanen
Dienst anzubieten.
Alle in einer Einrichtung des Ordens
tätigen Personen sollen und dürfen nur den Dienst ausüben, für den sie die
erforderliche Befähigung mitbringen.
27 Ein kurzer geschichtlicher Rückblick auf die
Entwicklung, die im Gesundheitswesen
im allgemeinen und in den Einrichtungen des Ordens im besonderen stattgefunden
hat, soll uns helfen, diesen Sachverhalt besser zu verstehen.
In der Vergangenheit wurde von den
Personen, die den Krankendienst aufnahmen, vor allem ein bestimmtes Sachverständnis
verlangt. Dieses war jedoch nicht immer die Frucht eines Studiums, das mit dem
Erwerb eines Berufstitels endete. So erlangten etwa die Brüder in der Mehrzahl
der Fälle dieses Sachverständnis auf erfahrungsmäßiger Ebene. Die notwendigen,
theoretischen Grundkenntnisse eigneten sie sich in den ordenseigenen
Ausbildungsstätten oder im Laufe ihrer ersten Ordenslebensjahre an. Damit
wollen wir in keiner Weise ihre Leistungsfähigkeit und die unleugbar positiven
Früchte ihres Wirkens in Frage stellen.
Aber heute genügt das Sachverständnis von
einst nicht mehr, um in einer Einrichtung einen verantwortungsvollen Posten zu
bekleiden. Vielmehr braucht es dazu einen entsprechenden, öffentlich
anerkannten Berufstitel.
28 Noch ein zweites gilt es hier zu
berücksichtigen: In der Vergangenheit
war, wie wir bereits gesehen haben, die Anzahl der Mitarbeiter in den
Einrichtungen des Ordens sehr gering. Beinahe alle Aufgaben wurden von den
Brüdern selbst wahrgenommen und ausgeführt. Heute ist ihr Gewicht bei weitem
nicht mehr das von einst, und das nicht nur wegen dem Rückgang der Berufe,
sondern vor allem wegen den Veränderungen, die unsere Einrichtungen erfahren
haben, und ihrem weitaus größeren Arbeitsumfang.
Diesen Faktoren, insbesondere dem ersten,
muß unbedingt Rechnung getragen werden, wenn bestimmte unangezeigte Haltungen
ausgeräumt werden sollen. Wir werden auf diesen Punkt ausführlich in dem
Abschnitt Stellenwert und Funktion der Kommunität in den Werken
zurückkommen. Deswegen wollen wir uns hier damit nicht länger aufhalten.
29 Beschäftigen wir uns also erneut mit den
Beziehungen, die zwischen Brüdern und
Mitarbeitern auf der Ebene ihres gemeinsamen Tuns möglich sind.
Dazu haben wir bereits etwas
Grundsätzliches festgestellt, nämlich daß auf der Ebene der Arbeitsausübung
eine Beziehung der Gleichheit herrscht, die auf der fachlichen Befähigung der
Einzelnen aufbaut. Auf dieser Ebene gilt deswegen:
- Brüder
und Mitarbeiter haben die gleichen Rechte und gleichen Pflichten.
- Beide
sollen die Arbeit ausüben, für die sie die entsprechende Befähigung besitzen.
- Sowohl
die einen als auch die anderen haben das Recht, gebührend über die einzelnen
Vorgänge in der Einrichtung informiert zu werden sowie ihrer Aufgabe
entsprechend und gemäß den geltenden Gesetzen und Regelungen in die Dynamik des
Werkes eingebunden zu werden.
Auf dieser Beziehungsebene kommt es leicht
zu persönlichen Konflikten. Das liegt in der Natur der Sache. Die Ursachen
dafür sind meistens Profiliersucht, Mißtrauen und Aufgabenüberschreitung.
Auf einem gemeinsamen "Sein" aufbauende
Beziehungen
30 Das Leben des Menschen spielt sich nicht nur
im Bereich des "Handelns"
ab. Auf den vorhergehenden Seiten haben wir die Beziehungen, die ausschließlich
auf einem gemeinsamen Tun aufbauen, als die oberflächlichsten bezeichnet, die
sich zwischen Menschen, die sich zur Verwirklichung eines gemeinsamen Ziels
zusammengeschlossen haben, einstellen können.
Das Tun des Menschen wird erst dann zu
einer echt erfüllenden Angelegenheit, wenn der Einzelne, seiner inneren Stimme
Gehör schenkend, sein Betätigungsfeld in der Gesellschaft
erkennt, sich dafür vorbereitet und ausbildet und das Umfeld findet, in dem er
seine Fähigkeiten und Gaben fruchtbringend und sinnvoll einbringen kann. Aus
dieser Sicht spricht man denn auch von der Arbeit nicht nur als
"Beruf", sondern auch als "Berufung". Wo die inneren
Veranlagungen, die fachliche Ausbildung und die äußeren Arbeitsverhältnisse
nicht zu einer Einheit aufgehoben sind, kann es nicht verwundern, daß sich bei
den Personen Unbehagen und Unlust ausbreiten, was sich dann unvermeidbar auf
das Leistungsvermögen, die Qualität der Arbeit und ganz besonders auf die
zwischenmenschlichen Beziehungen auswirkt.
31 Die Brüder des Ordens üben ihre Arbeit aus
einer besonderen göttlichen Berufung
als Dienst am Nächsten aus. Wir dürfen davon ausgehen, daß auch unsere
Mitarbeiter ihre Arbeit, einer inneren Stimme Gehör schenkend, gewählt haben.
Sowohl die einen als auch die anderen sind auf der Basis einer entsprechenden,
beruflichen Befähigung tätig. Damit sind die Voraussetzungen dafür gegeben, daß
sie untereinander zwischenmenschliche Beziehungen anknüpfen können, die auf
einem gemeinsamen "Sein" aufbauen.
Eigenschaften der Personen, die im Dienst des kranken und
hilfsbedürftigen Menschen stehen
32 Der Dienst am kranken und hilfsbedürftigen
Menschen wurzelt in einer
tiefmenschlichen Veranlagung. Denn die menschliche Person ist ihrem Wesen nach
grundsätzlich "offen" für die anderen. Demnach besitzen die
Brüder und Mitarbeiter eine Reihe von grundlegenden Eigenschaften, die sie zu
tiefen, zwischenmenschlichen Beziehungen fähig machen.
Die wichtigsten unter diesen Eigenschaften
sind:
- positive
Einstellung gegenüber dem anderen: man akzeptiert ihn, ohne über ihn zu
urteilen;
- Güte;
- Mitleid
(wortwörtlich zu verstehen, d.h. die Fähigkeit mit dem anderen zu leiden);
- Zuverlässigkeit
und Verständnis;
- Einfühlungsvermögen;
- Dasein für ihn;
- Barmherzigkeit;
- Verfügbarkeit;
- Einfachheit;
- Dienstbereitschaft;
- Hingebungsfähigkeit;
- Selbstlosigkeit;
- Dialogbereitschaft und Hellhörigkeit.
Selbstverständlich besitzt jeder Mensch
diese Eigenschaften, an die zweifelsohne andere hinzuzufügen wären, in einem
unterschiedlichen Grad. Bei einer Reihe von Menschen stechen bestimmte Fähigkeiten und Haltungen ganz
besonders hervor und geben ihrem Leben eine besondere Richtung.
33 Viele Menschen sind durch ihre Erziehung
daran gewöhnt, von den Eigenschaften und
Fähigkeiten, die sie auszeichnen, kein Aufheben zu machen. Sie werden stillschweigend
als das Natürlichste auf der Welt vorausgesetzt: Man hat sie und damit hat
sich's. Trotzdem ist es von größter Bedeutung, daß man sich seiner Fähigkeiten
und Eigenschaften bewußt ist und ihren Wert ohne falsche Bescheidenheit
anerkennt. Denn nur so können sie als Teil unseres "Seins" gepflegt
und eingebracht werden.
Wenn man sich seiner Eigenschaften und
Fähigkeiten bewußt ist, wird man auch empfänglicher und hellhöriger für die
Gaben der anderen.
34 Alle Menschen, die einen mehr, die anderen
weniger, wünschen und streben danach,
Beziehungen zu den anderen aufzubauen, die mehr als eine reine Formsache sind.
Der einzige Weg, solche tiefergehende Beziehungen aufzubauen, besteht darin, die
anderen so, wie sie sind, anzuerkennen, zu schätzen und zu akzeptieren und für
ihr So- und Dasein dankbar zu sein. Den anderen in seiner
Einzigartigkeit anerkennen heißt seinen "Wert" anerkennen und
ermöglicht erst, sein Dasein als Bereicherung für sich selbst zu erfahren.
35 Wenn wir uns die Fähigkeiten und
Eigenschaften vor Augen führen, die von
den Personen ausgewiesen werden sollen, die im Dienst des kranken und
hilfsbedürftigen Menschen stehen, stellen wir fest, daß sie von der Mehrzahl
der Brüder und Mitarbeiter spontan an ihrem jeweiligen Arbeitsplatz eingebracht
werden. Wir alle, die wir im Dienst des kranken und hilfsbedürftigen Menschen
stehen, besitzen sie. Sie sind weder das Privileg eines beschränkten
Personenkreises, noch muß man an die Universität gehen, um sie zu erlangen.
Denn diese Fähigkeiten und Eigenschaften
sind nicht etwas Erlerntes, sondern etwas, das uns vom Schöpfer geschenkt
worden ist, d.h. Gaben, die wir, bewußt oder unbewußt, in unserem Leben zum
Tragen bringen.
36 Wenn man die persönlichen Eigenschaften der
Personen, die beschlossen haben, sich
den anderen zu widmen, im richtigen Licht sieht, erkennt man, daß unter
ihnen "seinsmäßig" eine grundsätzliche Gleichheit besteht,
aus der heraus zwischen ihnen weitgefächerte und tiefgreifende,
zwischenmenschliche Beziehungen möglich sind.
Wenn man begreift, daß man die Güte, das
Verständnis, die Zuverlässigkeit usw. nicht nur hat, sondern ist
(sagt man nicht auch: sie/er ist die Güte in Person), wird man auch erkennen,
daß man nicht nur für bestimmte Menschen verständnisvoll, zuverlässig und
dienstbereit sein kann und soll, sondern für alle Menschen.
Menschen, die tagtäglich auf engstem Raum
zusammenleben und zusammenarbeiten, verspüren zwangsläufig das Bedürfnis,
zueinander auf der Grundlage ihrer gemeinsamen Bestimmung in eine engere
Beziehung zu treten. Wo dieses Bedürfnis besteht, können bestimmte negative
Tendenzen, insbesondere die verschiedenen Formen des Egoismus, die uns,
aufgrund des Begrenztseins der menschlichen Person, allen anhaften und weit
mehr zu schaffen machen als der sogenannte schlechte Wille, leichter überwunden
werden.
37 Erst in einem solchen Umfeld kann sich dann
unter allen Beteiligten ein tiefes,
zwischenmenschliches Miteinander und Füreinander ausbilden, in dem zielführend
der Gedanke der Humanisierung, so wie er seit etlichen Jahren vom Orden propagiert
wird, verfolgt und in die Praxis umgesetzt werden kann. Hier gilt: Erst
wenn die Beziehungen zwischen Brüdern und Mitarbeitern selbst nach den
Grundsätzen der Humanisierung gestaltet sind, kann von beiden erfolgreich die
Humanisierung als umspannendes Projekt in ihren Einrichtungen angegangen werden.
Erst unter dieser Voraussetzung hat es
einen Sinn, das vieldiskutierte Konzept von der Partnerschaft zwischen Brüdern
und Mitarbeitern anzudenken und anzustreben. Eine solche Partnerschaft
läßt sich nämlich nur durch einen langen Prozeß des gegenseitigen Sich-Kennen-
und Sich-Schätzen-Lernens erringen. Daraus kann und soll sich dann ein neues
Gemeinschafts- und Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln, d.h. der Nährboden
für eine echte Dienstgemeinschaft geschaffen werden, deren Ziel es ist, dem
Menschen in Not wirksam zu dienen und zu helfen.
38 Hier muß noch einmal in aller Schärfe
verdeutlicht werden, daß sowohl die
Brüder als auch die Mitarbeiter mit besonderen Gaben ausgestattet wurden, die
ihnen die Kraft geben, sich dienend und fördernd des Lebens ihrer
Mitmenschen anzunehmen. Aus dieser Sicht haben sowohl die vertragsmäßig
gebundenen Mitarbeiter als auch die ehrenamtlich tätigen Helfer wie auch die
Wohltäter des Ordens das Recht, durch ihre Arbeit oder andere Formen der
Solidarität ihre Liebes- und Hingebungsfähigkeit gegenüber dem Nächsten frei
zur Entfaltung zu bringen. Andererseits muß respektiert werden, daß der
Barmherzige Bruder durch seine Arbeit dem Gebot der evangelischen Armut
entpricht, ein bedeutungsvolles Zeichen für das brüderliche Miteinander setzt
und in besonderer Weise auf die Gabe der Hospitalität antwortet, zu der er
berufen wurde.[20]
39 Wenn die Brüder und die Mitarbeiter fähig
sind, in eine Beziehung zueinander zu
treten, in der sie sich in positiver Weise gegenseitig annehmen, um gemeinsam
dem kranken und hilfsbedürftigen Menschen zu dienen, kann mit großer Sicherheit
davon ausgegangen werden, daß der Kranke und Hilfsbedürftige im
Mittelpunkt ihres Interesses stehen und somit die Mitte unserer Einrichtungen
bilden wird.
Sowohl die einen als auch die anderen
sollten, mit dieser Perspektive vor Augen, eigentlich die notwendige Motivation
dafür finden, entschlossen an der Überwindung der Barrieren zu arbeiten, die -
vielfach unbewußt - im Laufe der Zeit entstanden sind, und einen Dialog
miteinander zu beginnen, in dem man zueinander in einer gemeinsamen Sprache
spricht. Dann wird es auch leicht sein, aufeinander zuzugehen und einander
schätzen zu lernen. Denn die wichtigste Voraussetzung, damit ein Dialog
überhaupt möglich ist, heißt, das Gemeinsame aneinander zu erkennen und
anzunehmen, was in unserem Fall darin besteht, daß Brüder wie Mitarbeiter die
Wahl getroffen haben, ihr Leben in den Dienst des Nächsten zu stellen.
40 Zur Weiterentwicklung der persönlichen
Fähigkeiten, die der Dienst am kranken
und hilfsbedürftigen Menschen verlangt und das Miteinander mit den anderen, die
denselben Dienst erfüllen, erforderlich macht, können die Beziehungen, die man
am Arbeitsplatz anknüpft, sicher viel beitragen; aber allein mit ihnen ist es
nicht getan. In diesem Zusammenhang ist es Aufgabe der Hausleitung, geeignete
und gezielte Initiativen zur Pflege der Beziehungen auszumachen und anzubieten,
wie z.B.:
- Seminare,
Kurse, Treffen zur allgemeinen, menschlichen Bildung, wobei darunter
Selbsterfahrungsgruppen, kulturelle Weiterbildungsangebote o.ä. zu verstehen
sind. Denn eine fachlich-technische Ausbildung ohne eine entsprechende
menschliche Bildung steht zumeist auf hohlen Füßen.
- Studien-
und Reflexionsgruppen aus Brüdern und Mitarbeitern zum Erfahrungs- und
Gedankenaustausch.
- Interessengruppen
aus Brüdern und Mitarbeitern zur gemeinsamen Freizeitgestaltung.
Die Rolle der Motive im Zusammenspiel der
Beziehungsdymamik
41 Im vorhergehenden Abschnitt haben wir
versucht, die Gemein- samkeiten der
Personen aufzuzeigen, die sich dem Dienst am Mitmenschen widmen. Im folgenden
wird der Schwerpunkt auf der Einzigartigkeit der menschlichen Person,
jeder menschlichen Person liegen. Soviel wir uns auch anstrengen mögen
- nie werden wir zwei ganz gleiche Menschen antreffen. Uns allen ist ein
wesensmäßig gleicher Aufbau eigen, den wir unter dem Begriff der menschlichen
Person vereinigen; aber jeder Mensch lebt dieses, sein Person-Sein in
einer einzigartigen und unwiederbringlichen Weise.
Auf den vorausgehenden Seiten haben wir
gesehen, daß Brüder und Mitarbeiter gemeinsame Eigenschaften besitzen. Nun
wollen wir den Gedanken aufgreifen, daß jeder Mensch dazu berufen ist, seine
Eigenschaften und Fähigkeiten in Übereinstimmung mit seiner Identität zur
Entfaltung zu bringen.
Der Dienst am Nächsten ist das
Band, das den Barmherzigen Bruder mit dem Mitarbeiter verbindet.
42 Jeder einzelnen Person steht die Möglichkeit
offen, sich auf der Grundlage ganz
bestimmter Werte und Motivationen in den Dienst des Nächsten zu stellen. Der
Dienst am Mitmenschen kann geschehen:
- aus
Liebe zur Menschheit (Philanthropie);
- aus einem soziologischen oder politischen
Grund;
- aus Solidarität;
- aus religiöser Überzeugung im
allgemeinen;
- aus
einer ganz besonderen, religiösen Berufung durch das gottgeweihte Ordensleben
in der Kirche;
- zur persönlichen Erfüllung;
- zur
Sicherung des eigenen Lebensunterhalts durch eine entsprechende Arbeit;
- usw.
43 Hier treten, im Gegensatz zum vorhergehenden
Abschnitt, deutlich die Unterschiede in
Erscheinung, die zwischen den Personen bestehen, die beschlossen haben, ihr
Leben in den Dienst des Mitmenschen zu stellen. Dabei handelt es sich jedoch um
Unterschiede, die sich aus der Einzigartigkeit jeder menschlichen Person
ableiten und deshalb in jedem Fall unseren Respekt und unsere Toleranz
verdienen. Wenn man diese Unterschiede als Frucht einer persönlichen Wahl
sieht, mit der der Einzelne, aus einer inneren Motivation heraus und in
Entsprechung zu seinen innersten Wertvorstellungen, seinem Leben einen Sinn
gibt, besteht keine Gefahr, daß es in diesem Bereich zwischen Brüdern und
Mitarbeitern zur Konfrontation kommt. Im Gegenteil: Damit wiederholen wir nur
jene Art von "Wunder", das Johannes von Gott in seinem Leben gewirkt
hat, nämlich das, alle Menschen als Brüder zu betrachten, jedem den bestmöglichen
Platz zuzuweisen und das Dasein aller als Geschenk zu erleben, seien sie nun
arm oder reich, sozial hochgestellt oder niedergestellt, gesund oder krank.
