Die Spiritualität eines Barmherzigen Bruders
Der Weg der Hospitalität in der Nachfolge des heiligen Johannes von Gott
der Weg der Hospitalität in der
Nachfolge
des Heiligen Johannes von Gotta comienzos del tercer
milenio
Espiritualidad de la Orden
de los Hermanos de
San Juan de Dios
Zusammengestellt und erarbeitet von
Valentín Riesco, OH - José Cristo Rey
García Paredes, CMF
Einleitung
1. Das
Werk, “das der gesegnete Mann Johannes von Gott voller Glauben”[1]
“um 1538 in Granada in einem ärmlichen, gemieteten Haus”[2]
begann, wirkt mit ungebrochener Kraft bis heute fort. Sein Geist und Charisma
pulsieren auch noch nach 465 Jahren voll Energie in unserer Welt. Seine
befruchtende und umgestaltende Kraft entfaltete eine so große Wirkung, dass
Frauen und Männer der verschiedensten Völker, Kontinente, Rassen und Zeiten in
ihm ihren “geistigen Vater” erkennen. Gedrängt von seinem Geist, führen diese
Menschen heute vielfältige Aktivitäten zum Schutz und zur Hilfe, für die
Gesundheit und die Förderung der benachteiligsten Glieder der Gesellschaft
durch[3].
2. Wir
leben heute nicht nur in einer Zeit des Wandels, sondern in einem regelrechten
Zeitenwandel. Denk-, Tätigkeits- und Lebensformen, die gerade noch „in“ waren,
sind morgen schon überholt und anachronistisch. Alte Methoden und Institutionen
verlieren ihre Wirksamkeit. Deswegen muss das Erbe, das wir von Johannes von
Gott empfangen haben, nicht nur ehrfurchtsvoll übernommen, sondern in neue
Ausdrucksformen übertragen, in neuen kulturellen Formen gelebt und mit neuer
Begeisterung empfunden werden.
1. Der Zeitenwandel
3. Der
Zeitenwandel, den wir gerade erleben, wirkt sich auf unsere Gemeinschaft unter
verschiedenen Gesichtspunkten aus: dem der Globalisierung und Regionalisierung
sowie dem der Postmoderne und ihres Einflusses auf Kirche und Orden.
Ø
Globalisierung und Regionalisierung: Wir leben in
einer Zeit der Globalisierung (sprich der zunehmenden Vernetzung der Welt),
aber auch der Regionalisierung (Durchsetzung spezifischer lokaler,
einheimischer, eigenkultureller Werte). Beide Strömungen weisen sowohl positive, als auch negative Merkmale auf.
Eine menschliche, solidarische und nicht wenigen privilegierten Schichten
dienende Globalisierung bietet völlig neue Möglichkeiten, die Gemeinschaft
unter den Nationen, Völkern und Menschen zu fördern. Eine Regionalisierung, die
nicht auf Abschottung und radikale Eigenständigkeit zielt, kann unsere Welt mit
einem unvorstellbaren Reichtum und neuen Perspektiven befruchten. Auch unser
Charisma globalisiert und regionalisiert sich ständig, indem es in
verschiedenen Ländern und Kulturen Gestalt annimmt. Angesichts einer Welt, in
der die globalisierte Wirtschaft Ursache schwerer Diskriminierungen ist und
unzählige Opfer fordert, fühlen wir uns ganz besonders in die Pflicht genommen,
der Forderung der Kirche nachzukommen, dass Solidarität, Menschlichkeit und
Nächstenliebe globalisiert werden müssen. Zugleich fühlen wir uns verpflichtet,
einheimische Werte und die Individualität einer jeden Person zu schützen, ganz
besonders solcher, die von der globalisierten Gesellschaft an den Rand gedrängt
werden.
Ø
Postmoderne: Die sogenannte
Postmoderne ist ein weiteres Merkmal des Zeitenwandels, in dem wir leben. Die
Postmoderne kann auch als ein
neues, gemeinsames, weltumspannendes “Denken” bezeichnet werden, das in dieser
oder jener Form bei allen Völkern der Erde anzutreffen ist. Dieses Denken zeigt
uns, dass die Zeit des Totalitarismus, des Absolutismus, der dogmatischen
Visionen, des Patriarchalismus vorbei ist; dass die einstige, eurozentrische
Weltsicht, mit der alles erklärt und geordnet wurde, endgültig überholt ist.
Dem postmodernen Geist begegnet man besonders bei Jugendlichen, obwohl er uns
alle betrifft. Diese Geistesströmung legt uns nahe, dass wir uns mit
unvollkommenen und bruchstückhaften Welterklärungen zufrieden geben sollten,
dass es realistischer ist, kleine Schritte der Veränderung zu machen, als den
radikalen Wandel zu fordern, dass wir den Pluralismus und die Verschiedenheit
akzeptieren und toleranter und offener gegenüber dem Andersartigen sein müssen.
In diesem Kontext erlangen die Hospitalität und Barmherzigkeit eine neue
Bedeutung und stellen uns vor die Herausforderung, sie in und mit zeitgemäßen
Tätigkeitsformen und Strukturen in die Praxis umzusetzen. Die Postmoderne
stellt auch eine große Herausforderung für unsere Spiritualität dar, welche in
Übereinstimmung mit dem postmodernen Geist mehr als ein Weg denn ein
moralisches Gesetz oder eine abstrakte Forderung verstanden werden muss. Die
Postmoderne macht uns empfänglicher für die vielfältigen menschlichen und
christlichen Lebensformen, die es gibt, und somit offener für das Miteinander
und die Gemeinschaft. Aus diesem Grund sprechen wir auch vom Miteinander in der
Sendung, im Charisma und im Leben.