44 Damit trotz der unterschiedlichen
Weltanschauungen, ver- schiedenen
Glaubensrichtungen usw. sich in einer Einrichtung des Ordens unter allen
Beteiligten eine positive Beziehung ausbilden kann, müssen die Einzelnen bereit
sein, die Werte und die Motivationen anzuerkennen und zu würdigen, die andere,
ebenso frei wie sie, aus einer anderen Perspektive dazu veranlaßt haben, ihr
Leben dem Dienst am Nächsten zu widmen.
Dadurch beugt man der Gefahr vor, daß die
Personen je nach ihrer politischen Färbung, Weltanschauung oder Glaubensrichtung
in "Kategorien" eingeteilt werden. Vielmehr wird diese Vielfältigkeit
so als Bereicherung des gegenseitigen Miteinanders erlebt.
Der Orden akzeptiert, respektiert und
schätzt die persönliche Wahl der Einzelnen. Gerade deswegen hat er jedoch das
Recht und darf sich erwarten, daß von allen Beteiligten die grundlegenden
Werte seines kirchlichen Auftrages und Wirkens respektiert und in der Praxis
angewandt werden.
Praktische Schwierigkeiten
A. Die Barmherzigen Brüder als Eigentümer ihrer Werke
45 Einen Großteil seiner Einrichtungen verwaltet
und leitet der Orden als Eigentümer.
Damit sind in der Praxis eine Reihe von Vorteilen und Nachteilen verbunden.
Ein gewichtiger Vorteil liegt zunächst
einmal darin, daß der Orden als Eigentümer seiner Werke die Möglichkeit hat, ihre
Verwaltung und Leitung an den kirchlichen Prinzipien zu orientieren, auf denen
seine Sendung aufbaut, d.h. auf eine ganzheitliche Betreuung der ihm
anvertrauten Menschen auszurichten, in deren Rahmen die grundlegenden Rechte
der menschlichen Person gewahrt sind.
Ein weiterer Vorteil, der vor allem in den
Industrieländern ins Gewicht fällt, liegt darin, daß der Orden als Eigentümer
seiner Werke, angesichts der subtilen Tendenz des öffentlichen
Gesundheitsdienstes, die Versorgung und Betreuung der produktionsmäßig
relevanten Gesellschaftsglieder zu privilegieren, gezielt für solche
Personenkreise aufkommen kann, die deutlich vom öffentlichen Sozialnetz
benachteiligt und vernachlässigt werden, wie z.B. geistig Behinderte,
Langzeitkranke, Kranke in der Endphase und Alte.
46 Als Eigentümer seiner Werke hat der Orden die
Möglichkeit, konkret dafür einzustehen,
daß seine apostolisch-soziale Tätigkeit auf die Schichten der Gesellschaft
zielt, die im Umfeld unserer modernen und vertechnisierten Konsumgesellschaft
am stärksten benachteiligt werden.[21]
47 Als Eigentümer seiner Werke begegnet der
Orden aber auch einigen praktischen
Schwierigkeiten, die sich vor allem unter zwei Gesichtspunkten stellen:
- unter dem Gesichtspunkt der evangelischen
Armut;
- unter
dem Gesichtspunkt der Verwaltung.
Im folgenden wollen wir uns kurz mit diesen
beiden Aspekten im einzelnen beschäftigen.
48 In dem Apostolischen Schreiben Evangelica
Testificatio hat Papst Paul VI. die
Ordensleute aufgefordert, die evangelische Armut durch äußere Zeichen sichtbar
zu machen.[22] Als Eigentümer seiner Werke tritt der Orden
als eine Organisation mit einer unleugbaren, wirtschaftlichen Größenordnung
auf. Diese Tatsache kann und darf nicht ignoriert werden, umsomehr als sie für
viele Menschen, darunter auch Brüder, die Echtheit des Armutszeugnisses der
Barmherzigen Brüder in Frage stellt.
Unser Anliegen hier ist es weder, diese
Tatsache zu rechtfertigen, noch die Vorurteile auszuräumen, die sich in diesem
Zusammenhang eingebürgert haben. Vielmehr geht es uns einzig und allein darum,
die evangelischen Kriterien zu verdeutlichen, an denen das Armutszeugnis des
Ordens orientiert sein muß.
Zunächst gilt es, sich noch einmal in aller
Deutlichkeit die Zweckbestimmung der Einrichtungen des Ordens vor Augen zu
führen. Dazu haben wir bereits auf den vorhergehenden Seiten ausführlich
Stellung genommen. Sodann möchten wir hier auf die Bestimmungen der
Konstitutionen un die Prinzipien der Soziallehre der Kirche hinweisen, nach
denen sich in der Praxis das Armutszeugnis der Barmherzigen Brüder richtet.[23]
49 Wenn man diese grundlegenden Richtlinien
näher betrachtet, erkennt man, daß sich
die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Armutszeugnis nicht so sehr aus dem
Eigentum der Einrichtungen ergeben, als vielmehr daraus, wie der einzelne
Bruder und die Kommunität sich in der jeweiligen Einrichtung
"einbringen". Wo immer dies aus einer Haltung des Dienstes
geschieht, werden die grundsätzlichen Forderungen der evangelischen Armut
nicht nur mit Sicherheit erfüllt, sondern zeichenhaft in die Praxis umgesetzt.
Denn die evangelische Armut kann und darf, vor allem in unserer Zeit, nicht nur
materieller und wirtschaftlicher Natur sein, sondern muß in umfassender Weise
den Verzicht auf "die verführerische Sicherheit des Besitzes, des
Wissens und der Macht"[24]
signalisieren.
50 Die Leitung und Verwaltung von Gesundheits-
und Sozialein richtungen, die den
aktuellen Erfordernissen unserer Gesellschaft und zugleich dem
"Geist" unseres Ordensstifters Johannes von Gott entsprechen sollen,
setzt ein erhebliches, ökonomisches Potential voraus, durch das sowohl eine
angemessene Effizienz als auch eine gerechte Vergütung der Mitarbeiter
sichergestellt sein muß.
Die Schwierigkeiten, die damit verbunden
sind, haben bei manchen den Gedanken aufkommen lassen, daß es besser wäre, sich
kleineren
und somit tragbareren Werken zuzuwenden. Das Charisma der Hospitalität
kann in vielfältigen Formen Ausdruck finden und der Orden hat in diesem
Zusammenhang stets eine pluralistische Einstellung vertreten. Die Übernahme
kleinerer Werke ist deswegen unter diesem Gesichtspunkt ein durchaus
vertretbarer Gedanke. Bei der Abwägung der wirtschaftlichen Probleme, vor die
der Orden durch die Verwaltung seiner großen Einrichtungen gestellt wird, muß
man sich jedoch vor allen anderen Dingen die Kriterien vor Augen führen, die
von den Konstitutionen in diesem Zusammenhang zu einer richtigen
Entscheidungsfindung vorgegeben sind:
"Damit unser Apostolat der
Hospitalität im Einklang mit den Werten und Ansprüchen des Reiches Gottes
bleibt, achten wir aufmerksam auf die Zeichen der Zeit und interpretieren sie
im Lichte des Evangeliums."[25]
Aus dieser Sicht genügen die Einwände
wirtschaftlicher Natur für sich allein nicht, um eine eventuelle Aufgabe der
großen Werke zu rechtfertigen.
Vielmehr leitet sich daraus die Herausforderung
her, daß der Orden seine Tätigkeit auf die Gegebenheiten, Erfordernisse und
Ansprüche des jeweiligen Gesundheits- und Sozialnetzes abstimmen soll, was in
der heutigen Zeit bedeutet, daß er seine Einrichtungen auf der Grundlage
gediegener, betriebswirtschaftlicher Kriterien leiten und verwalten muß.
51 An der grundlegenden Zielsetzung des Ordens
ändert sich dadurch nichts: Sie bleibt
nach wie vor, die Liebe Gottes zu den Menschen durch eine möglichst ganzheitliche
Betreuung sichtbar zu machen. Zur Erreichung dieser Zielsetzung kann
der moderne Betriebsablauf maßgeblich beitragen, können durch ihn die
Humanisierung wie auch die allgemeine Wirksamkeit doch erheblich verbessert
werden.
Aus dem konfessionellen Charakter der
Einrichtungen des Ordens, auf den wir an anderer Stelle punktuell Bezug nehmen
werden, folgt, daß sich der Orden als Unternehmer an einem entsprechenden,
zeitgemäßen Konzept orientiert, das seine Wurzeln in der Soziallehre der Kirche
hat.
52 Indem der Orden in der Öffentlichkeit als konfessionelles,
katholisches Unternehmen
auftritt, übernimmt er bewußt die Verantwortung, so auf die Strukturen und
Arbeitsabläufe in seinen Einrichtungen einzuwirken, daß sie eine
"Betriebskultur" widerspiegeln, die an seinen grundlegenden
Wertvorstellungen orientiert ist.
Ausgehend von der öffentlich bekundeten,
katholischen Ausrichtung seiner Einrichtungen, stützt sich der Orden bei der
Leitung, Verwaltung und Gestaltung seiner Werke auf die Lehre der Kirche, durch
die die Botschaft des Evangeliums in der Zeit wahrheitsgetreu gewahrt wird.
Durch die Leitung, Verwaltung und
Gestaltung seiner Werke will der Orden folgende Ziele verwirklichen:
- den
Kranken und Bedürftigen eine wirksame Hilfe anbieten;
- die
ganzheitliche Entfaltung der Personen fördern;
- solide,
wirtschaftliche Voraussetzungen für alle Beteiligten schaffen;
- das
Fortbestehen seiner Werke sichern, damit er die Reich-Gottes-Arbeit, die ihm
von der Kirche im Gesundheits- und Sozialdienst anvertraut worden ist, wirksam
fortführen kann.
53 Obgleich der Orden seinen Ursprung in einem
Charisma hat, ist und muß der Faktor
Mensch, gerade weil jede Organisation Menschenwerk und somit von Menschen
gebildet und ihren Anstrengungen getragen wird, das bestimmende Element seines
Gesamtwerkes sein.[26]
Deswegen ist es das Anliegen des Ordens,
zwischen dem Orden als Organisation und den Mitarbeitern eine Beziehung herzustellen,
die den Bedürfnissen und Rechten beider Seiten gerecht wird. Die
verantwortlichen Gremien, die für die Personalleitung zuständig sind, haben
daher die primäre Aufgabe, die Mitarbeiter unter Berücksichtigung ihrer
Bedürfnisse und der Zielsetzungen des Ordens sowie mit Blick auf die
Forderungen der sozialen Gerechtigkeit zu motivieren, zu fördern, auszuwählen
und zu integrieren.
Die Personalpolitik wird natürlich
maßgeblich von lokalen Faktoren und Interessenfaktoren beeinflußt. Von der
Wirksamkeit der Personalleitung wird weitgehend die Einsatzfreude der
Mitarbeiter und ihre Integrationsbereitschaft abhängen und nicht zuletzt der
Grad, in dem sie sich mit dem Unternehmen und dem, was es darstellt,
identifizieren. Eine wichtige Rolle spielt dabei, inwieweit es gelingt, die
Ziele des Unternehmens mit denen der Mitarbeiter in Einklang zu bringen und Leistung
und Kosten in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander zu stellen.
Die Personalleitung erfordert heute von den
damit Beauftragten eine fundierte, fachliche Kompetenz. Außerdem ist dazu eine
eigene Leitungsstruktur notwendig, von der die entsprechenden
Entscheidungsprozesse im Zusammenspiel von Betriebswirtschaft und
Menschenführung wahrgenommen werden sollen.
54 Der Orden erkennt der Ausbildung und Förderung des
Personals einen großen
Stellenwert zu. Deswegen ist es sein Anliegen, den Fähigkeiten, Neigungen und
Bedürfnissen seiner Mitarbeiter soweit als möglich entgegenzukommen und ihnen
zur beidseitigen Befriedigung eine quantitativ und qualitativ reichgefächerte
Dienstpalette anzubieten. Wo dies geschieht, ist sicher mit einer verstärkten
Motivation von seiten aller Beteiligten zu rechnen. Wo dies hingegen nicht
geschieht, kommt es unweigerlich zu Entfremdung und Konflikten.
Zur Förderung des Personals sollen die
verantwortlichen Leitungsgremien Bildungsinitiativen auf allen Ebenen anbieten
und die damit verbundenen Ausgaben in das Budget des Hauses einplanen.
55 Die Letztverantwortlichen einer Einrichtung
müssen sich bewußt sein, daß mit der
Personalleitung heute weit mehr verbunden ist, als die Auswahl, Einstellung und
Lohnabrechnung der Mitarbeiter. Ihr obliegt die Sorge um so grundlegende
Faktoren wie die Einteilung des Arbeitsumfanges, der Arbeitszeit, die Leistungskontrolle
und anderes mehr, wie z.B.:
- die
Motivation zur Arbeit und zur Leistung;
- Gewicht
und Einfluß des Faktors Mensch in einem Betrieb;
- die
zwischenmenschliche Kommunikation nach oben, nach unten und zwischen gleich und
gleich;
- Funktion
der Autorität und Führungsstil;
- Teamarbeit:
Voraussetzungen und Durchführung;
- usw.
Diesen Fragen muß beim Aufbau und der
Strukturierung der Beziehungen zwischen Brüdern und Mitarbeitern größte
Aufmerksamkeit geschenkt werden. Schließlich kann es dem Orden, im Sinne des
bisher Gesagten, nur darum gehen, geeignete Voraussetzungen dafür zu schaffen,
daß seine Mitarbeiter über das reine Arbeitsverhältnis hinaus ein besonderes
Näheverhältnis zum Orden und seinem Gedankengut entwickeln, damit den Menschen,
denen Brüder und Mitarbeiter gemeinsam dienen, eine immer menschenwürdigere
Betreuung angeboten werden kann.
In Konfliktsituationen werden für den Orden
stets die Rechte des kranken und hilfsbedürftigen Menschen[27]
an erster Stelle stehen. Nichtsdestoweniger wird er in solchen Fällen immer
darum bemüht sein, ein ausgewogenes und objektives Verhalten zu zeigen, damit
sein Verhältnis zu den Mitarbeitern in keinem Augenblick getrübt werde.
ZWEITES
KAPITEL
Die gemeinsame
Verpflichtung von Ordensleuten und Laien
zur
Reich-Gottes-Arbeit in der Gemeinschaft der Kirche
Einleitung
56 Auf den vorhergehenden Seiten haben wir
versucht, das Mit- einander von
Brüdern und Mitarbeitern auf dem Hintergrund ihrer menschlichen Gemeinsamkeiten
und ihres gemeinsamen Handelns für den kranken und hilfsbedürftigen Menschen zu
erhellen.
Nun wollen wir in die Dimension des Glaubens
eintreten, aus der die Brüder ihr Leben nach dem Vorbild ihres heiligen
Gründers Gott geweiht haben. In dieser Dimension verbindet sie ein besonderes
Band mit den Mitarbeitern, die sich, wie sie, als Zeugen des Auferstandenen
Christus verstehen.
Der Glaube ist eine Gabe und Aufgabe. Die Kraft des
Glaubens kommt dem Menschen nicht nur vom Menschen. Deswegen respektiert der
Orden andere Weltanschauungen, erachtet es aber zugleich als sein Recht und
seine Pflicht, diese Dimension, die nie genug ausgeschöpft werden kann, ganz
besonders zur Geltung zu bringen.
Im ersten Teil des folgenden Kapitels
werden wir uns, ausgehend von der Kirchenlehre, ausführlich mit der Berufung
des Laienchristen befassen. Im zweiten Teil werden wir hingegen die Identität
des Barmherzigen Bruders und seinen Auftrag, in Gemeinschaft mit anderen sein
Leben Gott zu weihen, zu verdeutlichen suchen. Dabei werden uns die
Konstitutionen des Ordens und die Schriften des Ex-Generalpriors Fr. Pierluigi
Marchesi eine große Hilfe sein.
Das Ideal, nach dem wir streben, ist,
gemeinsam mit allen gläubigen Menschen, die in unseren Einrichtungen ein- und
ausgehen, eine echte Hauskirche zu begründen.
Das Zweite Vatikanische Konzil hat den
Begriff "Hauskirche" erstmals für die Familie eingeführt; Paul VI.
sprach von ihr als der "christlichen Keimzelle" in der Gesellschaft.[28]
Der Orden betrachtet es als seine Aufgabe,
mit allen gläubigen Mitarbeitern eine solche Art Hauskirche zu bilden. Dieses
Bestreben stellt in keiner Weise ein Hindernis für die Ausbildung eines übergreifenden
Familiengeistes dar, in dem sich alle Mitarbeiter ohne Ausnahme als
Mitträger seines sozialen Auftrages wiederfinden können und sollen.
Selbstverständnis und Sendungsauftrag der Laien in der Kirche
57 Bei den folgenden Überlegungen werden wir uns
maßgeblich auf das Apostolische
Schreiben Christifideles laici von Papst Johannes Paul II. stützen. Als
Ausdruck des kirchlichen Lehramtes und Frucht der Reflexionen der
Bischofssynode, die vom 1. bis 30.November 1987 in Rom stattgefunden hat,
verdient dieses Dokument unsere ganze Aufmerksamkeit, um so mehr als von ihm
das Selbstverständnis und der Sendungsauftrag des Christgläubigen mit Blick auf
unsere Zeit in umfassender Weise erhellt wird.
Durch das ganze Schreiben zieht sich als
roter Leitfaden das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20, 1-7) und
die Bildrede vom Weinstock und den Reben (Joh 15, 1-8). Dadurch wollte der
Heilige Vater deutlich machen, daß alle in Christus Getauften Christus
einverleibt und wie er dazu berufen sind, den Menschen das Reich Gottes zu
verkünden und sichtbar zu machen.