Ø
Chancen und Gefahren: Vor uns liegen neue, große Chancen, aber auch
unbekannte, fürchterliche Gefahren. Wir stehen vor einer Zeit, die wir nicht mehr
überblicken und in der wir neue Wege finden müssen. Die Auswirkungen dieses
Zeitenwandels berühren alles in uns: Geist und Körper, Individuum und
Gesellschaft, Heiliges und Weltliches. Unsere Beziehungen sind nicht mehr, wie
sie waren. Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern (männlichem und
weiblichem) zeigt sich von neuen Seiten und spielt sich in einer neuen
Beziehungsform zwischen Mann und Frau ab (sowohl in der Familie als auch in der
Gesellschaft). Neben den üblichen, wirtschaftlichen und politischen
Machtverhältnissen tauchen neue Machtformen auf, welche die alten bedrohen
(Terrorismus, Kriminalität usw.): Die Konsequenzen dieses Machtkampfes haben
wir mit Millionen anderer Menschen zu tragen. Die Menschheit kennzeichnet sich
heute durch eine ungeahnte physische und virtuelle Mobilität, welche einen
ruhigen Rhythmus und überschaubare Etappen nicht mehr zulässt, sondern uns
großer Ungewissheit ausliefert. Es gibt ein reales Wirtschaftswachstum. Das
ändert jedoch nichts daran, dass Millionen Menschen weiter in bitterster Armut
leben. Die menschliche Seele wird derart mit Kontrasten und Reizen überflutet,
dass nicht wenige unter dieser Last zerbrechen, in Depressionen verfallen oder
andere schwere psychische Symptome entwickeln. Alle leiden wir, heute mehr denn
je, unter einem schmerzhaften Verlust des „Lebenssinns“ und des
Menschlichkeitsgedankens.
2. Kirche und Orden in dieser Welt
4. Auch
die Kirche macht diesen Zeitenwandel mit und ist nicht mehr wie früher.
Ø
Sie hat ein
globaleres und internationaleres Gesicht. Sie ist multikultureller und umfasst
mehr Rassen als je zuvor.
Ø
Sie erahnt
die Möglichkeiten eines neuen Aufbruchs, aber auch die großen Gefahren und
Bedrohungen, welche der Zeitenwandel in sich birgt.
Ø
Gedrängt von
der großen Barmherzigkeit, die ihr Wesen ausmacht, ist es der Wunsch der Mutter
Kirche, alle Menschen aufzunehmen und ganz besonders für die schwächsten offen
zu sein.
Ø
Sie hört mit
neuer Wachsamkeit und schöpferischem Sinn auf die Worte des Auferstandenen, von
dem sie zu allen Völkern der Welt gesandt ist, um das Evangelium zu verkünden
und seine Barmherzigkeit erfahrbar zu machen.
5. In
dieser Welt erlangt das Charisma des heiligen Johannes von Gott eine
neue, ungeahnte Aktualität, die es hervorzuheben und zur Wirkung zu bringen giltimpresionante.
Der Orden hat sich mutig und entschieden auf den Weg der Erneuerung gemacht,
der ihm vom Zweiten Vatikanischen Konzil gezeigt wurde. Er hat sich gründlich
über Wert und Zweck seines Charismas in dieser Zeit befragt und sich neue
Aufgaben und Ziele gesteckt. Auf diese Weise hat er dem Charisma des heiligen
Johannes von Gott ein neues Gesicht verliehen[4].
Doch wir dürfen nicht stehen bleiben, vielmehr ist kreative Phantasie gefragt,
die wir ganz besonders bei den jungen Generationen suchen müssen. Auch in den
neuen zeitgeschichtlichen Gegebenheiten muss der Orden inmitten einer globalen
Welt, in der sich die Schwerpunkte verlagert haben, die Fähigkeit haben, neue
Antworten zu finden und neue Wege des Geistes zu gehen. Außer den Brüdern
klopfen auch andere Menschen an die Tür des Ordens, die sich vom Charisma des
heiligen Johannes von Gott beschenkt fühlen. Aus diesem Grund haben wir heute
im Orden ein neues „Miteinander in der Sendung und in der Spiritualität“, wie
eine neuere Definition der Identität des Ordens besagt. Der Orden hat heute ein
vielgestaltiges, multikulturelles und vielrassiges Gesicht[5]
und möchte das spirituelle Wegangebot des heiligen Johannes von Gott immer mehr
Menschen auch außer dem westlichen Kulturkreis zugänglich machen.
6. Das
Wagnis, uns dem spirituellen Reichtum der Nationen und Kulturen zu öffnen, ohne
auf das spirituelle Erbe zu verzichten, das wir empfangen haben, gibt unserem
historischen Charisma als Orden einen neuen Atem. Bei den jungen Generationen
stellt man ein starkes kulturelles Bedürfnis fest. Zugleich gibt es eine
kulturelle Kluft zwischen den Generationen, die nicht unterschätzt werden darf.
Nur wer offen für seine Umwelt bleibt, ist imstande, junge Menschen angemessen
zu verstehen und bei ihrer Suche nach Sinn und Idealen zu begleiten. Wir stehen
heute vor neuen unbekannten Herausforderungen. Es genügt nicht mehr, das
Charisma als überliefertes Erbe anzunehmen. Vielmehr muss es neu gestaltet, neu
geformt und zeitgemäß interpretiert werden. Wir müssen nicht nur die Herzen der
Brüder, sondern auch der Gesellschaft, der Leute, der Kirche dafür
„entflammen“. Die Aufgabe, unsere Spiritualität neu zu gründen und zu
begründen, hat keine Aussicht auf Erfolg, wenn wir nicht fest davon überzeugt
sind, dass der Geist mitten unter uns wirkt und uns gnadenvoll mit dem
beschenkt, wonach wir leidenschaftlich suchen. Das Einzige, was er als
Gegengabe dafür verlangt, ist, dass wir hellhörig, empfänglich und offen für
die neuen Wege sind, die er uns zeigt.
7. Das
Ziel der vorliegenden Arbeit ist, die wesentlichen Elemente der Spiritualität
des Ordens in dem neuen zeitgeschichtlichen Kontext und ethnischen und
kulturellen Pluralismus aufzuzeigen, in dem er lebt und wirkt. Die Arbeit
gliedert sich in drei Teile:
I. Geschichtliches
und kulturelles Gedächtnis: odie Ursprünge unseres Charismas
II. Evangelische
Schlüssel: Barmherzigkeit und Hospitalität
III. Geistlicher
Weg: eine Spiritualität der Hospitalität für unsere Zeit
I. Geschichtliches und Kulturelles Gedächtnis:
Die Ursprünge
unseres Charismas
8. Wenden wir uns nun dem spirituellen Weg
des heiligen Johannes von Gott zu, denn in ihm ist der „Weg unserer
Spiritualität“ vorgezeichnet und vorgestaltet.
1. Der spirituelle Weg
des heiligen Johannes von Gott
9. Johannes
von Gott war ein suchender, unsteter Mensch: lange Wanderschaften und Reisen
kennzeichneten sein Leben. Sie waren Vorausdeutungen auf seine spätere, innere
Pilgerschaft, auf seinen spirituellen Werdegang. Das Leben von Johannes von
Gott war ein ständiges Unterwegssein: barfuß erklomm er auf einem steilen Weg[6]
den Gipfel seines Lebens. Paradoxerweise erstieg er diesen Gipfel, indem er in
die tiefsten Abgründe menschlichen Seins hinabstieg. In seinem Leben können
vier Etappen unterschieden werden, die wir wie folgt überschrieben haben: Leere,
Berufung, Veränderung und Gleichgestaltung mit Christus.
a) Leere: Raum schaffen für die Gnade – erste Etappe
10. Durch
eine Reihe von Misserfolgen machte Johannes von Gott die Erfahrung der Leere
und entdeckte gleichzeitig die Fülle Gottes: “Gott werde allen Dingen dieser
Welt vorgezogen!”[7]
Er scheiterte kläglich bei seinem ersten Versuch als Soldat, bei dem er – wie
der heilige Paulus – bewusstlos zu Boden stürzte und ihm in seiner Not nur mehr
der Himmel zu Hilfe eilen konnte[8].
Er scheiterte wiederum als Soldat, als ein Offizier befahl, ihn an einem Baum
aufzuhängen, weil er sich die Kriegsbeute entwenden lassen hatte. Obwohl er der
Strafe im letzten Augenblick entging, wurde er aus dem Lager verstoßen und der
Armut preisgegeben. Auf dem Weg von Fuenterrabía nach Oropesa klagte er, “wie
schlecht die Welt denen, die ihr folgen, dies lohnt”[9].
Es folgen erneut Jahre der Stille, bis Johannes sich wieder beim Heer des
Kaisers meldet, um gegen die Türken zu kämpfen.Estando allá Aus Wien
zurück, geht er in La Coruña
an Land. Die Nähe zur Heimat lässt in ihm den Wunsch erwachen, seine Eltern
wiederzusehen, von denen er im Alter von acht Jahren getrennt worden war. Doch
groß war sein Schmerz, als er erfuhr, dass beide gestorben warensintió .[10]
Er spürte eine große Leere und macht erstmals die schmerzliche Erfahrung der
Vergänglichkeit des Lebens[11]:
“Selbst wenn die ganze Welt unser wäre,
würden wir uns nicht mit dem zufrieden geben, was wir haben.”[12]
Deshalb beschloss er, “sein Vertrauen
nicht auf sich selbst zu setzensi”[13].
b) Berufung: zum Dienst an Gott – zweite Etappe
11. Sein
Onkel bot ihm an, sich in seinem ehemaligen Elternhaus niederzulassen, doch er
lehnte mit folgenden Worten ab: “Herr Onkel, da es Gott gefallen hat, meine
Eltern zu sich zu rufen, möchte auch ich nicht in diesem Land bleiben, sondern
einen Platz suchen, wo ich dem Herrn dienen kann... Ich vertraue fest auf
meinen Herrn Jesus Christus, dass er mir die Gnade gewährt, diesen meinen
Wunsch in die Tat umzusetzen.”[14]
Und so setzte er seine Suche fort und verdingte sich erneut als Hirte in
Sevilla. “Da er damals noch nicht den
Weg sah, den der Herr ihm für seinen Dienst zeigen wollte”, war er traurig[15].
Schließlich brach er endgültig mit dem Hirtendasein und ging nach Ceuta.
Dort verdingte er sich, um eine verarmte Familie zu unterstützen, als
Handlanger bei den “Befestigungsarbeiten der Stadtmauern” und „übergab
allabendlich bereitwillig den Tageslohn.”[16]
Er überwand eine schwere spirituelle Krise mit der Hilfe eines weisen Ordensmannes,
der im ausdrücklich befahl, sofort das Land zu verlassen und nach Spanien
zurückzukehren. In Gibraltar
legte er eine Generalbeichte ab und bat Gott erneut unter Tränen, ihm
inneren Frieden und Ruhe zu schenken sowie den Weg zu dem Dienst zu zeigen, dem
er sich widmen wollte: “Schenke mir Frieden und Ruhe”. Sein Bitten
wurde immer eindringlicher, seine Bereitschaft immer radikaler: “Zeig mir den
Weg, den ich einschlagen soll, um dir dienen und auf immer dein Sklave sein zu
können.”
“Und immer wieder
bat er unseren Herrn aus ganzem Herzen und unter vielen Tränen, er möge ihm den
Weg offenbaren, auf dem er ihm dienen sollte.” “Ich bitte dich deshalb von ganzem Herzen,
mein Herr: Zeig mir den Weg, den ich einschlagen soll, um dir zu dienen. ”[17]
12. Er
verdiente sich seinen Lebensunterhalt mit verschiedenen Arbeiten, bis er im
Handel mit Büchern, zunächst als fahrender Händler, eine feste Beschäftigung
fand. Da er seinem Leben mit dem neuen Beruf, mit dem er, außer sich seinen
Lebensunterhalt zu verdienen, auch eine apostolische Tätigkeit und Werke der
Liebe entfaltete, eine feste Form geben wollte, fasste er den Entschluss, “nach Granada zu
ziehen und sich dort niederzulassen.”[18]
In Granada fand er in der Ausübung seines Berufes eine gewisse Ruhe, doch er
hörte weiter eine innere Stimme, die ihn rief und sich nicht überhören ließ. Am
Fest des heiligen Sebastian ging er in die Kartause der Märtyrer, um zusammen
mit einer großen Menschenschar der Predigt von Meister Johannes von Avila zu lauschen.[19] Dort erwartete
ihn der Herr.