Die Würde der Laien im Geheimnis der Kirche
58 Die Gabe des Geistes, die in der Taufe
gegeben wird, verleiht allen
Gläubigen eine besondere Würde, die unauslöschbar ihre Identität als Personen
bestimmt: Durch die Taufe werden wir, gesalbt durch den Heiligen Geist, als
Kinder Gottes zu neuen Menschen erschaffen, werden wir zu lebendigen
Gliedern des Leibes Christi. Als in Christus Getaufte sind wir dazu
berufen, seine Sendung fortzuführen. Denn als Christgläubige, die "durch
die Taufe Christus einverleibt und zum Volk Gottes gemacht wurden", haben
wir am priesterlichen, prophetischen und königlichen Amt Christi Anteil und
sollen zu unserem Teil "die Sendung des ganzen christlichen Volkes in der
Kirche und in der Welt ausüben."[29]
Diese Teilhabe leitet sich vom gemeinsamen Sein
aller Christen her, da auf dieser Ebene vom Heiligen Geist eine grundsätzliche Gleichheit
unter allen Getauften hergestellt wird, die über den Bereich des Handelns
hinausgeht.[30]
Der "Weltcharakter" der Berufung des Laien
59 Der Laie ist als solcher in besonderer Weise
dazu berufen, die welthafte Dimension
der Kirche in der Welt sichtbar zu machen. In diesem Sinne "stellen das
In-der-Welt-Sein und In-der-Welt-Handeln für die Laien nicht nur eine
anthropologische und soziologische Gegebenheit dar, sondern auch und vor allem
eine spezifisch theologische und kirchliche", denn "die gemeinsame
Taufwürde ist dem Laien in einer Weise zu eigen, die ihn vom Priester und von
den Ordensleuten zwar unterscheidet, aber doch nicht trennt... Das Zweite
Vatikanische Konzil hat diese Modalität im Weltcharakter gefaßt."[31]
Zur Heiligkeit berufen
60 Alle Christen sind dazu berufen, sich
Christus gleichzuge stalten. Für uns alle
gilt die Aufforderung:"Wie er, der euch berufen hat, heilig ist, so soll
auch euer ganzes Leben heilig werden" (1 Petr 1, 15). Diese Aufforderung
erwächst uns aus der Taufe und wird bei der Feier der anderen Sakramente immer
wieder von neuem an uns gestellt.
Der Laie soll seine Berufung zur Heiligkeit im
Alltag leben. Er soll sein Tun im Alltag, eingedenk der Mahnung,
"euch selbst als lebendiges und heiliges Opfer darzubringen" (Röm 12,
1), als Möglichkeit der Vereinigung mit Gott und der Erfüllung seines Willens
sowie als Dienst an den anderen Menschen betrachten.[32]
Die Teilhabe der Laien am Leben der Kirche -
der "Communio"-Gedanke
61 In der Taufe werden wir durch den Heiligen
Geist in das Leben Christi eingegliedert
und so zu Teilhabern an der geheimnisvollen Gemeinschaft des Sohnes mit dem
Vater in der Hingabe des Heiligen Geistes. Dieses Mit-Gott-durch-Jesus-Christus-im-Heiligen-Geist-Sein
schafft unter den Getauften ein umspannendes Band der Gemeinschaft,
deren Quelle Jesus Christus ist.
Der "Communio"-Gedanke, das
ist die geheimnisvolle Gemeinschaft, die den Herrn und die Jünger, den Herrn
und alle Getauften zu einer Einheit verbindet, bringt sicher am besten das
Wesen der Kirche zum Ausdruck: Gemeinschaft mit dem dreieinigen Gott;
Gemeinschaft mit Christus als dem Haupt der Kirche; Gemeinschaft unter allen
Gliedern der Kirche, angefangen beim Papst bis zum letzten Gläubigen;
Gemeinschaft, die zugleich Gabe und Aufgabe ist.
Durch dieses innige Miteinander findet, wie
uns Jesus gelehrt hat, nicht nur das Schöpfungswerk des Vaters seine
Fortsetzung; es ist vielmehr unabdingbare Voraussetzung dafür, daß sein
Heilsplan "sich erfüllen" kann, daß die Menschen seinen Heilsplan
überhaupt erkennen und annehmen können.
Ohne das Fundament der Gemeinschaft
kann die Kirche nicht Kirche Jesu sein; ohne das Fundament der Gemeinschaft
gleicht der Gläubige einer vom Weinstock, d.h. von Christus, entfernten Rebe,
die keine Frucht bringen kann (vgl. Joh 15, 6).
Deswegen muß der Gläubige in Entsprechung
auf die
Gabe zur Gemeinschaft, die ihm gegeben wurde, ständig darum bemüht
sein, seine Tendenz zum Individualismus zu überwinden, und die Zusammenarbeit
mit den anderen Gläubigen suchen, um jedwede schädliche Selbstbezogenheit zu
meiden.
62 Die Laien sind kraft ihrer Teilhabe an der
Gemeinschaft der Kirche dazu
berufen, an der Begründung und Festigung dieser Gemeinschaft mitzuwirken und zu
ihrer Bereicherung beizutragen, indem sie an dem Platz, an dem sie vom Heiligen
Geist gestellt worden sind, sich aktiv an ihrem Leben und ihrer Sendung durch
die Einbringung ihrer besonderen Gaben beteiligen sollen. Zugleich sollen sie,
wie uns vom hl. Paulus gelehrt wurde, die Gaben jener schätzen zu wissen, die
vom Heiligen Geist in der Kirche zu besonderen Aufgaben berufen und bestellt
worden sind (vgl. 1Kor 12, 12.4-6).
Die Mitverantwortung der Laien für die Kirche in ihrer
Sendung
63 Die Erfahrung der Gemeinschaft im Schoß der
Kirche bewirkt, daß sich der
einzelne Gläubige spontan zur Reich-Gottes-Arbeit veranlaßt
fühlt. Die Gabe der Gemeinschaft ist so in einem gewissen Sinne eine
Triebfeder, die mit aller Kraft darauf hinwirkt, daß diese Gabe an die gesamte
Menschheit weitergegeben wird. Diesem inneren Ruf sollen die Laien, kraft ihrer
spezifischen Berufung, dadurch entsprechen, daß sie ihr In-der-Welt-Sein und
In-der-Welt-Handeln nach dem Geist des Evangeliums gestalten, d.h. sie sollen
durch ihr alltägliches Tun das Evangelium leben und verkündigen, indem sie ihr
Leben in den Dienst der menschlichen Person und der Gesellschaft stellen.
In unserer heutigen, weitgehend
säkularisierten Gesellschaft ist der Laie in ganz besonderem Maße dazu berufen,
Sauerteig,
Salz und Licht (Mt 13, 33; 5, 13-16) der Welt zu sein. Durch sein auf
Christus hingerichtetes Leben kann und soll er zeichenhaft vor seiner Umwelt
dafür eintreten, daß ein echtes Miteinander unter den Menschen und ein
gerechter Gebrauch der Güter möglich ist, der Respekt vor dem anderen und
seiner persönlichen Freiheit konkret in die Praxis umgesetzt werden kann und
daß man der Tendenz zur Herrschsucht, Besitzgier, Genußsucht und Ausbeutung des
anderen wirksam entgegenwirken kann.
64 Der Papst weist den Laien in dem Apostolischen
Schreiben eine ganze Reihe von
grundlegenden Aufgaben zu, die sie in ihrem In-der-Welt-Sein und
In-der-Welt-Handeln erfüllen sollen:
- Die
Würde des Menschen fördern. Dabei handelt es sich um "eine
wesentliche Aufgabe, ja in einem gewissen Sinn (um) die zentrale und alle
anderen einschließende Aufgabe im Kontext des Dienstes an der
Menschheitsfamilie, zu dem die Kirche und in ihr die Laien berufen sind."[33]
- Das
Leben lieben, dem Leben dienen, das Leben fördern. Das unantastbare
Recht der Person auf das Leben muß in allen Phasen seiner Entwicklung, von der
Empfängnis bis zum natürlichen Tod, gewahrt werden. Obwohl die Sendung und
Verantwortung für die Verteidigung dieses unantastbaren Rechtes jedem
übergeben sind, sind "einige Laien aufgrund ihrer spezifischen Eigenschaft
in besonderer Weise dazu berufen: Eltern, Erzieher, im Gesundheitswesen
Arbeitende... Den Laien, die aufgrund ihrer Berufung oder ihres Berufes
unmittelbar mit der Bejahung des Lebens konfrontiert werden, kommt es zu, das
'Ja' der Kirche zum menschlichen Leben konkret und wirksam zu machen."[34]
- Die
religiöse Dimension des Menschen sichtbar machen und fördern. Denn
"das Verhältnis zu Gott ist Bestandteil des 'Seins' und des 'Existierens'
des Menschen."[35]
Alle Gläubigen haben deswegen die Aufgabe, konkret für das Recht auf Gewissensfreiheit
und Religionsfreiheit einzutreten.
- Zeugen
und Träger der Solidarität sein. Die Solidarität soll zunächst einmal
durch einen einfachen Lebensstil signalisiert und dann konkret durch die
Nächstenliebe in die Praxis umgesetzt werden, denn "durch die
Nächstenliebe leben und bezeugen die Laien ihre Teilhabe am Königsein
Christi..., der 'nicht gekommen (ist), um sich dienen zu lassen, sondern um zu
dienen' (Mk 10, 45)..., weil die Liebe die höchste Gabe ist, die der Geist für den
Aufbau der Kirche (vgl. 1 Kor 13, 13) und für das Wohl der Menschheit
schenkt."[36]
- Den
Menschen in die Mitte des wirtschaftlichen und sozialen Lebens stellen.
Die Laien sollen darauf hinwirken, daß die Produktionsmittel, das
Privateigentum und die Schätze der Erde wirksam in den Dienst des Menschen
gestellt werden.[37]
Einsatzbereiche
65 Der Auftrag Christi an die Apostel:"Geht
hinaus in die ganze Welt, und verkündet
das Evangelium allen Geschöpfen!" (Mk 16, 15), verweist auf den weiten
Bereich der Reich-Gottes-Arbeit. Die Laien haben kraft ihrer besonderen
Berufung zum In-der-Welt-Sein und In-der-Welt-Handeln die Aufgabe, alle weltlichen
Bereiche des menschlichen Lebens zu evangelisieren. Darunter hat der Papst in
seinem Apostolischen Schreiben mit besonderem Nachdruck folgende hervorgehoben:
die Familie, die Politik, die Arbeit, das kulturelle Leben und die
Kommunikationsmittel.
Vielfalt und Komplementarität der Berufungen
66 Der Heilige Geist, der über uns in der Taufe
ausgegossen wurde, durchwirkt jede
einzelne Person mit einer besonderen, einzigartigen Individualität. Das Wirken
des Heiligen Geistes bestimmt die persönliche Berufung des
Einzelnen im Zusammenspiel mit seinen Anlagen, seinem Geschlecht und seinem
Alter. Dadurch stellt sich im Leben der Kirche jene weitgefächerte Vielfalt
ein, die für ihre Vitalität ausschlaggebend ist und ihren unschätzbaren Reichtum
darstellt. Der Papst hat sich dazu wie folgt geäußert:"In der Kirche als
communio sind die Lebensstände derart aufeinander bezogen, daß sie aufeinander
ausgerichtet sind. Der tiefste Sinn der verschiedenen Lebensstände ist nur
einer und allen gemeinsam: (Allen Gläubigen) ist aufgegeben, eine Modalität
darzustellen, nach der die gleiche christliche Würde und die Berufung zur
Heiligkeit in der Vollkommenheit der Liebe gelebt werden. Diese Modalitäten
sind zugleich verschieden und komplementär."[38]
67 Jeder Christ soll, je nach seiner besonderen
Berufung, am Leben und an der Sendung
der Kirche mitwirken, indem er seine Gaben in ihren Dienst und in den Dienst
der Gesellschaft stellt. Der Papst hat sich in diesem Zusammenhang ausdrücklich
an die Kinder, die Jugendlichen, die Alten, die Männer und die Frauen gewandt,
damit ein jeder mithilfe der Eigenschaften und Fähigkeiten, die ihm aus seinem
Lebensalter und Geschlecht erwachsen, aktiv und verantwortungsbewußt an der
Aufgabe der Evangelisierung der Gesellschaft mitwirke.[39]
In dem Apostolischen Schreiben ist sodann,
immer im Zusammenhang mit der Vielfalt der Berufungen und Lebensstände, ein
eigener Abschnitt den Kranken und Leidenden gewidmet, also einem Bereich des
menschlichen Lebens, der uns ganz besonders am Herzen liegt. Die Leitgedanken,
die in dieser Hinsicht zur Sprache kommen, verdienen hier kurz erwähnt zu
werden.
- Die
Kranken und Leidenden, an die sich die Konzilsväter mit der Botschaft
gewandt haben:"Wisset, daß ihr nicht allein, verlassen und unnütz seid:
Ihr seid das lebendige und leuchtende Antlitz Christi. In seinem Namen grüßt
euch das Konzil mit Liebe, gibt euch seinen Segen und versichert euch der
Freundschaft und Hilfe der Kirche"[40],
und die unser ehemaliger Generalprior Fr. Pierluigi Marchesi so bezeichnend
"unsere Universität" genannt hat, werden vom Papst nicht
nur wegen ihrer Ähnlichkeit mit Christus als die bevorzugten Kinder der Kirche
hingestellt, sondern auch als unersetzbare Träger der Evangelisierung.
In ihnen und für sie setzt Christus sein Heils- und Erlösungswerk fort; in
ihnen und für sie spricht er beim Vater vor; sie sind lebendige Zeichen für die
heilende Kraft der Liebe, Zeichen und Zeugen dafür, daß das menschliche Leiden eine
Lebenssituation ist, die dem Leben in keiner Weise seinen Sinn raubt,
sondern vielmehr die Möglichkeit eröffnet, neue Horizonte zur eigenen
Selbstverwirklichung und persönlichen Heiligung zu entdecken. "Das hat ein
Behinderter in der Synodenaula zum Ausdruck gebracht:'Es muß hervorgehoben
werden, daß die Christen, deren Leben Krankheit, Schmerz oder hohes Alter
zeichnet, von Gott nicht nur dazu aufgefordert werden, ihren Schmerz mit dem
Leiden Christi zu vereinen, sondern auch dazu berufen sind, jetzt schon die
erneuerende Kraft und die Freude des auferstandenen Christus aufzunehmen und
anderen weiterzugeben (vgl. 2 Kor 4, 10-11; 1 Petr 4, 13; Röm
8, 18 ff)."[41]
68 Der Orden legt großen Wert darauf, die
Mitarbeiter, die sich als lebendige
Glieder Christi verstehen und ins Leben einbringen, an der kostbaren Sendung zu
beteiligen, die ihm zur Evangelisierung der Kranken und Hilfsbedürftigen
anvertraut worden ist. Das erfordert, daß ein jeder die Verpflichtung, die ihm
in der Taufe übergeben wurde, mit einer sich ständig erneuernden Kraft
wahrnimmt und mit Freude und Einfachheit lebt. Das muß vor allen anderen Dingen
in der eigenen Familie geschehen, wo die christliche Solidarität und
Nächstenliebe sorgfältig gepflegt werden will. In diesem Sinn ist es sein
Anliegen, das unschätzbare Gut, das er in Glauben und Wissen seiner Mitarbeiter
hat, mit den Gaben zu verbinden, die der Orden in und durch seine Mitglieder
empfangen hat, damit im Miteinander dieser Gaben seine evangelisierende Kraft
und Wirksamkeit in den Einrichtungen, die er im Namen der Kirche leitet,
ständig wächst und die Menschen, die darin Aufnahme finden, die Liebe Gottes
entdecken und erfahren können.
Einmal mehr möchten wir hier mit den Worten
des Papstes verdeutlichen, wie sehr die Kirche und der Orden die Mitarbeit der
Laien brauchen:
"Die christliche Gemeinschaft hat von
Jahrhundert zu Jahrhundert in den großen Scharen der Kranken und Leidenden das
Gleichnis des guten Samariters aus dem Evangelium neugeschrieben. Sie hat die
heilende und tröstende Liebe Jesu geoffenbart und weitergegeben durch das
Zeugnis des gottgeweihten Lebens, das sich dem Dienst der Kranken widmet, und
durch den unermüdlichen Einsatz aller, die im Gesundheitswesen arbeiten. Heute
stellen auch in den katholischen Krankenhäusern und Kliniken die Laien, Männer
und Frauen, die immer stärkere und zuweilen einzige Präsenz dar. Gerade sie,
die Ärzte, Krankenpfleger, Pflegehelfer, freiwilligen Helfer sind
dazu berufen, in der Liebe zu den Kranken und Leidenden ein lebendiges Abbild
Christi und seiner Kirche zu sein."[42]
Standort und Funktion der Kommunität in den Werken
69 Eine eingehende Auseinandersetzung mit diesem
weittragenden Thema würde sicher den
Rahmen dieser Schrift sprengen. Deswegen soll es auch nur im Zusammenhang mit
der Beziehung zwischen Brüdern und Mitarbeitern abgehandelt werden, wobei wir
aus unserer Warte das Thema der Mitverantwortung aller Gläubigen für die Sendung
der Kirche, mit besonderem Augenmerk auf den Gesundheits- und Sozialdienst,
vertiefen wollen. Damit hoffen wir, einen willkommenen Beitrag zum besseren,
gegenseitigen Kennenlernen von Brüdern und Mitarbeitern zu leisten und
einen ersten Schritt für ein engeres Miteinander unter ihnen
zu setzen. Es versteht sich von selbst, daß sich dieser zweite Teil nicht nur
an die Laienchristen wendet, die in den Einrichtungen des Ordens tätig
sind, sondern an alle Personen, die aus den verschiedensten Gründen in engem
Kontakt mit uns Brüdern leben und wirken. Im folgenden werden wir uns vor allem
mit folgenden Fragen beschäftigen:
- Wer
sind wir, für wen und für was leben und arbeiten wir.
- Die
gemeinschaftliche Dimension unseres Lebens.
- Der
apostolische Daseinsgrund der Kommunität und jedes einzelnen ihrer Mitglieder.
Wer sind wir, für wen und für was leben und arbeiten wir
70 Bei dem Versuch, den Sinn unseres Daseins und
Tuns zu erklären, gilt es vorab eine
Kernfrage zu beantworten, die an unsere Lebensgrundlagen selbst rührt: WER SIND WIR?
Anhand der Konstitutionen des Ordens läßt
sich diese Frage zunächst wie folgt beantworten:
Der Barmherzige Bruder ist ein
Christgläubiger, der in der Gemeinschaft der Kirche durch die Taufweihe den
Geist empfangen hat. Durch denselben Geist ist er erneut "mit einer
besonderen Gabe geweiht worden, um in Keuschheit, Armut, Gehorsam und Hospitalität
zu leben."[43]
Es ist also das Moment der
"Weihe", das dem Leben des Barmherzigen Bruders seinen spezifischen
Sinn und Inhalt gibt. Dabei handelt es sich um "eine besondere Weihe,
die in der Taufweihe wurzelt und dieser eine größere Fülle
verleiht..." und das Ziel hat, daß sich die so Geweihten "mit
ihrem ganzen Sein für immer Christus schenken und sich in seine engere
Nachfolge stellen."[44]
Durch diese Ganzhingabe "gibt sich der Christgläubige dem über alles
geliebten Gott vollständig zu eigen, sodaß er selbst durch einen neuen und
ganz besonderen Titel auf Gottes Dienst und Ehre hingeordnet wird."[45]
71 Beim Barmherzigen Bruder ist der Kernpunkt
dieser "beson deren Weihe" und
dieses "neuen und ganz besonderen Titels", den er durch seine Weihe
erhält, das Charisma und die Gabe der Hospitalität.[46]
Es ist also die Weihe in der Hospitalität,
die den Barmherzigen Bruder vom Mitarbeiter unterscheidet. Unterscheidet, aber
nicht "trennt". Die Weihe ist in der Kirche eine besondere Form der
Teilhabe am Leben Jesu von Nazareth, der vom Geist gesalbt und geweiht wurde,
um den Armen die gute Nachricht zu bringen, die Kranken zu heilen und den
Unterdrückten die Freiheit zu geben.[47]
Jesus erfüllte seine Sendung nicht abgeschieden und "getrennt" von
den Menschen. Vielmehr machte er sich den Menschen gleich, lebte
wie sie (Phil 2, 7), aß und trank mit den Armen und Sündern und erfuhr an sich
selbst das Leid und das Begrenztsein des Menschen (vgl. Heb 2,
17-18).
Die Weihe in der Hospitalität ist daher ein
wesentlicher Bestandteil der Identität des Barmherzigen Bruders und bildet in
einem gewissen Sinn den Kern seiner "Sonder- und Eigenheit".
72 Die Identität einer Person äußert sich in
ihrem Leben und in ihren Handlungen.
Aus dem vorher aufgeführten Kernsatz, daß der Barmherzige Bruder durch seine
besondere Weihe auf "Gottes Dienst und Ehre"[48]
hingeordnet ist, läßt sich nun die Frage, für wen er lebt und handelt, genauer
beantworten: Durch seine Weihe nimmt er in besonderer Weise am Opferkult und an
der Lobpreisung Gottes teil:"Und damit geben wir unser Leben als lebendige
und heilige Opfergabe hin, in Einheit mit dem wahren Opferkult, den Christus in
der Kirche dargebracht hat. Wir nehmen an seinem priesterlichen Amt durch die
Erfüllung unserer Sendung der Hospitalität Anteil."[49]
Der Barmherzige Bruder weiht sich also
Gott, um "am Aufbau der Kirche durch den Dienst an Gott in den leidenden
Menschen mitzuarbeiten."[50]
Die Teilnahme des Barmherzigen Bruders am
priesterlichen Amt Christi, die ihm durch seine Weihe in der Hospitalität als
Gabe und Pflicht gegeben wird, findet ihren konkreten Ausdruck "durch
die Erfüllung unserer Sendung der Hospitalität."[51]
73 Zusammenfassend kann gesagt werden: Das Leben
des Barmher zigen Bruders
"gehört" Gott und dem hilfsbedürftigen Menschen. Mit welchem Ziel? Er
will, daß "durch (sein) Leben die besondere Liebe des Vaters zu den
Schwächsten offenbar wird. Ihnen (will er) nach dem Vorbild Jesu das Heil
bringen."[52]
Diese Kernaussage könnte mit zahlreichen
Auszügen aus den Konstitutionen weiter erhärtet werden, was jedoch nicht notwendig
ist. Noch einmal auf die eingangs gestellte Frage:"Wer sind wir, für wen
und für was leben wir?" zurückkommend, können wir jetzt im einzelnen
antworten:
Der Barmherzige Bruder
- ist
ein Mensch, der sich in der Kirche unter dem Titel der Hospitalität Gott
geweiht hat;
- sein
Leben ist auf den Dienst an Gott in den kranken und hilfsbedürftigen Menschen
hingeordnet;
- durch
sein Dasein für den kranken und hilfsbedürftigen Menschen verkündet er das
Reich Gottes, d.h. ist er in apostolischem Sinne tätig.
Wir werden darauf gleich ausführlicher
zurückkommen.
Die Gemeinschaft - eine grundlegende Dimension im Leben
des Barmherzigen Bruders
74 Die Weihe und Identität des Barmherzigen
Bruders findet erst im Gemeinschaftsleben
ihren tiefsten Ausdruck.[53]
Im Hospitalorden spielt sich das Gemeinschaftsleben auf drei Ebenen ab, die
eng miteinander zusammenhängen. So bilden die Barmherzigen Brüder:
- eine Gemeinschaft des Glaubens und des
Gebetes;
- eine Gemeinschaft der Bruderliebe;
- eine apostolische Dienstgemeinschaft.
Diese drei Ebenen müssen im Leben des
Barmherzigen Bruders ein harmonisches Ganzes bilden, wenn er seine Berufung
voll zur Entfaltung bringen will.
75 Das Gebets- und Glaubensleben ist
Ausdruck unseres persön lichen und
gemeinschaftlichen Hingewandtseins zu Gott.
Zugleich ist es:
- "der
Ursprung unserer karitativen Sendung";[54]
- der
Raum, in dem wir unser tiefes Miteinander im Glauben, im Charisma und in der
Sendung mit unseren Mitbrüdern feiern und die Bruderliebe durch die Teilnahme
an den Sakramenten erneuern;[55]
- Betrachtung
und Begegnung mit Christus, aus der wir erkennen und schöpfen:
. den
Sinn des menschlichen Lebens und Leidens;
. die
Würde der menschlichen Person;
. die
Vorliebe Gottes für die Schwächsten;
. die
Treue zum Dienst am Menschen, den Gehorsam für den Willen Gottes und die
Hingabe für das Heil aller.[56]
76 Die Bruderliebe kommt uns, nach den
Konstitutionen, unmit telbar aus unserem
Charisma, das im einzelnen Bruder den Wunsch wach werden hat lassen, gemeinsam
mit den anderen Brüdern eine Familie zu begründen, eine
Familie, die ihr Dasein nicht von den Banden des Fleisches und des Blutes
herleitet, sondern vom Wort Christi, um mit ihm und in ihm zu leben, den Willen
des Vaters zu erfüllen und den Armen und Kranken das Evangelium zu verkünden.[57]
Die aktive und lebendige Beteiligung an
dieser Gemeinschaft ist die Frucht einer Glaubensentscheidung für die engere
Nachfolge Christi. Mit dieser Entscheidung verpflichtet sich der Einzelne,
seine Person mit allen ihren Gaben so in der Gemeinschaft einzubringen, daß in
ihr eine echte Einheit der Herzen besteht und ein Umfeld bietet, in dem die
Brüder Erfüllung und Freude finden.[58]
77 Die Bruderliebe ist außerdem "Zeichen
der Gegenwart des Herrn"[59]
und der deutlichste Beweis dafür, daß wir Jünger Jesu sind.[60]
Deswegen soll der Barmherzige Bruder sein Zugehörigkeitsgefühl klar und
deutlich bekunden und seine tiefe Verbundenheit mit seinen Mitbrüdern
bezeugen, um vor den Kranken und Mitarbeitern den tiefen Geist der Einheit
aufleuchten zu lassen, in dem wir "die Verschiedenheit der Gaben, mit
denen der Heilige Geist jeden Mitbruder ausstattet, annehmen."[61]
So erfüllen wir den Wunsch Jesu:"Alle sollen eins sein..., damit die Welt
glaubt, daß du mich gesandt hast."[62]
Apostolische Sinndeutung der Gemeinschaft und ihrer
Mitglieder
78 Die Bestimmung unserer Gemeinschaft als
Barmherzige Brüder liegt nicht
ausschließlich darin, die Begegnung mit Gott im Gebet zu fördern, und schon gar
nicht darin, eine Ersatzfamilie zu sein. Obwohl die beiden obengenannten
Aspekte zweifelsohne von grundlegender Bedeutung sind, muß hier in aller
Deutlichkeit hervorgehoben werden, daß wir vom Herrn, als er uns in die
Gemeinschaft der Barmherzigen Brüder berief, mit einer ganz besonderen Aufgabe
betraut worden sind, nämlich der, den Armen und Hilfsbedürftigen das Reich
Gottes zu verkünden.[63]
Die Konstitutionen des Ordens verweisen
wiederholt auf die durch und durch apostolische Bestimmung der Gemeinschaft und
ihrer einzelnen Mitglieder. Deswegen erübrigt sich hier eine ausführliche
Darstellung. Wir wollten diesen Aspekt nur kurz streifen, weil er für ein
richtiges Verständnis der Rolle, die die Kommunität in den Werken spielen soll,
unerläßlich ist.
Gemeinschaftsstiftende Gemeinschaft
79 Aus dem bisher Gesagten folgt, daß die
Gemeinschaften der Barmherzigen
Brüder offene Gemeinschaften sein müssen, Zeichen des brüderlichen
Miteinanders sein müssen, kurzum eine gemeinschaftsstiftende Wirkung haben
müssen, d.h. das geschwisterliche und solidarische Denken unter den Menschen
verstärkt ausbilden helfen sollen.
Dieser Gedanke ist von unserem derzeitigen
Generalprior Fr. Brian O'Donnell beim Abschluß des Generalkapitels von 1988
treffend wie folgt zum Ausdruck gebracht worden:"Als Brüder sind wir
gerufen, Zeichen der Einheit in der Kirche zu sein... In unserer Kirche, in der
alle zum Dienst berufen sind, müssen wir Vor- und Leitbild durch unsere
spirituelle Energie und apostolische Vitalität sein. Als Brüder einer
Ordensfamilie... geben wir dem Leben und der Sendung der Kirche eine einheitliche,
brüderliche Dimension. Wir werden von den Leuten "Brüder" genannt und
unsere Aufgabe ist es, ihnen "Brüder" zu sein. Für uns ist es ein
großes Geschenk, daß wir vom Volk Gottes "Brüder" genannt werden.
Aber weit wichtiger ist für uns der Gedanke, "ihnen Brüder zu sein,",
denn das ist unsere Berufung: Den Kranken und Armen, den Schwachen und
Hilfsbedürftigen Bruder zu sein."[64]
Daseinssinn der Kommunität in den Werken
80 Aus dem bisher Gesagten kann nun auch der
Daseinssinn und die Funktion der
Kommunität in den Werken begriffen und verdeutlicht werden.
Halten wir noch einmal fest: Die
Werke des Ordens haben konfessionellen Charakter. Das bedeutet aber in keiner
Weise, daß der Orden sein Tätigkeitsfeld nach bestimmten Richtungen abgrenzt;
vielmehr sucht und ist er zur Zusammenarbeit mit anderen Organisationen bereit.
Wenn wir dies im Auge behalten und dazu die besondere Identität des Barmherzigen
Bruders und seine primäre Bestimmung, in Gemeinschaft zu leben und zu
handeln, berücksichtigen, kann der Daseinssinn der Kommunitäten der
Barmherzigen Brüder in den Einrichtungen des Ordens wie folgt
auseinandergesetzt werden:
Die in einer Ordenseinrichtung lebende und
tätige Gemeinschaft von Barmherzigen Brüdern hat die Aufgabe, "das Reich
Gottes unter den Armen und Kranken zu verkünden und gegenwärtig zu
machen", damit "durch (ihr) Leben die besondere Liebe des Vaters zu
den Schwächsten offenbar wird" und "der Barmherzige Jesus von
Nazareth in der Zeit lebendige Gegenwart bleibt."[65]
Indem die Barmherzigen Brüder versuchen, immer mehr die Gesinnungen Christi
zum kranken und bedürftigen Menschen zu verleiblichen[66],
folgen sie dem Beispiel ihres Stifters, des heiligen Johannes von Gott, nach,
der "vom Heiligen Geist getrieben und von der Macht der barmherzigen Liebe
des Vaters umgestaltet, die Liebe zu Gott und zum Nächsten in ungetrübter
Einheit lebte. Er gab sich ganz dem Heil seiner Brüder hin und ahmte in Treue
den Heiland in seinen Gesinnungen und Werken der Barmherzigkeit nach."[67]
81 Daraus kann geschlossen werden, daß sich der
tiefere Sinn von Sein und Tun einer
Gemeinschaft von Barmherzigen Brüdern in einer Einrichtung von der Weihe herleitet, durch
die sich die Barmherzigen Brüder im Dienst an den Kranken und Hilfsbedürftigen
ganz Gott schenken, um seine barmherzige Liebe sichtbar zu machen und so die
Frohe Botschaft zu verkünden.
Fr. Pierluigi Marchesi hat während seiner
Amtszeit als Generalprior des Ordens wiederholt auf die Notwendigkeit hingewiesen,
daß die Barmherzigen Brüder heute einen neuen Stil bei ihrem
Für-die-Kranken-Dasein entwickeln müssen. Die Verhaltensmuster und
Lebensformen, durch die dieses Für-die-Kranken-Dasein des Einzelnen
und der Gemeinschaft konkret Ausdruck finden sollte, haben einen fruchtbaren
Niederschlag in den Schriften "Die Humanisierung" und "Die
Hospitalität der Barmherzigen Brüder - Aufbruch in das Jahr 2000"
gefunden. Die aktuelle Rolle des Barmherzigen Bruders wurde darin vor allem in
folgenden Aufgaben gesehen:
Er soll
- Zeuge und ethischer Wegweiser
- kritisches Gewissen
- kreativ und
- prophetisch sein.
Zeugen und ethische Wegweiser
82 Die Weihe an Gott im Dienst an den Kranken
und Hilfsbedürf tigen ist eine Gabe,
durch die sowohl der einzelne Bruder als auch die Gemeinschaft zu "Zeugen"
eingesetzt werden, d.h.:
- sich
als Menschen zu erkennen geben sollen, die die barmherzige Liebe des Vaters an
sich selbst erfahren haben und beschlossen haben, ihr Leben der Barmherzigkeit
zu weihen, um Jesus von Nazareth nach dem Vorbild des hl. Johannes von Gott
nachzuahmen;
- sich
als Menschen zu erkennen geben sollen, die in Jesus Christus das Ideal des
Menschen verehren, den Gott von Anfang an erschaffen wollte, einen Menschen,
der zur Gemeinschaft mit ihm und mit den anderen Menschen berufen ist. Auf
diesem Hintergrund:
. haben
sie den Wert, die Würde, den Sinn und die überirdische Bestimmung der
menschlichen Person erkannt;
. die
Überzeugung gewonnen, daß Gott den Menschen zum Leben und nicht zum Tod
bestimmt hat, sein Glück und nicht sein Leiden will;
. in
und durch Christus den Sinn des Leidens erkannt;
- vom
selben Geist durchdrungen, der Jesus von Nazareth dazu trieb, die Kranken zu
heilen, die Unterdrückten von ihrer Not zu befreien, den Armen die gute
Nachricht von der allumfassenden Liebe des Vaters zu bringen und sich zum
Diener aller zu machen:
. haben
sie beschlossen, Christus durch die Ganzhingabe ihres Lebens im Dienst an den
Armen und Kranken nachzuahmen.
Die Zeichenhaftigkeit des Barmherzigen
Bruders ruht also auf zwei Kernpunkten:
- sie
wollen und sollen Zeugen der barmherzigen Liebe des Vaters sein;
- sie
wollen und sollen dieses ihr Zeugen-Sein durch den Dienst an den Kranken und
Hilfsbedürftigen leben.
In diesen beiden Kernaussagen ist sicher am
besten die Sendung des Barmherzigen Bruders und sein Daseinssinn in einer
Sozialeinrichtung zusammengefaßt.
83 Aus dem Zeichenwert, den der Barmherzige
Bruder seinem Leben geben soll, erwächst
ihm unmittelbar auch die Aufgabe, unerschrocken vor den Personen, mit denen er
im Dienst an den kranken Menschen in Berührung kommt, als "ethischer
Wegweiser" aufzutreten.
Seine Lebenseinstellung und Weltanschauung
veranlaßt ihn, offen auf die Mitarbeiter zuzugehen und sich darüber zu freuen,
daß auch andere Menschen durch ihr Sein und Tun die Liebe Gottes zu den
Menschen sichtbar machen, selbst dann, wenn es ungewollt oder unbewußt
geschieht. Er betrachtet die Mitarbeiter als Weggefährten und Freunde, die,
insofern es sich um gläubige Christen handelt, im Dienst am hilfsbedürftigen
Menschen die apostolische Dimension ihres Lebens ausfüllen, während er in allen
anderen die Fähigkeit, das Beste von sich der leidenden Menschheit zu widmen,
anerkennend zu schätzen weiß.
Darüberhinaus erkennt er im Mitarbeiter
seinen Nächsten, der Verständnis, Hilfe und Aufmunterung braucht. Er sieht in
ihm einen Menschen, der, wie alle anderen, den Wechselfällen des Lebens
ausgesetzt ist und hofft, in seinem Arbeitsumfeld Verständnis und
Entgegenkommen zu finden, damit er seine Fähigkeiten zum Nutzen der anderen
optimal zur Entfaltung bringen kann.
Kritisches Gewissen
84 Christ sein heißt auch den Mut dazu haben,
"Zeichen des Widerspuchs" zu
sein. Mit seiner Ganzhingabe an Gott hat der Barmherzige Bruder beschlossen,
die evangelischen Werte zu leben und zu fördern und den Dienst am menschlichen
Leben sowie dessen Schutz und Förderung zu seiner Lebensaufgabe zu machen. Diese
grundlegende Verpflichtung verlangt von ihm immer wieder von neuem klare und
bindende Antworten.
Der Fortschritt von Wissenschaft und
Technik hat dem Menschen die Möglichkeit eröffnet, direkt auf Anfang, Entwicklung
und Ende des menschlichen Lebensprozesses Einfluß zu nehmen; eine Tatsache, die
bis vor wenigen Jahrzehnten noch unvorstellbar war. Die wissenschaftlichen und
technischen Errungenschaften, die, entgegen allen anderen Vorstellungen und
Interessen, stets die Verbesserung der Lebensverhältnisse des Menschen zum
Ziel haben sollten, werden vermehrt in einer Weise eingesetzt und angewandt,
die den grundlegenden Rechten der menschlichen Person, d.h. geboren zu werden,
menschenwürdig zu leben und zu sterben, entgegenlaufen.