13. Meister Avila wurde zu seinem SeelenführerUn
día e. Die Art, in der dieser kluge Mann die Schriftworte von
Lukas 6, 17-32 (Seligpreisungen und Weherufe) auslegte, gingen ihm zutiefst zu
Herzen:
“Nach der Predigt ging
Johannes hinaus und bat, völlig außer sich, Gott mit lauter Stimme um
Erbarmen... Er ging bis zu seinem Haus, wo er den Laden und sein ganzes Hab und
Gut hatte... und verschenkte mit offenen Händen seine Bücher an den
Nächstbesten, der um der Liebe Gottes willen darum bat... Genauso verfuhr er
mit den Bildern und mit allem, was er sonst noch im Haus hatte... In kurzer
Zeit stand er ohne Geld und ohne jeden Besitz da. Denn er beschränkte sich
nicht nur darauf, sondern zog auch die Kleider, die er am Leib trug, aus und verschenkte
sie … y hasta de sus
propias ropas... Und in diesem Zustand, fast unbekleidet, barfuß
und ohne Kopfbedeckung, lief er erneut durch die Hauptstraßen von Granada,
indem er mit lauter Stimme rief, dass er entblößt dem entblößten Christus
folgen und ganz arm werden wollte für den, der sich arm gemacht hat, um seinen
Geschöpfen den Weg der Demut zu zeigen, obwohl er doch der Reichtum aller
Geschöpfe ist”[20].
c) Veränderung: umgestaltet vom Wort Gottes – dritte Etappe
14. Von
diesem Augenblick an nimmt die Berufung von Johannes von Gott dergestalt Form
an, dass er unbekleidet dem unbekleideten Christus nachfolgen will und sich
ganz arm machen will für den, der sich für ihn arm machtea partir de este
momento .
“Einige hochgestellte
Personen, die ihn sahen... und erkannten, dass es sich nicht um eine
Geistesstörung handelte, wie man allgemein annahm, brachten ihn in die Wohnung
von Pater Avila... Pater Magister Avila dankte unserem Herrn von ganzem Herzen
für die deutlichen Zeichen der Zerknirschung, die er bei dem neuen Büßer sah...
Er sagte: Bruder Johannes, sucht Halt bei unserem Herrn Jesus Christus und
vertraut auf seine Barmherzigkeit; denn da er dieses Werk begonnen hat, wird er
es auch vollenden. Seid treu und standhaft in dem, was ihr begonnen habt... Und
nun geht in Frieden mit dem Segen des Herrn und mit meinem, denn ich bin
sicher, dass euch Gott seine Barmherzigkeit nicht versagen wird. Johannes von
Gott ging zutiefst getröstet und ermutigt von den Worten jenes heiligen Mannes
davon und schöpfte daraus neue Kraft... Zugleich erwachte in ihm erneut der
Wunsch, dass ihn alle für verrückt, böse sowie jeder Verachtung und Schmach
wert ansehen möchten, um so noch besser Jesus Christus dienen und gefallen zu
können; denn er lebte nur für seine Augen.” [21]
“Als ihn zwei
rechtschaffene Männer der Stadt in diesem Zustand sahen, wurden sie von Mitleid
ergriffen lund
brachten ihn in das Königliche Hospital. Dort wurden die Geisteskranken der
Stadt eingewiesen und gepflegt... cDa aber die Behandlung, die man gewöhnlich
in diesen Häusern solchen Menschen zuteil werden lässt, darin besteht, dass man
sie auspeitscht, in Fesseln legt und ähnlichem, damit sie durch Schmerz und
Strafe von ihrer Wildheit ablassen... banden sie ihm Hände und Füße,
entkleideten ihn und gaben ihm mit einer doppelt geflochtenen Peitsche
zahlreiche Schläge...”[22]
15. Im
Königlichen
Hospital fand Johannes von Gott endlich die Antwort auf seinen sehnlichen
Wunsch, wo und wie er dem Herrn dienen sollte. Die Erfahrung, zu den Menschen gezählt zu
werden, welche das kostbarste menschliche Gut – den Verstand – verloren haben
und dadurch abgrundtiefer Verachtung auf einer Seite und herabschauender
Bemitleidung auf der anderen preisgegeben sind, erinnerte ihn an den Leidensweg, den
Christus ertragen musste, um die Menschheit zu retten. Er erkannte, dass es
notwendig war, das menschliche Elend am eigenen Leib zu erfahren und die
Verachtung jener zu ertragen, die sich für klug und normal halten. Um kranken,
armen und geistesgestörten Menschen wieder ihre Menschlichkeit zu geben, war es
notwendig, sich zu einem von ihnen zu machen. Nur so konnte der Welt gezeigt
werden, dass auch sie Menschen und Kinder Gottes wie alle anderen sind.
“Und als er sah, wie die
anderen Kranken, die zusammen mit ihm als Geisteskranke eingeschlossen waren,
gezüchtigt wurden, sprach er:„Jesus Christus möge mir die Zeit schenken und die
Gnade gewähren, dass ich ein Hospital habe, in dem ich die armen Menschen, die
verlassen und der Vernunft beraubt sind, sammeln kann, um ihnen zu dienen, wie
ich es wünsche.”[23]
16. „Seine
Krankheit bestand darin, dass er von der Liebe Christi verwundet war.”[24]
Das war die Gnade, „die Gott ihm gewähren wollteavia.”[25] So entdeckte Johannes von
Gott den Weg, nach dem er so lange gesucht und gestrebt hatte: Er wollte sein
wie die Armen und Kranken und dasselbe Schicksal wie sie erfahren und erleiden.
d) Gleichgestaltung: arm wie Jesus und die Armen – vierte
Etappe
17. Zu
Beginn seines neuen und endgültigen Weges sammelte und verkaufte er Holz. Mit
dem Erlös kaufte er sich das Notwendigste, den Rest gab er den Armen. Sein
Zuhause wurden die Plätze und Straßen von Granada, auf denen er mit den
Entrechteten Hitze und Kälte, Ängste und Hoffnungen teilte. Um das Leiden und
Elend seiner Brüder zu lindern, fasste er den Entschluss, ein Bettler zu werden
und rief fortan mit lauter Stimme: “Wer tut sich selbst Gutes? Tuet Gutes
aus Liebe zu Gott, meine Brüder in Jesus Christus!”[26]
18. Als
er die Armen sah, “die
er nachts, frierend und ohne Kleidung, über und über mit Wunden bedeckt und
krank, auf dem Boden unter den Lauben liegend antraf... wurde er von
Mitleid ergriffen und beschloss, ihnen mit noch größerer Entschiedenheit Hilfe
zu verschaffen.”[27] Mit der Hilfe
einiger frommer Personen mietete er ein Haus, stattete es mit dem Notwendigsten
aus und “begann
Arme dorthin auf seinen Schultern zu tragen, so viele er in der Stadt fand.”[28] Damit erfüllte
ihm Christus den Wunsch, ein Hospital zu haben, wo er sich um die kranken Armen
kümmern konnte, wie es ihm sein Herz befahl.