85 Wir leben heute in einer säkularisierten
Gesellschaft, in der jeder das Recht
hat, nach seiner Weltanschauung zu leben, sei sie nun religiöser oder
atheistischer Ausrichtung. Das ist eine Tatsache, die wir anerkennen müssen.
Ebenso müssen wir anerkennen, daß es in unseren Einrichtungen Menschen gibt,
die ungläubig sind und nicht nach den Werten des Evangeliums leben. Als Barmherzige
Brüder müssen wir die Gewissensentscheidung dieser Menschen genauso wie die
aller anderen respektieren.
Aber die Tatsache, daß wir die Lebens- und
Denkweise Andersdenkender anerkennen und respektieren, bedeutet nicht, daß wir
ihre Grundsätze und Wertvorstellungen gutheißen oder sie mit denen, aus denen
heraus wir leben, gleichsetzen.
Das Prinzip der Gewissensfreiheit, das
unsere Auffassung vom Leben und vom Menschen entscheidend mitprägt, gibt uns
das Recht und erlegt uns zugleich die Pflicht auf, die unserer Berufung eigenen
Wertvorstellungen getreu der Lehre der Kirche zu leben und in die Praxis
umzusetzen.
86 Aus diesem Sachverhalt erwächst den
Gemeinschaften und jedem einzelnen
Mitglied des Ordens der Barmherzigen Brüder eine Herausforderung, der sie nicht
ausweichen können und dürfen: Sie haben die Pflicht, dafür zu sorgen, daß in
den Einrichtungen des Ordens im Bereich der Bioethik die deontologischen und
ethischen Grundsätze der Kirche beachtet und angewandt werden.
Diese Aufgabe stellt an die Barmherzigen
Brüder hohe Ansprüche. Die wichtigsten davon können wie folgt zusammengefaßt
werden:
- Eine
Gemeinschaft von Barmherzigen Brüdern hat mit der Hilfe aller ihrer Mitglieder
darüber zu wachen, daß die Tätigkeit der Einrichtung, in der sie lebt und
wirkt, den Werten unseres Charismas entspricht. Diese grundlegende Funktion
übertrifft an Bedeutung alle anderen Funktionen, die in Vergangenheit von einer
Gemeinschaft von Barmherzigen Brüdern ausgeübt wurden. Diese Funktion muß sie
ausüben, wenn sie dem Charisma des Ordens in den neuen Zeitverhältnissen
schöpferisch treu bleiben will.
- Eine
Gemeinschaft von Barmherzigen Brüdern und jedes einzelne ihrer Mitglieder muß
über die
neuen Entwicklungen im Bereich der Bioethik Bescheid wissen und die
Vorteile und Gefahren kennen, die der Fortschritt von Wissenschaft und Technik
für das menschliche Leben mit sich bringt, um angemessen und konsequent handeln
zu können. In diesem Zusammenhang stellt sich vordringlich die Forderung nach
einer fundierten, ständigen Weiterbildung, die alle Lebensbereiche des
Barmherzigen Bruders mit ständiger Bezugnahme auf die evangelischen Werte
erfassen muß.
Kreativität
87 Die Kreativität ist eine Gabe des Menschen,
die vom Barm herzigen Bruder beim Dienst
an den Kranken und Hilfsbedürftigen fruchtbar zu deren leiblichem und
seelischem Wohl in Ansatz gebracht werden soll. Johannes von Gott gilt zurecht
als ein "Bahnbrecher" in der Kunst, dem anderen zu helfen. Der Orden
der Barmherzigen Brüder wußte sich diesem Erbe stets verpflichtet und hat in
seiner langen Geschichte unter zahlreichen Gesichtspunkten zum Fortschritt der
Medizin und der ganzheitlichen Betreuung des hilfsbedürftigen Menschen
beigetragen. Denn die Barmherzigen Brüder hatten immer ein waches Auge für die
neuen Nöte und Bedürfnislagen des Menschen.
In den letzten Jahren hat der Orden
angesichts der zunehmenden Kälte und Anonymität, die durch die wachsende
Technifizierung und "Verwissenschaftlichung" des Sozial- und Gesundheitswesens
über den kranken und hilfsbedürftigen Menschen hereingebrochen ist, verstärkt
den Akzent seines Handelns auf die Wahrung der Würde des Menschen als
untrennbare Ganzheit gesetzt. So kann ruhigen Gewissens behauptet werden, daß
der Orden in den letzten Jahren ein beachtliches Stück Pionierarbeit bei der
Humanisierung des Gesundheitsdienstes geleistet hat. Die Barmherzigen
Brüder spürten die Gefahr, daß in den hochmodernen Gesundheitseinrichtungen
unserer Zeit der kranke Mensch neben der medizinischen Technik und elektronischen
Datenerfassung immer mehr zu verschwinden und zu einer einfachen Nummer oder
einem rein klinischen Fall zu werden drohte. Diese Gefahr hat bis heute nichts
von ihrer Brisanz verloren.
88 Sowohl eine Gemeinschaft von Barmherzigen
Brüdern als auch jedes einzelne ihrer
Mitglieder muß für die persönlichen Bedürfnisse des Menschen, der in ihre
Einrichtungen kommt, eine ganz besondere Hellhörigkeit haben. Dabei muß der
ganze Mensch mit seinem sozialen und familiären Umfeld beachtet werden. So können
selbst verborgene oder unausgesprochene Bedürfnisse erkannt und wirksam
angegangen werden.
Fr. Pierluigi Marchesi hat dazu in einer
Schrift wie folgt Stellung genommen:"Die Übung, einem Kranken täglich
zuzuhören, empfehle ich euch allen. Dann werdet ihr nach kurzer Zeit erkennen,
daß wir in unseren Werken Vorläufer sein können, wenn wir auf den Kranken hinhören und
danach konsequent zu handeln imstande sind. Haben wir einmal unser
Gehör für den Kranken geschärft, werden wir auch neue Programme studieren,
erforschen und erproben können und unsere alten und fruchtlosen Gewohnheiten
ändern."[68]
Prophetie
89 Die drei Handlungsebenen des Barmherzigen
Bruders, die wir soeben skizzenhaft
angerissen haben, münden, wie wir sogleich sehen werden, unmittelbar in die
Aufgabe der Prophetie. Nach dem biblischen Verständnis ist ein
prophetischer Mensch:
- Zeuge der Gegenwart Gottes unter den
Menschen;
- Zeichen
und Sakrament des Heils Gottes, ein Zeichen, das im und durch das eigene Leben
Gestalt annimmt;
- Ankündigung,
in Wort und Tat, des Gottes, der das Heil bringt, und des Heils, das Gott
wirkt;
- lebendige
Mahnung, in Wort und Tat, vor den Übergriffen gegen das göttliche
Gesetz und mithin gegen die "Rechte" des Schwachen.
Eine Gemeinschaft von Barmherzigen Brüdern
und der einzelne Barmherzige Bruder werden der prophetischen Aufgabe, die mit
ihrer Berufung und Sendung verbunden ist, gerecht, wenn sie:
- die
barmherzige Liebe des Vaters sichtbar und erfahrbar machen;
- die
Gegenwart Christi unter den Kranken und Hilfsbedürftigen in der Zeit lebendig
erhalten;
- das
Reich Gottes nach dem Vorbild des heiligen Johannes von Gott verkünden.
Erst unter diesen Vorzeichen erlangt ihr
Dasein und Wirken in einer Einrichtung einen echt kirchlichen Gehalt.
In Gemeinschaft mit Christus als dem Hohenpriester der
Kirche evangelisieren wir die Kranken und Leidenden
90 Am Schluß dieses Kapitels können wir sagen,
daß die Barm herzigen Brüder und die
Laienchristen, die als Mitarbeiter ihr Werk mittragen, in einer ganz besonderen Weise am
priesterlichen Amt Christi teilhaben. Christus, der als Priester der
ganzen Menschheit eingesetzt wurde ["Du bist Priester auf ewig nach der
Ordnung Melchisedeks" (Heb 5, 6)], übte dieses sein umfassendes
Priesteramt als Dienst am Menschen aus, indem er sein Leben für alle hingab
(vgl. Mt 20, 28), damit wir das Leben in Fülle haben (vgl. Joh
10, 10). Die Barmherzigen Brüder und ihre christlich orientierten Mitarbeiter
wollen und sollen unter Wahrung der ihnen eigenen Identität, d.h. alle
gemeinsam aus ihrer gemeinsamen Taufweihe und Firmung, die Brüder aus ihrer
spezifischen Ordensweihe heraus, ohne Unterschied am Amt Christi als
dem barmherzigen und treuen Hohenpriester (vgl. Heb 2, 17)
teilnehmen.
Mit dem heiligen Paulus können wir
abschließend sagen, daß es bei dieser Teilhabe weder Mann noch Frau gibt,
sondern wir alle eins sind in Jesus Christus (vgl. Gal 3, 28).
DRITTES
KAPITEL
Die
Beteiligung der Mitarbeiter
an
Charisma, Spiritualität und Sendung
des
Ordens der Barmherzigen Brüder
Geschichtlicher Abriß
91 Der Hospitalorden vom heiligen Johannes von
Gott, der heute auf allen fünf
Kontinenten in über 200 Sozial- und Gesundheitseinrichtungen tätig ist, trat
im Jahr 1538 in der spanischen Stadt Granada durch die Person des Johannes von
Gott ins Leben. Dieser gab, nachdem er durch eine Predigt des hl. Johannes von
Avila aufgerüttelt und vom Heiligen Geist erleuchtet worden war, alles, was ihm
bisher lieb und teuer gewesen war, auf und beschloß, in Wort und Tat den
Notleidenden seiner Zeit die barmherzige Liebe Gottes näherzubringen.
Seine innere Wandlung vollzog sich derart
ungewöhnlich, daß die Leute glaubten, er hätte den Verstand verloren. So
lieferte man ihn ins Königliche Hospital ein, wo er in eine Abteilung für Geisteskranke
gesperrt wurde. Dort erkannte er, wie er die barmherzige Liebe Gottes konkret
an den Schwächsten seiner Zeit in die Praxis umsetzen konnte: Sein erklärtes
Ziel war seitdem, ein Hospital zu gründen, in dem die Armen und Kranken eine
menschenwürdige und liebevolle Betreuung erfahren sollten.
Ganz auf sich allein gestellt begann er
dieses gewaltige Unternehmen. Zuerst sammelte er Almosen, die er unter den
Armen verteilte. Dann holte er die Ausgestoßenen von den Straßen und Plätzen
der Stadt und brachte sie zunächst in der Eingangshalle eines Hauses wohlhabender
Leute unter. Doch schon bald wurde der Raum zu eng, sodaß er gezwungen war,
nach einer neuen Möglichkeit Ausschau zu halten. Mit viel Erfindergeist und
praktischem Feingefühl gelang es ihm schließlich das Vorhaben, das er im
Königlichen Hospital gefaßt hatte, zu verwirklichen und eine echte
Zufluchtsstätte für Menschen in Not zu schaffen. Kurz vor seinem Tod, schrieb
er an einen Wohltäter:
"Da dies ein Haus für alle ist, werden
alle Arten von Kranken aufgenommen und auch alle Arten von Menschen. Es gibt
hier deshalb Versehrte, Verletzte, Aussätzige, Stumme, Verrückte, Gelähmte, mit
Krätze Behaftete, sehr alte Menschen und viele Kinder; überdies viele Pilger
und Reisende, deren Weg zu uns führt. Man gibt ihnen Feuer, Wasser, Salz und
Kochgeschirr, um sich ihr Essen zu bereiten... Insgesamt - Kranke und Gesunde,
Hilfskräfte und Pilger eingerechnet - sind es mehr als einhundertzehn."[69]
92 Die innere Kraft, von der Johannes von Gott
erfüllt war, kam ihm unmittelbar aus dem
Geist Jesu. Die ihm angeborene Liebesfähigkeit wuchs und erlangte beständig
neue Höhen durch die Erfahrung der barmherzigen Liebe Gottes. Durch die Gabe
der Hospitalität, die ihm vom Heiligen Geist gegeben wurde, "lebte er die
Liebe zu Gott und zum Nächsten in ungetrübter Einheit. Er gab sich ganz dem
Heil seiner Brüder hin und ahmte in Treue den Heiland in seinen Gesinnungen und
Werken der Barmherzigkeit nach... Unser Hospitalorden hat daher seinen Ursprung
im Evangelium von der Barmherzigkeit, wie es vom heiligen Johannes von Gott in
seiner ganzen Fülle gelebt wurde. Daher betrachten wir ihn mit Recht als
unseren Gründer."[70]
Die Weggefährten und Mitarbeiter des hl. Johannes von Gott
93 Johann von Gott verfaßte weder eine
Lebensregel noch eine Konstitution.
Aber seine Art, die Liebe Gottes durch den Dienst am Menschen in Not nach innen
und nach außen zu leben, wirkte auf viele seiner Zeitgenossen
"ansteckend". So scharten sich schon bald mehrere Gefährten um ihn
und halfen ihm, sein Werk der Liebe voranzutragen. Insbesondere im zweiten
Hospital, das er in der Cuesta de los Goméles errichtete, schlossen sich ihm
viele Menschen an.
Der erste Biograph des Heiligen schreibt:
"Das Beispiel des Lebens (von) Johann
von Gott war so groß und gefiel so vielen Menschen, daß viele sich angetrieben
fühlten und noch fühlen, ihn nachzuahmen und ihm auf seinem Weg zu folgen; sie
wollen unserem Herrn dienen und seinen Armen und den Beruf der Krankenpflege
nur um Gottes Willen ausüben."[71]
Johann von Gott hatte volles Vertrauen zu
den Personen, die ihm halfen, ganz besonders zu denen, die er seine
"Gefährten" nannte. So wissen wir etwa, daß er häufig außer Haus war,
um Almosen zu sammeln und anderen Menschen zu helfen. Von diesen Ausgängen kam
er meist erst sehr spät zurück. Daraus kann geschlossen werden, daß die Sorge
und Betreuung der Armen und Kranken zu einem großen Teil seinen Gefährten und
Helfern übertragen war. Anläßlich einer Reise nach Valladolid, die ihn mehr als
neun Monate von seinem Hospital fernhalten sollte, ließ er einen seiner
Gefährten und Freunde namens Anton Martín im Hospital zurück, "damit er
auf die Armen und das Haus bis zu seiner Rückkehr schaute."[72]
Als er seinen Tod näherkommen fühlte, rief er wiederum Anton Martín und
"empfahl ihm die Armen, die Waisen und die Verschämten und ermahnte ihn
mit heiligen Worten zu dem, was er tun solle."[73]
94 Neben den Personen, die wir heute als die
ersten Mitbrüder des heiligen Johannes
von Gott bezeichnen, halfen ihm jedoch noch viele andere Menschen bei seinem
Werk der Liebe: Ärzte, Apotheker, Priester und viele andere mehr, denn
"unser Herr sandte ihm Krankenpfleger, die ihm halfen, während er fortging
und um Almosen und Arzneien bat, um sie den Kranken zu bringen."[74]
Die Geschichte wollte, daß uns der Name
eines seiner Helfer bewahrt blieb, der ihn auf zahlreichen Reisen begleitete
und von ihm beauftragt wurde, in seinem Namen bei seinen Wohltätern Almosen zu
sammeln. Dabei handelt es sich um Johannes von Avila, den der Heilige liebevoll
einfach "meinen Angulo" nannte. Wie sehr Johannes von Gott Angulo
vertraute, beweist die Tatsache, daß dieser von ihm beauftragt wurde, in seinem
Namen am Hof vorzusprechen.[75]
Der Heilige spricht von ihm stets als von "meinem Begleiter Angulo".
Aber Angulo gehörte nicht zu seinen ersten Mitbrüdern, wie aus folgender
Aufzeichnung hervorgeht:
"... und den ich Euch anempfehle, denn
er und seine Frau befinden sich in großer Armut..."[76]
95 Neben den Brüdern und Helfern, die Johann von
Gott bei der Betreuung und Versorgung der Kranken und Armen tatkräftig unterstützten,
dürfen auf keinen Fall seine zahlreichen Wohltäter vergessen werden. Denn
Johann von Gott konnte seinen notleidenden Mitmenschen nur dank der Almosen
helfen, die er nicht nur von vornehmen und reichen Leuten, sondern auch und vor
allem vom einfachen Volk bei seinen vielen Bettelgängen erhielt. Große und
kleine Geldspenden, aber auch Brot und andere Nahrungsmittel halfen ihm, den
anderen zu helfen.
Wir können, ohne die historischen Belege
ins Unendliche schrauben zu müssen, mit Sicherheit davon ausgehen, daß Johann
von Gott sein Werk zu einem Großteil nur dank der Mitarbeit seiner ersten
Brüder, der Unterstützung seiner vielen Helfer und den Spenden seiner Wohltäter
vollbringen konnte.
Dasselbe gilt auch für seine Nachfolger,
die sich bald über ganz Spanien ausbreiteten: Die Brüder stellten Ärzte,
Chirurgen, Apotheker usw. ein.[77]
96 Die Liebe zu Gott, von der das Leben von
Johann von Gott so restlos ausgefüllt
wurde, bestimmte auch den Weg seiner Nachfolger und den ihrer Mitarbeiter und
Wohltäter: Die ersten beschlossen, seine Lebensform zu übernehmen und haben so
die Gabe der Hospitalität in der Kirche bewahrt; die zweiten stellten ihre
Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie einen großen Teil ihrer Zeit im Zeichen der
Nächstenliebe in den Dienst der Armen und Kranken; die dritten unterstützten
sein Werk mit Spenden und Almosen.
Auf diese Weise entstand in der Kirche eine
große Familie, die Familie der Barmherzigen Brüder, zu der nicht nur
die Barm-herzigen Brüder selbst, sondern auch all ihre Mitarbeiter -
An-gestellte, ehrenamtliche Helfer und Wohltäter - gehören. Das Ziel dieser
Familie war und ist es, die Liebesfähigkeit der Einzelnen je nach ihrer
Berufung im Geiste Jesu Christi bestmöglich auszuschöpfen.
Die Beteiligung der Mitarbeiter am Charisma des Ordens
97 Seit Johannes von Gott haben viele gläubige
Männer und Frauen sich ihn beim Dienst
an den Kranken und Hilfsbedürftigen zum Vorbild genommen, um auf der von ihm
vorgezeichneten Linie Jesus von Nazareth nachzuahmen, der umherzog, Gutes tat
und alle heilte (vgl. Apg 10, 38).
Aber jene, die sich ihn zum Vorbild gewählt
haben, haben nicht alle in derselben Weise an der besonderen Gabe Anteil, die
er vom Heiligen Geist empfangen hat und von der Kirche als Charisma der Hospitalität
bezeichnet wurde.
Wie wir bereits an anderer Stelle
ausgeführt haben, gibt es verschiedene Motivationen, aus denen heraus Menschen
sich für den Dienst an den Kranken und Hilfsbedürftigen entscheiden. Bei den
folgenden Überlegungen werden wir uns, wie das in der Natur der Sache liegt,
ausschließlich mit den Motivationen beschäftigen, die ihren Ursprung im christlichen
Glauben haben. Ziel dieser Überlegungen wird sein, die einzelnen Ebenen
der Beteiligung am Charisma der Hospitalität zu unterscheiden, das Johann von
Gott empfangen hat und von den Mitgliedern seines Hospitalordens als kostbares
Erbe übernommen wurde.
98 Seit dem II. Vatikanischen Konzil wird in der
Kirche viel von Charisma gesprochen.
Auch in der Alltagssprache haben sich verschiedene Redewendungen mit diesem
Wort eingebürgert. So sagt man etwa von einer Person:"Er
hat Charisma oder ihm fehlt das notwendige Charisma usw..." Im
folgenden werden wir versuchen, den Begriff "Charisma" in dieser
seiner Doppelbedeutung zu erfassen. Ausgehend von der Lehre des heiligen Paulus
soll einmal die Rede von den sogenannten charismatischen Personen bzw. den
Personen mit Charisma sein und zum anderen das theologische Verständnis des Begriffes
"Charisma" verdeutlicht werden.
99 Der heilige Paulus spricht von den Charismen
als Gaben,
die den Gläubigen vom Heiligen Geist zum
Wohl und zum Aufbau der Kirche gegeben werden. Diese Gaben oder auch
Gnadengaben, wie sie in der Kirchensprache genannt werden, erhält der einzelne
Gläubige. Es handelt sich also um etwas sehr persönliches, das dem Christen
helfen soll, in die Geheimnisse des Glaubens einzudringen und sich als Person
zu verwirklichen. Aber der Heilige Geist teilt sich dem einzelnen Christen
nicht mit, um ausschließlich in seiner individuellen Sphäre zu wirken, sondern
drängt danach, nach außen in die Kirche und in die Gemeinschaft der Menschen zu
wirken (vgl. 1 Kor 12, 4-7; Eph 4, 13).
Nach dem heiligen Paulus durchdringen und
bedingen sich Charisma und persönliche Berufung, d.h.
durchdringen und bedingen einander Charisma und Dienst, zu dem der
Einzelne in der Kirche bestellt ist (vgl. Röm 1, 1; 1 Kor 12,
4-6).
Bei der Vergabe eines Charismas richtet
sich der Heilige Geist zweifelsohne nach den persönlichen Anlagen des
Empfängers, d.h.: Durch das Charisma sollen die Eigenschaften und Fähigkeiten
des Betreffenden so integriert werden, daß er den Dienst, zu dem er berufen
ist, als etwas von seinem Inneren Kommendes und Beglückendes erlebt.
100 Die Sozialwissenschaften verstehen unter einer
charismati schen Person einen Menschen, der durch
seine Ausstrahlungskraft weite Personenkreise oder aber auch ganze
Gesellschaftsschichten in seinen Bann zu ziehen und tiefgreifend zu beeinflussen
vermag.
Diese Auffassung entspricht weitgehend der
des heiligen Paulus, auch wenn vom Charisma in diesem Zusammenhang nicht mehr
als Gabe
des Heiligen Geistes gesprochen wird. Die charismatische Person fühlt
sich von einer inneren Überzeugungskraft getrieben, die so groß ist, daß ihre
Worte und Handlungen mitreißend auf die anderen wirken und
gesellschaftsübergreifende Bewegungen auslösen, die, wenigstens im Prinzip,
darauf zielen, die Lebensverhältnisse der Angesprochenen zu verbessern.
Aus der Geschichte kennen wir zahlreiche
Persönlichkeiten, die in diesem Sinne als charismatische Menschen bezeichnet
werden können: Moses, Mohammed, Marx, Gandhi, Martin Luther King, Johannes
XXIII. und viele andere mehr, von denen der Lauf der Welt tiefgreifend
verändert worden ist. Es erübrigt sich wohl, daran zu erinnern, daß in dieser
Reihe Jesus von Nazareth, die zwölf Apostel und demselben heiligen Paulus ein
ganz besonderer Platz gebührt.
Das Ordensleben als Charisma
101 Der Heilige Geist verleiht die Charismen, wie
bereits gesagt, dem konkreten
Menschen. Aber in erster Linie teilt er sich der Kirche Christi mit, die von
ihrem Wesen her charismatischer Natur ist. Sie ist die Hüterin aller
Charismen. Als solche hat sie die Aufgabe, die Charismen der einzelnen Gläubigen
zu erkennen und wie eine sorgsame Mutter die verschiedenen Wege, auf denen
Menschen sich in Keuschheit, Armut und Gehorsam in die engere Nachfolge Christi
stellen, zu deuten und zu regeln. Zu diesem Zweck begrüßt und fördert sie
dauerhafte Lebensformen in dem Bewußtsein, daß das Ordensleben ein Geschenk
Gottes ist, das sie von ihrem Herrn empfangen hat und mit seiner Hilfe in der
Zeit erhalten soll.[78]
102 Die Hauptelemente, durch die sich die
Gläubigen, die Christus als
Ordensleute nachzufolgen beschlossen haben, von den anderen unterscheiden, sind
ihre
Weihe, ihr Gemeinschaftssinn und ihre besondere Sendung. Diese drei
Aspekte gehören zum innersten Wesen der Kirche. Die Ordensleute werden durch
ihre besondere Berufung dazu bestellt, diese drei Aspekte in einer ganz
besonderen Tiefe zu leben: Durch ihre Weihe verpflichten sie sich, nach dem
Vorbild Jesu alles, was sie sind und haben, als Ganzhingabe an Gott im Dienst
am Menschen darzubringen.
Die Weihe des Ordensmannes und der
Ordensfrau beruht im Kern auf einen Akt der Liebe Gottes. Denn es ist Gott, der
den Einzelnen, ohne daß der dies verdiente, dazu auserwählt, mit seinem Dasein
ein besonderes Zeichen für die überirdische Bestimmung des Menschen zu sein.
Dieses Zeichen kann wiederum nur durch die Ganzhingabe an Gott gesetzt werden:
durch die Versenkung in das Leben als Geschenk Gottes, durch die ständige
Danksagung, Verehrung und Lobpreisung Gottes als dem Spender allen Lebens,
durch die Opfergabe seines eigenen Lebens.
Der Ordensmann und die Ordensfrau erwidern
den Ruf Gottes, indem sie ihn als Herrn und absolutes Prinzip ihres Daseins
betrachten: Er ist das Ziel und die Mitte aller ihrer Hoffnungen und Pläne;
erst durch ihn wird das Leben lebenswert; er stillt ihr menschliches Verlangen
nach Freiheit und Liebe. Diese Überzeugung drängt sie, ihr Leben, ihr Sein und
ihre Talente, durch die freie Aufnahme der evangelischen Räte der Keuschheit,
der Armut und des Gehorsams, Gott als ihrem Herren "zu weihen".
103 Die Sendung, mit der der Ordensmann
und die Ordensfrau vom Heiligen Geist
betraut wird, besteht im wesentlichen darin, "bleibendes Andenken" an
Jesus Christus zu sein: Durch die Weihe des eigenen Daseins erinnern sie an die
Gestalt und Lehre des Sohnes Gottes, der aus dem Vater lebte und, durch dessen grenzenlose
Liebe bestärkt, sich in allem seinem Willen unterordnete und als Diener der
Menschheit zum Zeichen und Wegbereiter für ein von Egoismus und
Selbstentfremdung freies, menschliches Leben wurde.
Damit ist verbunden, daß der Ordensmann und
die Ordensfrau die ehelose Keuschheit um des Himmelreiches willen aufnehmen
und die Liebe wie Jesus in einer Form leben, durch die auf besondere Weise
sichtbar wird, daß das Leben ein Geschenk ist, das auch und vor allem durch ein
Näheverhältnis der Liebe, das den Menschen übersteigt, weitergegeben und
gepflegt werden kann. Das heißt nicht, daß die Ordensleute die eheliche Liebe
geringschätzen. Sie sind ganz einfach Zeichen und Träger der Liebe, die uns
Christus als Bräutigam der Menschheit gelehrt hat.
Mit der evangelischen Armut
wollen sich die Ordensleute im Bewußtsein darum, daß das Heil Gottes wohl eine
Gabe ist, aber zugleich auch errungen werden will, Jesus Christus gleichgestalten,
der gekommen ist, um der Menschheit zu dienen, und verwenden deswegen die
Güter der Erde als Mittel, um unter den Menschen gleiche Voraussetzungen für
alle zu schaffen. Deswegen vermeiden sie jede Güteranhäufung und teilen mit
ihren Mitmenschen alles, was sie sind haben.
Durch den Gehorsam übernehmen sie die
Grundeinstellung des Sohnes Gottes, der ganz auf den Vater hingeordnet lebte
und mit Leib und Seele seinen Willen erfüllte. Dadurch signalisieren die
Ordensleute der Menschheit zugleich auch den tieferen Sinn der menschlichen
Freiheit: Frei ist der, der zu einer so großen, inneren Freiheit gefunden hat,
daß ihm die Treue zu seiner persönlichen Berufung und die Verpflichtung zum
Dienst am anderen wie von selbst zur Lebensaufgabe wird.
104 Der tiefere Sinn ihres Gesandtseins äußert und
konkretisiert sich stets in einer ganz
bestimmten Wirkungsform in Kirche und Gesellschaft. Im Fall der apostolisch
orientierten Gemeinschaften ist es der Dienst der Liebe am Menschen, der
inmitten der Menschen zum Zeichen der Güte und Nähe Gottes
werden soll. Wenn wir in diesem Zusammenhang den Dienst der Barmherzigen Brüder
betrachten, erkennen wir, daß ihre "Sendung", wie wir bereits
dargelegt haben, an etwas tief Menschliches rührt und durch eine Tätigkeit
geschieht, die sich, der Form nach, in nichts von der der Pflegeberufe
unterscheidet. Doch der Auftrag Christi, den Menschen das Reich Gottes zu
verkünden, verleiht dieser, ihrer Tätigkeit eine neue Dimension, nämlich die
der Prophetie.
Bei seinem Dienst am Menschen handelt der
Bruder nach Jesus Christus: Die Erfahrung der Liebe Gottes drängt ihn, diese
Liebe im Dienst am Menschen durch seine selbstlose Ganzhingabe zu bezeugen und
so zu einem Verkünder des Heils zu werden.
105 Der Ordensmann und die Ordensfrau leben ihre
Weihe stets in Gemeinschaft mit
anderen, die wie sie dazu auserwählt und berufen worden sind, Jesus als
Mitglieder einer zur Kirche gehörigen Familie nachzufolgen, einer Familie,
deren Band der Einheit der Glaube an den einen Gott und Herrn, die Liebe zum
Heiligen Geist und die Hoffnung ist, daß sie mit ihrem Dasein zum Aufbau einer
menschlichen Ordnung beitragen, in der im Hier und Jetzt die Werte des
künftigen Reiches Gottes aufleuchten.
Die Gemeinschaft ist ein wesentliches
Unterscheidungsmerkmal des Ordenslebens. Durch ihr geschwisterliches Miteinander
wählen die Ordensleute einen Stil des Zusammenlebens, der sein Vorbild in der
Gemeinschaft Jesu mit den Aposteln hat: offen für den Willen des Vaters, eins
in Christus, alles allen gemeinsam, dient ihr Leben zur höheren Ehre Gottes und
Verkündigung der Guten Nachricht.
Johannes von Gott - eine charismatische Gestalt
106 Es kann kein Zweifel darüber herrschen, daß
Johannes von Gott in jeder Hinsicht eine
charismatische Persönlichkeit war. Die Menschen, mit denen er in Berührung kam,
fühlten sich auf geheimnisvolle Weise zu ihm hingezogen. Sein unermüdlicher
Einsatz für den Nächsten gab den Menschen zu denken und bewirkte bei vielen von
ihnen eine tiefgreifende Bewußtseinsveränderung. Sein Einfluß ging weit über
Granada hinaus, erreichte die Städte und Dörfer von Andalusien, Extremadura,
Kastilien und Leún. An ihm war etwas, das die Menschen mitriß. Daraus ist auch
der abrupte Meinungswechsel des Volkes über seine Person zu erklären: Der
Narr, als den sie ihn gekannt und in das Königliche Hospital gesperrt hatten,
hatte sich als Mann Gottes entpuppt. Nichts verdeutlicht diese Entwicklung
besser, als die Namensänderung, die an ihm vorgenommen wurde: Aus Johannes
Ciudad wurde Johannes von Gott, der Name, mit dem er in die Geschichte der
Kirche und der Menschheit eingehen sollte.
107 Aber das "Charisma", das er
empfangen hatte, reichte und wies weit
über seine Person hinaus: Es waren nicht nur seine Handlungen und Haltungen,
die Bewunderung hervorriefen und viele andere zur Mitarbeit an seinem Werk
anspornten.
Das Charisma der Hospitalität, mit dem er vom
Heiligen Geist beschenkt wurde, war dazu bestimmt, als Keim in anderen Menschen
weiterzuwachsen, die, durch die Erfahrung der barmherzigen Liebe
Gottes gedrängt, den Barmherzigen Jesus von Nazareth durch den Dienst
an den Leidenden nach dem Vorbild vom heiligen Johannes von Gott in der Zeit
lebendig erhalten wollen.[79]
Der Heilige Geist, der sich bei der
Durchführung seiner Pläne oft schwacher und unbedeutender Menschen bedient,
wollte in einer Zeit, in der eine von herausragenden Theologen und
Ordensstiftern vorangetriebene Reformbewegung die Kirche durchzog, die Macht
seiner Liebe dadurch zeigen, daß er einen Mann ohne Bildung wie Johann von Gott
erwählte, der durch nichts anderes Geschichte machte, als daß er die Liebe zu
Gott und zum nächsten in ungetrübter Einheit lebte. Dadurch wurde er zum
Stifter des Hospitalordens, der noch heute seinen Namen trägt.
108 Johann von Gott empfing das Charisma des
Ordenslebens, denn durch
ihn wirkte der Heilige Geist, von dem er "geweiht" worden
war. Diese Erfahrung gab seinem Leben einen neuen Sinn. Von dem Augenblick
seiner endgültigen Bekehrung an, fühlte sich Johann von Gott von der
barmherzigen Liebe Gottes erfüllt und getrieben, und verwandelt von der
grenzenlosen Liebe Jesu Christi. Dies war auch das Grundmotiv, aus dem er sein
Leben bedingungslos in den Dienst der Armen und Kranken stellte, wie er selbst
sagte:
"Und so sorge ich mich hier allein um
Jesus Christus... Johannes von Gott, der das Heil aller wünscht wie sein
eigenes."[80]
109 Es kann also gesagt werden, daß Johannes
von Gott ein "Laie" war, der in
der Kirche vom Heiligen Geist mit einer besonderen Berufung geweiht wurde.
So verstanden jedenfalls seine Gefährten
seine Person und sein Werk. Nach seinem Tod führten sie das, was von ihm
geschaffen worden war, gemeinsam in seinem "Geist" und nach seinem
Vorbild fort: zuerst in dem von ihm errichteten Krankenhaus in Granada, dann,
als sie immer mehr wurden, auch anderen Orten, wo ihr Bezugspunkt und ihr
"Herz" trotz der Ferne immer in Granada blieben.
So hat auch die Kirche seine Person und
sein Werk verstanden: Päpste und Bischöfe nannten und erklärten Johann von
Gott zum Stifter und Urheber des Werkes der Barmherzigen Brüder.
"... jener heilige, gerechte und
gottesfürchtige Mann, als der er in seinem ganzen heiligen und reinen Leben
durch die Werke, die er schuf, und die brennende Nächstenliebe, von der sein
Herz zu den Armen, Kranken, Betrübten und Notleidenden erfaßt war, auftrat, war
kraft göttlicher Eingebung der Vater, Gründer und Ursprung eurer Lebensregel
und Gemeinschaft."[81]
Daraus kann eine äußerst wichtige
Kernaussage hergeleitet werden: Johann von Gott hat nicht nur ein besonderes,
persönliches Charisma erhalten, sondern ein Gründercharisma, um das
sich in der Folge zahlreiche Menschen scharen sollten, um nach seinem Vorbild
in der Form einer Familie in der Kirche und in der Welt weiterzuwirken.
Zum theologischen Verständnis von Charisma, Sendung und
Spiritualität
110 Unter Anlehnung an die Lehre des heiligen
Paulus wollen wir nun kurz den Begriff Charisma
nach dem Verständnis der modernen Theologie definieren. Unter Charisma ist in
diesem Sinn das gesamte Wirken des Heiligen Geistes im Leben des Gläubigen zu
verstehen. durch das der Empfänger für den Dienst am Mitmenschen mit den
notwendigen Fähigkeiten und Voraussetzungen ausgestattet wird.
Die Kernelemente eines jeden Charismas sind
demnach:
- es
übersteigt die Person und wird ihr geschenkt: der Gläubige empfängt es
als Gabe, ohne daß er dies verdiente; es handelt sich also um ein reines
Geschenk des Heiligen Geistes;
- es
verstärkt die persönlichen Züge des Empfängers und fördert seine
Persönlichkeitsentfaltung: das Wirken des Heiligen Geistes ist für den
einzelnen beglückend und erfüllend;
- es
gibt dem Empfänger die Kraft, sich in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen:
die Erfahrung der Liebe Gottes ist Anstoß und Ansporn dazu, den Nächsten zu
lieben.