19. Für
Johannes von Gott ist das Hospital ein heiliger Ort, ein Haus Gottes. Es soll allen
verlassenen Menschen ohne Unterschied offen stehen und Zuflucht bieten, denn
Gott lässt über alle seine Sonne aufgehen. Vor allem aber soll darin der Gast
„Herr“ und Johannes sein Sklave sein:
“Da diese Stadt
sehr groß und sehr kalt ist, besonders jetzt im Winter, sind die Armen, die zu
diesem Haus Gottes kommen, zahlreich... Es werden alle Arten von Kranken und
auch alle Arten von Menschen aufgenommen. Es gibt hier deshalb Versehrte,
Verletzte, Aussätzige, Stumme, Verrückte, Gelähmte, mit Krätze Behaftete, sehr
alte Menschen und viele Kinder; überdies viele Pilger und Reisende, deren Weg
zu uns führt“.[29]
20. Die
Menschen waren erstaunt und verstanden nicht, “dass unser Herr ihn in den Weinkeller
gestellt und dort mit seiner Liebe gezeichnet hatte.”[30]
Johannes erkannte immer klarer die
“unendlich große Barmherzigkeit Gottes” und machte sich zu gestaltgewordenem
Erbarmen und Schenkene: “Er half allen entsprechend ihren
Nöten und schickte keinen ungetröstet weg.”[31]
“In Anbetracht des Vielen, das er vom Herrn empfangen hatte, erschien ihm
alles, was er tat und gab, als wenig... So lebte er mit der den Heiligen
eigenen Unruhe, sich auf tausendfache Weise hinzugeben.”[32]
Die Leute sagten von
ihm: “Getragen von
einer unendlich großen Barmherzigkeit, lebte er in ständiger inniger
Gottzugewandtheit.”[33]
“Er war unermüdlich bemüht, Barmherzigkeit zu üben und Almosen zu geben.”[34]
Oft verbrachte er ganze Nächte, in denen er den Herrn “um Hilfe für die
Nöte bat, welche er sah.”[35]
Johannes von Gott erkannte, dass “alles Gute, das die Menschen tun, nicht ihr,
sondern Gottes Verdienst ist. Gott sei die Ehre und die Herrlichkeit, denn
alles ist sein. Amen, Jesus.”[36]
Deswegen “quantoerschien ihm alles, was er tat
und gab, als wenig ”[37],
denn er lebte eingetaucht in der unermesslichen Weite der Barmherzigkeit
Gottes, “der so hochherzig und freigiebig zu ihm gewesen war.”[38]
Sein größter Schmerz war, anderen nicht helfen zu können. Das brach ihm das
Herz.[39]
“Tatsächlich war Johannes so betrunken von der Liebe Gottes, dass er nichts
verweigern konnte... denn er war grenzenlos barmherzig zu allen.”[40]
Johannes von Gott aß gewöhnlich “eine gekochte Zwiebel oder andere Speisen, die
nur ganz wenig kosteten” und schlief “ auf einer einfachen Matte auf dem Boden,
wobei ihm ein Stein als Kissen diente, und deckte sich mit dem Überrest einer
alten Decke zu. Manchmal verbrachte er die Nacht auch in einem ganz engen Raum
unter einer Treppe.”[41]
In einem Winkel unter der Treppe des Hospitals teilt er die Armut mit seinen
Armen.Para Juan de Dios el hospital es lugar sagrado,
casa de Dios. Él es su esclavo. La abre a todos los pobres desamparados sin
distinción, porque Dios para todos hace salir su sol. El pueblo no entendía, asombrado,
cómo “le avía el Señor metido en la bodega del vino y allí ordenado con él su
caridad”.
Viendo los pobres “por essosesos
portales echados, eladoshelados y desnudos y llagados
y enfermos”, “començócomenzó a
llevar pobres acuestas, de todas quantascuantas
maneras hallavahallaba por la çiudad”[42].
21. Eines
Tages entdeckt er, dass er mehr Leiden lindern kann, wenn er sich selbst
verpfändet, sprich dass man ihm Geld leiht, wenn er dafür mit seiner Person als
Bürgschaft einsteht. Er zögert keinen Augenblick und leiht sich Geld, das er
sich zurückzuzahlen verpflichtet. Die Schulden vermehren sich. Trotzdem nimmt
er immer mehr auf, bis er “mehr als zweihundert Dukaten schuldet.”[43]
Doch die Probleme sind damit noch lange nicht gelöst, denn „jeden Tag vergrößern
sich die Schulden und die Zahl der Armen in ungeheurer Weise.”[44]
Die Schulden sind schließlich so hoch, dass die Gläubiger ihm die Tür
verschließen: “Man will mir keinen Kredit mehr gewähren, da ich schon so viel
schulde.”[45]
Er steckt in einer schmerzvollen Zange: seine Schulden auf einer Seite und die
Not der vielen Armen auf der anderen lassen ihn keine Ruhe mehr finden. “Da ich
mich in solcher Not sehe, wage ich mich oftmals nicht einmal mehr aus dem Haus,
wegen der Schulden, die mich bedrücken, während ich so viele Kranke, die doch
meine Brüder und Nächsten sind, in Not sehe.”[46]
22. Im
Gebet findet er Zuflucht und den Sinn seines Tuns: “Und so sorge ich mich hier
allein um Jesus Christusjesuchristo.”[47]
Diese Sorge wird für ihn Gebot und Pfand, eine Kette, von der er sich Zeit
seines Lebens nie mehr befreien wird und nie mehr befreien will. Kurz bevor er
stirbt, übergibt er dem Erzbischof von Granada, Don Pedro Guerrero, ein Heft,
„in dem die Schulden aufgezeichnet sind, die ich aus Liebe zu unserem Herrn
Jesus Christus gemacht habe.”[48]
“Da er nun spürte, dass seine Stunde gekommen war, stand er vom Bett auf,
kniete sich auf dem Boden nieder, umarmte ein Kreuz und sagte dann nach kurzem
Schweigen: „Jesus, Jesus, in deine Hände übergebe ich mich.”[49]
23. Johannes
von Gott wurde mit großen Leiden und Entbehrungen geprüft. Wie Jesus machte er
sich zu einem Toren und wurde für seine Treue mit der Gabe wahrer Weisheit
belohnt: Er erkannte, dass die Würde der menschlichen Person letztendlich im
Reichtum des Herzens gründet, und entdeckte, wie Jesus, dass der Kampf gegen
das Böse und das Leiden ein menschlicher Imperativ ist. Wie er, opferte er sich
dafür auf, allen Gutes zu tun und zeigte dabei eine besondere Vorliebe für die
gesellschaftlichen Gruppen, die am meisten diskriminiert wurden: Kranke aller
Art, Sünder, Prostituierte.... auch wenn er dafür verachtet und verleumdet
wurde. Wie Jesus blickte er auf die Menschen mit liebevollen und barmherzigen
Augen. Dank seiner grenzenlosen Liebesfähigkeit steckte er andere damit an,
wurde zum Bruder aller Menschen und begründete so einen Weg der Solidarität im
Zeichen der Hospitalität. Wie Jesus stieg er in die tiefsten Abgründe
menschlichen Seins hinab, indem er sich in das Königliche Hospital einsperren
ließ. Im Königlichen Hospital sprach Gott zu ihm aus den Schreien, Klagen und
der Verzweiflung seiner Leidensgefährten und antwortete so auf sein langes
Suchen. Endlich wusste er, wie er “entblößt dem entblößten Christus folgen und
ganz arm werden wollte für den, der sich arm gemacht hat, um seinen Geschöpfen
den Weg der Demut zu zeigen, obwohl er doch der Reichtum aller Geschöpfe ist”[50].
Zusammenfassung: Der spirituelle Werdegang des heiligen
Johannes von Gott führte von der bitteren Härte der Selbstaufgabe bis zum
Selbstverlust in der geistigen Umnachtung, in der er die unermessliche Liebe
Jesu Christi erfuhr. Diese Erfahrung schenkte ihm die Kraft zu einem Dasein an
der Seite der Armen und Entrechteten der untersten Schichten von Granada.
Seinem heiligen Meister nacheifernd gelangte er so zu einer mystischen
Identifikation mit den Ärmsten und Schwächsten, indem er sich mit ihnen bis in
den Tod erniedrigte und ihre Leiden auf sich nahm.
2. Tradition:
Überlieferung des Geistes unseres Stifters und Vaters
a) Vater und Bruder im Geist: die ersten Brüder
25. Die
Gabe des heiligen Johannes von Gott besaß eine große Ausstrahlungskraft. Sein
Geist teilte sich anderen mit. Seine Liebe zu den Armen und Kranken erweckte
bei vielen Menschen den Wunsch, sich seinem Werk der Liebe anzuschließen. Die
meisten unterstützten ihn mit Almosen; viele andere arbeiteten mit ihm im
Dienst an den Hilfsbedürftigen zusammen; einige wenige beschlossen, zusammen
mit ihm einen neuen Weg der Nachfolge Jesu Christi zu beschreiten. Mit diesen
Gefährten gründete er eine Brüdergemeinschaft, der zu Beginn als Lebensregel
seine Lebensform genügte.
26. Johannes
von Gott wusste aus eigener Erfahrung, dass der Mensch, der Jesus Christus in
seinen Armen dienen will, sich auf einen mühsamen Weg macht. Diejenigen, die
mit ihm und wie er leben wollten, erinnerte er mit einfachen, aber
unmissverständlichen Worten an diese Tatsache. Sie mussten bereit sein, sich von sich selbst
loszulösen wie der hl. Bartholomäus: “Sie zogen ihm die Haut ab, und er
nahm seine Haut auf die Schultern.”[51] Sie mussten Zweifel und Unsicherheiten
überwinden:, durften nicht mehr wie “ein Schiff ohne Steuer, ein lockerer Stein”[52]
sein, sondern sich ihrer Schwächen und Unzulänglichkeiten bewusst werden, um
nicht Opfer einer momentanen Begeisterung zu werden, denn künftig erwarteten
sie “Mühen und Tage
voller Leid“, in denen sie einzig
und allein darauf bedacht sein mussten, „all das Gute zu tun, dessen ihr fähig seid.”[53] Deswegen riet er, sich Zeit zu nehmen für
die Berufsentscheidung und dieses Anliegen “ganz dem Herrn anzuempfehlen”[54], wobei er zur Vorbereitung eine Zeit
persönlicher Askese für sinnvoll hielt: “Es wird gut
sein, dass Ihr Euch ein wenig das Fleisch abschabt..., dass Ihr Hunger und
Durst leidet und Schande und Erschöpfung und Ängste und Mühsal und Ärger...,
denn wenn Ihr hierher kommt, müsst Ihr alles das um der Liebe Gottes willen