111 Durch die Sendung, die aus dem Charisma
entsteht, nimmt der Dienst an der Menschheit, zu
dem die Kirche berufen ist, konkrete Gestalt an. Das bedeutet:
- sie
ist unlösbar mit der Dimension des Glaubens verbunden, durch sie erfährt der
Glaube konkreten Ausdruck;
- sie
prägt die gesamte Existenz des Gläubigen und gibt seinem Handeln einen
"prophetischen" Sinn und Inhalt, ist An- und Verkündigung des
Heilswirkens Gottes unter den Menschen, denn der Dienst ist in einem gewissen
Sinn Zeichen
für die Gegenwart und das Wirken Gottes in der Geschichte und mithin Ankündigung
des Reiches Gottes.
112 Die Spiritualität ist die Seins- und
Lebensweise, die zur persönlichen
Identifikation mit Christus führt. Sie ist sozusagen die existentielle Ausdrucksform
des Charismas und der Sendung. Deswegen ist die Spiritualität eine
Realität, die den ganzen Menschen umfaßt, mit allem, was er ist und
hat, die sein Beten genauso wie sein Zugehen auf den Mitmenschen usw. betrifft.
In der Spiritualität äußert(n) sich
demnach:
- die
Form, in der man den Glauben lebt und zum Ausdruck bringt, wobei sowohl
die persönliche Begegnung mit Gott als auch die Weitergabe der eigenen
"Gotterfahrung" im Umgang mit den anderen sowie im tätigen Leben
gemeint ist;
- die
Form, in der man die Werte des Reiches Gottes in Wort und Tat mitvollzieht und
sichtbar macht;
- die
Zeichen, durch die die Gegenwart Gottes und seine Liebe zu den Menschen
sichtbar und erfahrbar gemacht wird;
- die
Form, in der die evangelischen Räte gelebt und zum Ausdruck gebracht werden,
wenn es sich um Ordensleute handelt.
113 Sendung und Spiritualität bedingen und
brauchen einander. Beide haben ihren
Ursprung im Charisma. Eine Spiritualität, die nicht auf die Evangelisierung
hingeordnet ist, ist unvorstellbar. Umgekehrt entbehrt eine Sendung, die nicht
in einer ausgeprägten Spiritualität ihre geistige Mitte hat, jeder
Daseinsgrundlage.
In den Konstitutionen des Hospitalordens
werden die Kernelemente des Charismas der Barmherzigen Brüder wie folgt dargestellt:
"Kraft dieser Gabe sind wir durch das
Wirken des Heiligen Geistes geweiht. Dieser macht uns auf einzigartige Weise
der barmherzigen Liebe des Vaters teilhaftig. Solche Erfahrung schafft in uns
Gesinnungen der Güte und Hingabe, bereitet uns zur Erfüllung unserer Sendung,
das Reich Gottes unter den Armen und Kranken zu verkünden und gegenwärtig zu
machen. Sie verwandelt unser Sein und bewirkt, daß durch unser Leben die
besondere Liebe des Vaters zu den Schwächsten offenbar wird. Ihnen wollen wir
nach dem Vorbild Jesu das Heil bringen."[82]
Die Sendung wird so umrissen:
"Ermutigt von der empfangenen Gabe,
weihen wir uns Gott und stellen uns durch die Betreuung der Kranken und
Hilfsbedürftigen in den Dienst der Kirche. Unter ihnen bevorzugen wir die
Ärmsten... Mit unserer Berufung zu Barmherzigen Brüdern hat Gott uns erwählt,
eine Gemeinschaft des apostolischen Lebens zu bilden."[83]
Die den Barmherzigen Brüdern eigene
Spiritualität besteht im Kern darin, "die Gesinnungen Christi zum
kranken und bedürftigen Menschen zu verleiblichen und sie durch Werke der
Barmherzigkeit zu offenbaren", dem leidenden Menschen "mit
Freude" beizustehen und "Zeichen und Ankündigung des Reiches
Gottes" zu sein.[84]
Die Beteiligung der Laienchristen am Leben des Ordens
114 Der Heilige Geist teilt die Charismen an
konkrete Personen zum Wohl der Kirche
und der Menschheit aus. Das Charisma bleibt jedoch nicht in der Einzelperson
gefangen, sondern "drängt nach außen" und greift kraft dieses Dranges
auf die anderen über.
Deswegen war das Charisma der Hospitalität,
das Johann von Gott empfangen hat, nicht nur ein Gut für ihn selbst. Seine
Wirkung erfaßte alle Menschen, mit denen er in Berührung kam: Arme und Brüder,
Wohltäter, Mitarbeiter und freiwillige Helfer, die ihm bei der Ausführung der
Sendung, die ihm vom Heiligen Geist anvertraut worden war, unterstützten. Wie
wir bereits vorher ausgeführt haben, handelt es sich beim Charisma der
Hospitalität um ein Gründercharisma. Deswegen verschwand es nicht mit dem Tod des
hl. Johannes von Gott, sondern lebte und lebt noch immer in den Menschen
weiter, die, wie er, dazu auserwählt werden, Wesen und Gestalt des Sohnes
Gottes nach seinem Vorbild neu aufleben zu lassen (vgl. Röm 8, 29), der
umherzog, Gutes tat und den Armen und Kranken die Gute Nachricht verkündete
(vgl. Apg 10, 38; Lk 7, 22).
Das Charisma der Hospitalität, das Johann
von Gott empfangen hat, lebt heute in der Kirche durch und in den Brüdern des
Hospitalordens vom hl. Johannes von Gott weiter. Gestern wie heute versuchen
sie, es in kreativer Treue an andere weiterzugeben, seine
"übergreifende" Wirkung zu bewahren, damit es in Zeit und Raum
bewahrt bleibe.
115 Unter den Mitarbeitern des Ordens wird immer
wieder die Frage laut:
"In welcher Weise haben wir am
Charisma des heiligen Johannes von Gott Anteil?"
Mit Papst Johannes Paul II. können wir
darauf zunächst antworten:"Sie (die Charismen) werden dem einzelnen
gegeben, können aber von anderen geteilt werden, so daß sie als kostbares und
lebendiges Erbe in der Zeit fortdauern und zwischen einzelnen Menschen eine
besondere geistige Verwandtschaft schaffen."[85]
Genau in diesem Sinne ist das Charisma zu sehen, das Johann von Gott empfangen
hat. Direkt
haben an ihm all jene Anteil, die dieselbe Berufung wie er erhalten haben und
sich im Hospitalorden in die engere Nachfolge Christi stellen. Gemeint sind
damit natürlich die Barmherzigen Brüder. Es kann gut der Fall sein, daß auch
andere Personen sein Charisma erhalten, es aber aus verschiedenen Gründen nicht
entdecken oder lebensmäßig entfalten können.
Die Laienchristen, die nicht dieselbe
Berufung wie der heilige Johannes von Gott erhalten, haben an seinem Charisma
auf indirekte
Weise Anteil. Diese Form der Beteiligung am Charisma ist eine Frucht der
"übergreifenden Wirkung", die von ihm ausgeht: Wer Johann von Gott
durch Lektüre oder den direkten Kontakt mit seinen Brüdern kennenlernt, macht
die Erfahrung, daß in sein Leben ein Lichtstrahl fällt, der in ihm den Wunsch
wach werden läßt, die Hospitalität nach dem Vorbild von Johann von Gott bzw.
seiner Brüder zu leben.
116 An dieser Stelle wollen wir es nicht
unterlassen, auf einen wichtigen
Punkt hinzuweisen: Das Charisma der Hospitalität ist nicht ein Alleingut der
Barmherzigen Brüder. Es ist eine Gabe des Heiligen Geistes an die Kirche, die
sich in vielfältigen Formen äußert. Als solche erfahren sie und haben an ihr
alle Christgläubigen Anteil.
Diese grundlegende Voraussetzung macht es
erst möglich, daß diejenigen, die mit Johannes von Gott und seinem Werk in
Berührung kommen, die Erfahrung machen können, daß ihre Fähigkeit zur
Nächstenliebe steigerungsfähig ist und in ihnen der Ruf, sie zur vollen
Entfaltung zu bringen, laut wird. Doch ein jeder erhält diese Gabe in
Übereinstimmung mit seiner christlichen Berufung.
Zusammenfassend kann also gesagt werden,
daß das Charisma des Hospitalordens vom hl. Johannes von Gott den Mitgliedern
dieser Gemeinschaft, d.h. den Barmherzigen Brüdern, wesenseigen ist und
die Laienchristen, die den Drang verspüren, die Hospitalität zu leben, an ihm
insofern Anteil haben, als sie die Spiritualität und Sendung der
Brüder gemäß ihrer persönlichen Berufung in ihrem Leben aufnehmen.
Selbstverständlich gibt es hier vielfältige
Formen der Beteiligung. So wird es solche geben, die ein besonderes Näheverhältnis
zur Spiritualität des Ordens haben; andere wiederum werden direkt an seiner
Sendung mitwirken. Worauf es jedoch letztendlich ankommt, ist, daß die Gabe der
Hospitalität, die Johann von Gott empfangen hat, unter den Brüdern und ihren
Mitarbeitern ein Band der Gemeinschaft spannt, durch dessen Halt sich alle
getragen und dazu angespornt fühlen, ihre christliche Berufung zur Entfaltung
zu bringen und für den kranken und hilfsbedürftigen Menschen Zeichen der barmherzigen
Liebe Gottes zu sein.
Die Tatsache, daß sich die Inhalte und
Ausdrucksformen der Hospitalität, als dem gemeinsamen Nenner der Berufung von
Brüdern und Laien, im Umfeld des Ordens gegenseitig ergänzen und durchdringen
können und sollen, bedeutet für alle Beteiligten eine große Bereicherung. Denn
je tiefer der Einzelne seine christliche Berufung in Treue zu seiner inneren
Stimme verinnerlicht und ausschöpft, desto beglückender erlebt er das Wirken
des Heiligen Geistes und die Früchte dieses Wirkens.
117 Inwieweit der Einzelne fähig ist, Denken und
Handeln des Menschensohnes im
konkreten Leben nachzuvollziehen und sich ihm gleichzugestalten, hängt
andererseits wesentlich davon ab, wie er aus der persönlichen Gabe schöpft, die
er empfangen hat. An einer anderen Stelle haben wir diese persönliche Suche
nach der Gleichgestaltung mit Christus Spiritualität genannt. Wir stellten
fest, daß Spiritualität in der Praxis die existentielle Ausdrucksform von
Charisma und Sendung ist und die gesamte Person umfaßt und prägt.
Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß
sich viele Aspekte der Spiritualität des Ordens bei seinen Mitarbeitern
wiederfinden. Diese Gemeinsamkeiten gilt es auszuschöpfen und in eine engere
Beziehung zueinander zu stellen. Auf ihrer Grundlage kann und soll es zu
Begegnungen und Gesprächen kommen, kann und soll sich zwischen Brüdern und
Mitarbeitern auch eine Gebetsgemeinschaft herausbilden. Solche Beziehungen
übersteigen natürlich das Arbeitsverhältnis. Deswegen muß ihre Pflege und ihr
Ausbau auch außerhalb der Arbeitszeit geplant und durchgeführt werden, damit es
zu keinen Konflikten kommt. Jeder Beteiligte muß um den Aufbau und Erhalt
solcher Beziehungen bemüht sein und frei und bewußt die damit verbundene
Verantwortung übernehmen, zu der nicht zuletzt auch die gehört, durch sein
Leben ein überzeugendes Zeugnis zu geben.
Eine solche Beziehung und Begegnung setzt
voraus, daß der Einzelne und jede Gruppe sich aus der eigenen Spiritualität und
aus der eigenen Berufung heraus einbringen können, damit es zu einer echten
gegenseitigen Bereicherung kommt und jeder dem anderen bei seiner
"Jesussuche" Stütze und Wegweiser ist.
118 Ein Aspekt des Lebens des Ordens, an dem die
Mitarbeiter unmittelbar teilhaben, ist der
Dienst am kranken und hilfsbedürftigen Menschen. Da wir in diesem
Kapitel aus der Dimension des Glaubens sprechen, dürfen wir daran erinnern, daß
alle Getauften dazu berufen sind, gemäß ihrer Bestimmung bei ihrem alltäglichen
Tätigsein an der Evangelisierung mitzuwirken.
Unter diesem Gesichtspunkt sind die
Gläubigen, die als Mitarbeiter in den Werken des Ordens tätig sind, dazu
berufen, bei ihrer Arbeit ihre Verpflichtung zur Reich-Gottes-Arbeit zu
erfüllen. Neben ihrem fachlichen Können sollen sie so den Menschen, denen sie dienen,
und den Menschen, mit denen sie zusammenarbeiten, die Güte und Nähe Jesu
Christi durch ihr Handeln vermitteln. Ihre Arbeit kann und soll auf diese Weise
Mittel zur Reich-Gottes-Arbeit werden.
Manchmal beschränkt man sich darauf, sein
Christsein zu bestimmten Zeiten und in bestimmten Orten zu leben, und scheut
sich davor, sich als Christ im Alltag und bei der Arbeit zu erkennen zu geben.
Aber fragen wir uns: Gibt es einen geeigneteren Ort als ein Krankenhaus oder
eine Sozialeinrichtung, um Christus erfahrbar und sichtbar zu machen, wo doch
gerade dort das Verlangen nach einer allumfassenden und allauffangenden Liebe,
so wie sie nur Gott geben kann, besonders stark ist? Vergessen wir nie, daß wir
als Diener der Armen und Kranken die Aufgabe haben, ihnen die Nähe und Wärme
Gottes zu vermitteln.
In den Einrichtungen der Barmherzigen
Brüder wird großer Wert darauf gelegt, daß im kranken und hilfsbedürftigen
Menschen Christus erkannt und verehrt wird. Diese Haltung muß gepflegt und
ständig aus dem Glauben weiter vertieft werden, damit der hilfsbedürftige
Mensch seine persönliche Würde als Kind Gottes in ihrer ganzen Fülle erfahren
kann. Dabei handelt es sich um ein "unveräußerliches Recht", das den
Armen und Leidenden von Jesus verliehen worden ist. Zugleich muß jedoch noch
ein anderes Recht geltend gemacht werden, nämlich das, Christi Gegenwart auch
in all jenen, die für den kranken Menschen sorgen, d.h. sowohl Brüdern als auch
Mitarbeitern, zu erkennen und zu verehren. Diese gegenseitige Anerkennung erfordert
eine ganz besondere Anstrengung und eine ständige Erneuerung des eigenen
Christseins.
119 Die Beteiligung der gläubigen Mitarbeiter der
Barmherzigen Brüder an der Sendung des
Ordens beschränkt sich nicht nur auf die evangelisierende Mitwirkung am
apostolischen Dienst, sondern schließt auch die Aufgabe zur Wortverkündigung
ein. Das heißt: Der gläubige Mitarbeiter soll für seinen Glauben einstehen,
sich als Christ in Tat und Wort zu erkennen geben und an der Pastoral
mitwirken.
Die Aufgabe der Krankenpastoral bzw. der
Hospitalpastoral obliegt nicht nur den Brüdern, sondern betrifft auch
die anderen Gläubigen, die in einer Einrichtung der Barmherzigen Brüder tätig
sind. Wir haben bereits darauf hingewiesen, daß der Dienst am kranken und
hilfsbedürftigen Menschen Reich-Gottes-Arbeit und mithin Pastoral ist. Es kann
gesagt werden, daß der aus dem Glauben heraus gelebte Dienst im kranken und
hilfsbedürftigen Menschen den Boden dafür schafft, daß er für die Verkündigung
der Frohen Botschaft Christi empfänglich wird. Doch die Aufgabe der Pastoral
verlangt mehr als nur einen wirksam geleisteten Dienst: Zu ihr gehören die
Katechesearbeit, die liturgischen Feiern genauso wie die Pflege des Gebets.
Bei der Durchführung der Pastoralprogramme
erlangt die Präsenz und das Mitwirken der Mitarbeiter einen ganz besonderen
Zeichenwert. Der Einsatz der Brüder in der Pastoral wird zurecht als eine
natürliche Forderung ihrer Weihe und mithin als ihre Pflicht betrachtet. Als
solche droht sie nicht selten, als Selbstverständlichkeit abgetan und
"übergangen" zu werden. Diese Denkweise erfährt durch das lebendige
Zeugnis von Männern und Frauen, die aus ihrer inneren Freiheit heraus pastoral
wirken, einen heilsamen Stoß, der oft eine Bewußtseinsveränderung erzeugt.
120 Wir haben in diesem Kapitel fast
ausschließlich auf die Mitarbeiter des
Ordens Bezug genommen. Das will jedoch nicht heißen, daß nur sie am Charisma,
an der Spiritualität und der Sendung des Ordens Anteil haben. Auch die
ehrenamtlichen Helfer und die Wohltäter haben daran Anteil. Indem diese als
Gläubige einen Teil ihres Lebens und ihrer Zeit selbstlos und uneigennützig in
den Dienst des kranken und hilfsbedürftigen Menschen stellen, knüpfen sie ein
tiefes Band zu den Barmherzigen Brüdern. Auch für sie gilt, was wir weiter
oben hinsichtlich des Dienstes als Hauptwerkzeug zur Reich-Gottes-Arbeit
gesagt haben. Es versteht sich deswegen von selbst, daß auch sie eingeladen
sind, direkt und aktiv in den Pastoralräten unserer Einrichtungen
mitzuwirken.
121 Wo die Barmherzigen Brüder und ihre
Mitarbeiter eine echte Glaubensgemeinschaft
bilden, ergeben und bieten sich, wie wir gesehen haben, eine Vielfalt von
tiefen Beziehungen an, die wir im folgenden noch einmal kurz zusammenfassen
wollen:
- Die
Erfahrung und Einbringung der eigenen Berufung, im Rahmen derer wir auf
das besondere Wirken des Heiligen Geistes in unserem Leben (Charisma) eingehen
und ansprechen, schafft den Boden für eine Beziehung, in der sich die Gaben,
die wir erhalten haben, in ihrer ganzen Fülle zur Bereicherung aller entfalten
können und sollen. Die gegenseitige Durchdringung und gemeinsame Teilhabe an
den verschiedenen Gaben ist für den Einzelnen Anstoß und Anregung, die eigene
Berufung treu zu leben und den anderen zu helfen, damit auch sie ihre
christliche Identität konsequent leben.
- Mit
der Gabe des Lebens und der Taufe ist uns die Bestimmung mit auf den Weg
gegeben worden, Christi Denken und Handeln aufzunehmen und uns ihm in
Übereinstimmung mit unserer Identität gleichzugestalten. Diesen
Lebensbereich haben wir "Spiritualität" genannt. Aus ihr sollen die
Barmherzigen Brüder und ihre Mitarbeiter eine am Glauben orientierte Beziehung
zueinander aufbauen, die durch Begegnungen, das Gebet und die Feier der
Liturgie konkret zum Ausdruck gebracht werden soll. In diesem Sinn kann und
soll die Spiritualität zur Krönung ihres gemeinsamen Dienstes am kranken und
hilfsbedürftigen Menschen werden.
- Der
Auftrag zur Verkündigung der Frohen Botschaft und zur Zeugnisablegung für
Christus verlangt von allen Beteiligten, Brüdern und Mitarbeitern, den
Dienst am Nächsten als Mittel zur Reich-Gottes-Arbeit zu betrachten und zu
leben. Das kann und soll vor allem durch ein Handeln geschehen, durch das dem
Leidenden die Nähe und Gegenwart Christi vermittelt wird. Zugleich beinhaltet
diese Aufgabe, daß ein jeder im Bereich seiner Möglichkeiten aktiv und
verantwortungsbewußt an der Pastoralarbeit im Umfeld der Einrichtung, in der er
tätig ist, mitwirkt.
Wer dem anderen in Liebe dient,
hat Anteil am "Geist" des heiligen Johannes von
Gott
122 Viele Mitarbeiter des Ordens haben nicht den
Glauben an Christus und stehen der
christlichen Religion fern. Trotzdem fühlen sie sich in vielen Fällen von
Johann von Gott angezogen und nehmen ihn sich bei ihrem Dienst am Kranken und
Hilfsbedürftigen zum Vorbild.
Streng genommen, haben diese Personen nicht
Anteil an seinem "Charisma". Aber Jesus hat uns gezeigt, daß unter
den Menschen eine Gemeinschaft möglich ist, die über das Bekenntnis und die
bewußte Aufnahme des Glaubens hinausgeht. Im Matthäusevangelium (25, 37-40)
wird uns gesagt, daß der Dienst an den Armen und Kranken
"Heilssakrament" für diejenigen ist, die ihn erfüllen, selbst dann,
wenn sie ihn nicht bewußt als Dienst am Herrn wahrnehmen. Das heißt, daß
vom Dienst am Nächsten, insofern er im Zeichen der Solidarität und der
Berufsethik ausgeführt wird, eine innere Kraft ausgeht, die Gemeinschaft
möglich macht und bewirkt.
123 Wenn wir genannten Text auf die Frage der
Beteiligung am Charisma des heiligen
Johannes von Gott übertragen, gelangen wir zu folgenden, wichtigen
Feststellungen.
- Für
die Brüder gilt: Der Mensch in Not ist "Sakrament" der
Gemeinschaft für all jene, die sich darum bemühen, ihm zu helfen. Die Tatsache,
daß in den Einrichtungen des Ordens zahlreiche Menschen guten Willens mit den
Brüdern zusammenarbeiten, die nicht ihren Glauben haben, muß für die Brüder
Anstoß dazu sein, den Dialog und die Freundschaft mit ihnen zu suchen.
Andererseits sollen diese Menschen Adressaten des christlichen Zeugnisses der
Brüder sein. Das überzeugendste Zeugnis wird in diesem Sinn das des echten
Dienstes am hilfsbedürftigen Menschen sein, d.h. das Mitleiden mit ihm, die
Solidarität mit ihm, die Anerkennung und Achtung seiner Menschenwürde. Wir
können mit Sicherheit davon ausgehen, daß der Heilige Geist durch unser Leben
die Existenz all jener erhellen will, die ihn noch nicht erkannt haben, damit
auch sie für die Liebe und den Heilswillen Gottes empfänglich werden.
- Für
die Mitarbeiter, die den Dienst am Nächsten in der Hauptsache aus rein
innerweltlichen Motivationen ausüben, gilt: Sie sollen für die Dienstform, die
Johann von Gott im Gesundheitswesen begründet hat und von seinen Brüdern als
kostbares Erbe gehütet wird, offen und ansprechbar sein und im Sinne dieser
Dienstauffassung den Menschen in Not als "Mitte" aller ihrer
Anstrengungen und Bemühungen betrachten. Der Mensch in Not soll für sie, wie
für Johann von Gott, Anruf zur Solidarität und Überwindung jedweder
Diskrimination unter den Menschen sein. Sie werden gut daran tun, sich mit der
Gestalt des hl. Johannes von Gott eingehend auseinanderzusetzen, um in ihm
"den Bruder aller Menschen" zu erkennen, der jenseits aller
Ideologien und sozialen Klassenunterschiede den Dialog mit jedem einzelnen
suchte. Seine Wahrheitsliebe sollte für sie Anstoß sein, sich den Fragen zu
stellen, die sich aus dem täglichen Umgang mit dem Leid und dem Tod ergeben und
an die Wurzeln des eigenen Seins wie auch des Seins der gesamten Menschheit
rühren.
Aus dieser Sicht können und sollen auch die
Mitarbeiter, die dem christlichen Glauben fernstehen, am Charisma des heiligen
Johannes von Gott Anteil haben; und zwar nicht nur als Nutznießer in dem Sinn,
daß sie in Werk und Person des heiligen Johannes von Gott das höhere Walten
Gottes erkennen können, sondern auch als Mitgestalter an der Aufgabe, aus
dieser Welt einen "Ort" zu machen, an dem sich alle Menschen als
Brüder begegnen. Denn darin bestand im Kern das Werk Christi; darauf läuft das
Wirken des Heiligen Geistes in der Kirche hinaus.
124 Johann von Gott lebt in den Einrichtungen des
Ordens, den er ins Leben gerufen hat,
weiter. Denn:
- seine
grenzenlose Liebe zu den Kranken und Hilfsbedürftigen, die durch das
Zusammenspiel von Dienst, Verständnis und Hingabe zu einem bedingungslosen
Für-Den-Anderen-Dasein wurde;
- sein
Eintreten für die Rechte des Schwächsten und den Schutz des Lebens;
- sein
Wunsch und seine Suche nach dem Heil aller;
- seine
tief ausgeprägte Liebe zu Jesus Christus als Mitte all seines Denkens und
Handelns
sind die treibende Kraft all derer, die,
wie er, ihr Leben dem Dienst an den Kranken und Hilfsbedürftigen widmen.
Derselbe Geist, von dem Johann von Gott
erfüllt und beseelt war, läßt uns Brüder und Mitarbeiter täglich von neuem die
beglückende Erfahrung der Liebe Gottes zu allen Menschen machen und drängt uns,
diese Erfahrung den Kranken und Hilfsbedürftigen durch unseren Dienst und durch
unsere Nähe mitzuteilen. Derselbe Geist stiftet unter uns ein Band der Gemeinschaft,
getragen von der wir gemeinsam an der großen Aufgabe arbeiten
wollen, dem Leben zu dienen und das Leben zu fördern, um das Reich
Gottes sichtbar und erfahrbar zu machen. Derselbe Geist hält in uns das
Bewußtsein wach, daß wir die Berufung, die uns von ihm gegeben wurde, treu
entfalten sollen, um als lebendige Glieder des Volkes Gottes ein klares Zeichen
für die Bestimmung der Menschheit zur "Gemeinschaft" zu geben und
Christus als das allumfassende und allauffangende Prinzip der Schöpfung
gegenwärtig zu machen.
SCHLUSS
Bevor wir unsere Arbeit abschließen, halten
wir es für angezeigt, kurz auf die wichtigsten Schlußfolgerungen hinzuweisen,
die sich aus der vorliegenden Schrift ergeben. Sie haben sowohl eine
theoretische als auch eine praktische Wertigkeit.
Theoretische Wegweisungen
125 In diesem Bereich wird eine schematische
Darstellung genügen, weil die
theoretischen Grundlagen des Miteinanders von Brüdern und Mitarbeitern bereits
in den Kerngedanken des Hauptgebäudes der vorliegenden Schrift erfaßt worden
sind. Fassen wir zusammen:
- Aus
dem Miteinander von Brüdern und Mitarbeitern ergeben und bieten sich
vielfältige Möglichkeiten an, die gegenseitigen Beziehungen fortschreitend zu
vertiefen und zu festigen.
Diese Möglichkeiten eröffnen sich einmal
aus der allen Menschen gemeinsamen Berufung zur Gemeinschaft und zum anderen
aus den Motivationen, aus denen die in den Einrichtungen des Ordens tätigen
Menschen den Dienst am Kranken und Hilfsbedürftigen versehen.
Wir sprechen hier bewußt von einer fortschreitenden
Vertiefung, weil es zwischen Brüdern und Mitarbeitern bereits auf
verschiedenen Ebenen vielfältige Beziehungen gibt. Es handelt sich also nicht
darum, einen Neuanfang zu setzen, sondern das Gewachsene zu erhellen, zu
festigen und zu vertiefen.
- Zwischen
Brüdern und Mitarbeitern bieten sich, wie gesagt, verschiedene Ebenen des
Miteinanders und Austausches an, die von Mal zu Mal von den Motivationen bestimmt
sein werden, aus denen heraus sich der Einzelne und die vertretenen Gruppen dem
Dienst am Kranken und Hilfsbedürftigen widmen.
- Die
Anerkennung, Schätzung und Achtung des Einzelnen wie auch der vertretenen
Gruppen kann und soll in einer Atmosphäre des gegenseitigen Offenseins und
Dialogs mit Respekt vor den Ideen und Meinungen aller Beteiligten gefördert
werden.
- Die
arbeitsmäßigen Beziehungen müssen von den Beziehungen, die auf anderen Werten
und Motivationen aufbauen, unterschieden werden, obgleich es dabei manchmal zu
Überschneidungen kommen kann.
126 Der Orden muß sich der Konsequenzen, die ihm
aus der Tatsache entstehen, daß er
Eigentümer und Verwalter der Einrichtungen ist, bewußt sein und für die damit
verbundene Verantwortung gemäß seinem Charisma, seinem Sendungsauftrag und
seiner Spiritualität vor der Kirche und Welt einstehen. Deswegen:
- richtet
er sich nach der Soziallehre der Kirche und den gerechten Verfügungen eines
jeden Landes, um den Ansprüchen und Rechten der ihm anvertrauten Menschen und
seiner Mitarbeiter zu entsprechen;
- fördert
und sucht er die "Gemeinschaft" mit den Mitarbeitern, die sich als
Gläubige verstehen, um zu ihnen in eine auf dem Glauben und Apostolat
aufbauende Beziehung zu treten.
Praktische Wegweisungen
127 Aus dem eben Gesagten leiten sich folgende
Schlußfolgerungen für die Praxis her:
- Die
vorliegende Schrift soll ordensweit verbreitet und von den Brüdern und
Mitarbeitern studiert und diskutiert werden. Zu diesem Zweck sollen
Begegnungen, Seminare usw. abgehalten werden, die wenigstens teilweise unter
gemeinsamer Beteiligung von Brüdern und Mitarbeitern stattfinden sollen.
- Die
verantwortlichen Leitungsgremien der Einrichtungen des Ordens sollen:
* die
Mittel und Wege ausbauen, durch die das gegenseitige Sich-Kennenlernen,
Annehmen und Miteinander zwischen Brüdern und Mitarbeitern verbessert werden
kann;
* unter
den Mitarbeitern das Gedankengut des Ordens unter Anwendung der geeignetsten
Mittel verbreiten;
* die
Informations- und Kommunikationssysteme zwischen den einzelnen Bereichen zur
besseren Ziel- und Situationsdarstellung der gesamten Einrichtung hinorientieren;
* die
Weiterbildung fördern, wobei durch personalübergreifende Veranstaltungen, wie
z.B. Podiumsdiskussionen, Kurzseminare mit fachlichen und humanwissenschaftlichen
Inhalten, die ganzheitliche Bildung der Teilnehmer angestrebt werden sollte.
Bei einigen Initiativen sollten Brüder, Mitarbeiter und ehrenamtliche Helfer
gemeinsam teilnehmen;
* im
Rahmen des Möglichen die Familien der Mitarbeiter und der ehrenamtlichen Helfer
mit Initiativen freizeitgestalterischen und sozialen Charakters erreichen.
- Der Orden als Ordensfamilie soll:
* die
Brüder motivieren und anregen, damit sie ihre Berufung als gottgeweihte
Menschen und ihr Gesandtsein als Reich-Gottes-Arbeiter unter den Kranken und
Hilfsbedürftigen konsequent nach innen und nach außen leben;
* die
"Gemeinschaft" und die Beziehung der Brüder mit den Christgläubigen
in den Einrichtungen durch entsprechende Weiterbildungsangebote zu diesem
Thema sowie durch Diskussionsbegegnungen, Studiumstagungen und Momente des
gemeinsamen Gebets fördern;
* Begegnungen
mit den Mitarbeitern zum besseren Verständnis von Spiritualität und Sendung
des Ordens veranstalten;
* den
Aufbau von Freundeskreisen zur Unterstützung der Werke der Barmherzigen
Brüder fördern;
* die
Bildung einer am "Geist" des Ordens orientierten und inspirierten Laienvereinigung
fördern und dazu ein entsprechendes Statut zur Zielsetzung und Aufgabenstellung
veranlassen;
Animations- und Koordinierungsorgane
128 Inhalt und Zielsetzungen dieses Dokuments
verlangen eine geringfügige Umänderung
der Animations-
und Koordinierungsorgane des Ordens. In Zukunft sollen so gebildet
werden:
n Das Sekretariat für die Animation und
Koordinierung der Mitarbeiter mit der Aufgabe, die Initiativen und Tätigkeiten
zu fördern, zu animieren und zu koordinieren, die zu einem engeren Miteinander
von Brüdern und Mitarbeitern beitragen können.
In diesem Organ sollen alle
Personen, die in der einen oder anderen Form mit dem Orden
zusammenarbeiten, mitwirken können, d.h. Mitarbeiter, ehrenamtliche Helfer und
Wohltäter.
n Der Laienverein des hl. Johannes v. Gott, dem beizutreten,
die Generalkurie und die Provinzialate alle Mitarbeiter, Freunde und Wohltäter
des Ordens einladen werden, die aus ihrem Glauben heraus sich enger an ihn
anschließen wollen.
[3] Erklärungen des
62.Generalkapitels, S. 15
Der Terminus "Mitarbeiter" wird
in den verschiedenen Sprach- und Kulturbereichen, in denen der Orden tätig ist,
unterschiedlich aufgefaßt. Um eine einheitliche Linie zu wahren, ist er im
vorliegenden Dokument in der Bedeutung übernommen worden, die ihm in den
Erklärungen des Generalkapitels gegeben wurde.
Wir sind uns bewußt, daß es sich dabei sowohl sprachlich als auch begrifflich um eine behelfsmäßige Lösung handelt. Zu dem "Mitarbeiterkreis" des Ordens gehören nämlich in diesem Sinn auch viele andere Personen, wie von demselben Generalkapitel wie folgt unterstrichen wurde:"Wir wenden uns auch an die vielen tausend Männer und Frauen, die als Priester oder Ordensleute anderer Kongregationen, als Mitarbeiter, als ehrenamtliche Helfer und als Wohltäter mit den Mitbrüdern in der Betreeung der Kranken und Hilfsbedürftigen zusammenarbeiten" (S. 5).
[6] CASTRO, F. Geschichte des Lebens und der heiligen Werke des Johannes von Gott, Erste Biographie des hl. Johannes von Gott (16.Jh.), deutsche Übersetzung von Dr. Karl Braun, Johann von Gott Verlag, München, 1977, S. 63
[8] JOHANNES VON GOTT, Zweiter Brief an Gutiérrez Lasso (G.L.), 5. Im folgenden wird auf die Briefe des hl. Johannes von Gott unter Angabe der Anfangsbuchstaben der Empfänger Bezug genommen.
[9] Vgl. Konstitutionen 1926, Art. 221b, 223; Konstitutionen 1984, Art. 6a-d, 43d, 45, 69bc, 72b, 103bc
[11] In diesem Zusammenhang verweisen wir auf
folgende Zeugnisse:
"... mein Sohn Bautista, wenn Ihr in
das Haus Gottes kommt... habt Ihr viel zu gehorchen und noch viel mehr zu
leiden, als Ihr gearbeitet habt - und Euch aufreiben, um die Armen und Kranken
zu heilen - und all dies um der Liebe Gottes willen." L.B., 10.11
"Jener (Johannes von Gott) war der
Vater, Gründer und Ursprung eurer Regel und eurer Gemeinschaft und dieses eures
Hospitals. In diesem heiligen und bewundernswerten Werk führt ihr in
tiefchristlichem Geiste das Werk eures Stifters fort." Regel und
Konstitution des Hospitals von Granada, aus den Urkonstitutionen,
Madrid 1977, S. 9
"Das Beispiel des Lebens, das Johann
von Gott hinterließ, war so groß und gefiel so vielen Menschen, daß viele sich
angetrieben fühlten und noch fühlen, ihn nachzuahmen und ihm auf seinem Weg zu
folgen; sie wollen unserem Herrn dienen und seinen Armen und den Beruf der Krankenpflege
nur um Gottes willen ausüben." CASTRO, F. Geschichte des Lebens und der
heiligen Werke des Johannes von Gott, S. 125
[15] Vgl. Konstitutionen 1926, Art. 222; Konstitutionen 1982, Art. 5a und 22; Generalstatuten, Art. 51
[20] Vgl. Konstitutionen 1984, Art. 2, 3, 12c und 14. In Art. 13ad heißt es dazu ausdrücklich:"Die in der Profeß versprochene Armut treibt uns an, sie zu leben und deutlich zu bezeugen. Das bedeutet: (...) - die Gegebenheiten unseres Armseins zu leben und aus der Freiheit des Geistes die allgemeine Verpflichtung zur Arbeit als Mittel des Lebensunterhaltes und des Apostolates anzunehmen."
[34] Ibid., S. 112. In diesem Zusammenhang weist der Papst eindringlich auf die Gefahren hin, denen heute das menschliche Leben durch die bedenkenlose Anwendung der biologischen und medizinischen Wissenschaften und der technologischen Möglichkeiten ausgesetzt ist. Deshalb lädt er alle Gläubigen zur Wachsamkeit im Zusammenhang mit diesen Fragen ein und erinnert sie an ihre Verpflichtung, ihr ethisches Handeln nach den Grundsätzen der Kirche zu orientieren. Sie müssen sich, so der Heilige Vater, "mutig den Herausforderungen, die sich aus den neuen Problemen der Bioethik ergeben, stellen." S. 114