ertragen.“[55] Voraussetzung dafür waren ein inniger Umgang
mit Gott und der häufige Empfang der Sakramente: “Bleibt alle Tage
Eures Lebens mit Gott verbunden. Hört immer die ganze Messe und beichtet – wenn
möglich – oft.”[56] Kurz, wer seinen Lebensstil übernehmen
wollte, musste
sich in einem tiefgehenden Lernprozess mit Jesus Christus auseinandersetzen und
vertraut machen, damit er zur selben radikalen Ganzhingabe an Gott und den
Nächsten fähig war, und durfte sich nicht mit Halbheiten zufrieden geben,
sondern musste nach der höchsten Form der Liebe streben: “Gedenkt unseres Herrn Jesus Christus und
seines geheiligten Leidens, der das Übel, das sie ihm antaten, mit Gutem
vergalt. So sollt Ihr, mein Sohn, handeln, wenn Ihr in das Haus Gottes kommt.”[57] Er verbirgt die Schwierigkeiten und
Herausforderungen, die damit verbunden sind, nicht: „Denn wenn Ihr hierher kommt,... , habt Ihr viel zu gehorchen und noch
viel mehr zu leiden... denn dem Lieblingssohn weist man die schwersten Arbeiten
zu... Denn
wenn Ihr hierher kommt, müsst Ihr alles das um der Liebe Gottes willen
ertragen. Für alles sollt Ihr Gott vielen Dank sagen, für das Gute und für das
Böse.”[58]
Als wichtigste Richtschnur, die
allem anderen erst Sinn verleiht, empfiehlt er, dem eigenen Fühlen, Denken und
Handeln folgende Einsicht zugrunde zu legen: “Liebt unseren
Herrn Jesus Christus über alles auf der Welt, denn, wie viel Ihr ihn auch
liebt, er liebt Euch mehr. Bleibt immer in der Liebe, denn wo keine Liebe
herrscht, ist Gott nicht – wenngleich Gott überall ist.”[59]
27. Johannes
von Gott suchte Brüder, die von der Erfahrung der Barmherzigkeit Gottes genau
so gezeichnet waren wie er,[60] denn er wusste,
dass erst auf der Grundlage einer solchen Erfahrung eine innige Liebesfähigkeit
wachsen und sich hilfsbereite, treue und verständnisvolle Menschen entwickeln
können, die zu Vergebung und Versöhnung bereit und geschlossen untereinander
sind. Seine Lebens- und Handelnsweise vermittelte ihnen eine unerschütterliche
Glaubensfestigkeit und Überzeugtheit vom Wert des empfangenen Charismas. So bot
sich den Einwohnern Granadas schon bald folgendes Bild: “Die Brüder gehen
durch die Straßen und lesen die Armen auf und tragen sie auf ihren Armen oder
Schultern in das Hospital, wo sie sie mit großer Liebe pflegen... Es ist
allgemein bekannt, dass die Brüder, wo immer sie einen Armen auf der Straße
liegen sehen, ihn auf ihre Schultern laden und ins Hospital bringen.”[61] In der Kirche
war ein neuer Orden entstanden: der Orden der Barmherzigen Brüder.
b) Das Vermächtnis des Geistes der Hospitalität
28. Die
ersten 16. Los primeros hermanos. Juan
de Dios contó con dos categorías de colaboradores: benefactores y voluntarios.
Entre éstos hubo algunos - sus Gefährten[62]- des heiligen
Johannes von Gott hatten an seinem Geist der Hospitalität Anteil und
verbreiteten ihnque llevaron el voluntariado hasta sus últimas
consecuencias: . Anton Martín war wie ein verlängerter Arm von
Johannes von Gott. Er gründete und leitete das „Hospital de Ntra. Señora del Amor de Dios“ inen el Hospital Madrid, das nach seinem Tod nach ihm benannt
wurdetenía
.[63]y que él dir
Pedro Velasco, der ebenso wie Anton Martín von der Gnade Gottes umgestaltet
wurde, zuvor jedoch sein Todfeind gewesen war und seine Hinrichtung verlangt
hatte, schloss sich dem Heiligen an, ahmte sein Leben nach und starb im
Hospital von Johannes von Gott in Granada. Beide öffneten die Augen für die
Barmherzigkeit Gottes dank des barmherzigen Lebenszeugnisses des heiligen
Johannes von Gott und sind leuchtende Zeugen dafür, wie im Zeichen der
Hospitalität Versöhnung und Geschwisterlichkeit gestiftet werden können. Andere
Gefährten wurden von Zeugen ebenfalls als Hospitalbrüder bezeichnet. Sie
kennzeichneten sich durch eine große Nähe zu den Armen und Kranken, die sie
pflegten, und erkannten in Johannes von Gott ihren Gründeren[64],
dessen Hospitalität ohne Grenzen[65]
sie nachahmten. Zwanzig Jahre nach dem Tod des Gründers wirkte der Geist der
Hospitalität lebendig und frisch wie zu Zeiten des heiligen Johannes von Gott
fort.
29. Dieser
Geist ist ein lebendiges Vermächtnis in der Ordensgeschichte geblieben. Als
treue Hüter dieses Vermächtnisses sind hier an erster Stelle die Heiligen,
Seligen und Ehrwürdigen des Ordens zu nennen: der heilige Johannes Grande, der
heilige RiccardoRichard Pampuri, der heilige Benedikt Menni, die
zahlreichen Ordensmärtyrer, die vielen Brüder, deren Seligsprechungsverfahren
im Gang ist (Francisco CamachoCamacho, Antón MartínJosé OlalloOlallo ValdèsValdés, Eustachius Kugler, William Gagnon) sowie die
vielen anderen, die im Lauf der Geschichte wegen ihres Glaubens und der treuen
Erfüllung des Dienstes der Hospitalität in Brasilien, Kolumbien, Chile, Polen,
Philippinen, Frankreich, Spanien und vor kurzem auch in anderen Ländern
verfolgt wurden und teilweise den Märtyrertod starben.
30. Die
Spiritualität des Ordens hat auch in anderen hervorragenden, dynamischen
Brüdergestalten zeichenhaft Ausdruck gefunden. Hier sei nur an folgende
erinnert: Pedro Soriano
(Italien); Giovanni Bonelli
(Frankreich); Gabriel Ferrara eund
Giovanni Battista Cassinetti (Österreich/Deutschland/MitteleuropaItalia
y Alemania) und Francisco Hernández (AmericaLateinamerika). Herausragende Gestalten in der jüngeren
Vergangenheit waren außerdem Paul de Magallon (Frankreich), Eberhard Hacke und
Magnobon Markmiller (Deutschland), GiovaniGiovanni MariaMaria Alfieri (Italien) und der bereits genannte
heilige Benedikt Menni (Spanien, Portugal und Mexiko). Der Geist der Hospitalität
wirkte auch in Mitarbeitern fort, welche die Sendung und den charismatischen
Geist des Ordens mitgetragen haben.
31. Die
spirituellen Werte, welche diese lange Geschichte geprägt haben, sind
ausgehend von der Grunderfahrung des heiligen Johannes von Gott:
Ø
eine tiefe Erfahrung der „Gnade“ und
„Barmherzigkeit“ Gottes,
die den Menschen erkennen lässt, dass er sündig und vergebungsbedürftig ist,
und die Gabe der Hospitalität mit offenen Armen aufnehmen lässt, mit der Gott
so freigebig Johannes von Gott und seine Nachfolger beschenkt hat.[66]
Johannes von Gott erfuhr die unermessliche Barmherzigkeit Gottes und erwiderte
sie mit einem barmherzigen Leben. Besonders wichtig war ihm dabei die
Betrachtung des Leidens und Todes Jesu. Dies kommt in ergreifender Weise in
folgenden Worten an die Herzogin von Sesa zum Ausdruck: „Wenn wir recht bedenken würden, wie groß das Erbarmen Gottes ist, so
würden wir nie unterlassen, das Gute zu tun. Wenn wir um seiner Liebe willen
den Armen das weitergeben, was Er uns gibt, verspricht er uns das Hundertfache
[...] Wer gäbe nicht alles, was er hat, diesem göttlichen Kaufmann, der mit uns
einen so guten Handel macht und uns mit ausgebreiteten Armen bittet, uns zu
bekehren und unsere Sünden zu beweinen; und zuerst unseren Seelen und dann
denen unserer Mitmenschen Liebe zu erweisen“ (1 DS 13). Wenn Johannes von
Gott zur Betrachtung des Leidens des Herrn aufforderte, wollte er damit zum
Dank- und Lobgebet ermuntern, die Hoffnung auf Jesus Christus als demjenigen
festigen, der uns Trost und Linderung bei Schwierigkeiten und Leiden ist, und
dazu einladen, den Armen und
Hilfsbedürftigen Gutes und Barmherzigkeit zu erweisen (vgl. 3 DS 8.9; 2 DS
9.19). Der große Stellenwert, den das Leiden Christi seit jeher in unserer
Spiritualität hat, geht unmittelbar auf Johannes von Gott zurück.[67]
Ø
Nachfolge des barmherzigen und mitleidenden Jesus[68]:
in Jesus erkennen wir den
gestalt- und menschgewordenen Gott der Barmherzigkeit, in ihm hat unsere
Hospitalität ihren Ursprung (Konst. 20). Wir folgen ihm nach und ahmen seine
Zeichen und Gesinnungen nachi (Konst. 2c; 3a). Wir begegnen ihm in
der Person und im Antlitz des Kranken und Hilfsbedürftigen, dem wir Aufnahme
gewähren und liebevoll umsorgen.
Ø
Verehrung
der Jungfrau Maria als
lebendigem und hervorragendem Beispiel der Hospitalität durch ihre
Verfügbarkeit, Dienstbereitschaft, Fürsprache und mitleidendes Aushalten an der
Seite der Leidenden.[69]
Ø
Eine
harmonische und alle Seiten unseres Seins umspannende Ausfaltung der Liebe zu Gott und zum
hilfsbedürftigen Nächsten.[70]
Ø
Spirituelle
Festigkeit bei Hindernissen: die Erfahrung der Gnade entfaltet eine derartige Wirkung, dass keine
Schwierigkeit und kein Hindernis imstande sind, das zu unterbrechen, was man
für die Armen, Kranken und Hilfsbedürftigen tut.
Ø
Ausstrahlende
Hospitalität: Wie
Johannes von Gott sind auch seine Nachfolger mit einer Hospitalität beschenkt
worden, die eine kraftvolle Ausstrahlung besitzt, dank der es den Brüdern
gestern wie heute gelingt, andere Menschen für neue Projekte der Hospitalität
zu gewinnen und sie zur Teilhabe an Charisma und Spiritualität des Ordens
einzuladen. Die selbsttätige Verbreitungskraft, die unserem Charisma dank
seiner Strahlkraft innewohnt, muss Hand in Hand mit einer überlegten
Unterweisung der Mitarbeiter im Geist des heiligen Johannes von Gott gehen.
Ø
Die Sorge
um den kranken und hilfsbedürftigen Menschen als Beitrag des Ordens zu der einen Sendung der
Kirche.[71]
Ø
Professionalität: es gehört seit jeher zur Tradition des
Ordens, die Hospitalität harmonisch mit Technik, Wissenschaft und modernen
Mitteln je nach den Problemen und Möglichkeiten von Ort und Zeit zu verbinden.
Ø
Opferbereitschaft
bis zum Tod: zahlreiche
Nachfolger des heiligen Johannes von Gott haben sich durch eine bedingungslose
Hingebungsfähigkeit ausgezeichnet, die in einigen Fällen bis zur Hingabe des
eigenen Lebens für die Kranken und Hilfsbedürftigen ging. Die Geschichte
unseres Ordens kennt eine Vielzahl an heroischen Momenten: Epidemien, Kriege,
Gefahren...
Ø
Inkulturation
bei den Armen – Hospitalität als Anspruchslosigkeit: die der Hospitalität innewohnende Forderung nach
Selbstbeschränkung bzw. „Kenose“ veranlasst die Brüder, auf ein bequemes Leben
und jede Form von Größe zu verzichten und sich vielmehr dem bescheidenen
Lebensstil der Armen und Kranken anzupassen.
3. Das Charisma des
heiligen Johannes von Gott heute: Sendung des Miteinanders und
Inkulturation
32. Johannes von Gott
teilte die Gabe, die er empfangen hatte, mit allen Arten von Menschen, die sich
von seiner christlichen Lebensform und Liebe zu den Hilfsbedürftigen angezogen
fühlten: einfachen
Leuten, die ihm bei der Arbeit halfen, anonymen Wohltätern und vornehmen
Persönlichkeiten, die ihn mit Gütern unterstützten, Priestern, die ihm bei der
seelsorglichen Betreuung der Patienten im Krankenhaus halfen, sowie zahlreiche
Freiwillige, Ärzte und Mitarbeiter, die gemeinsam mit ihm und den Brüdern die
Kranken versorgten.
33. Die
Gabe der Hospitalität, so wie sie von Johannes von Gott gelebt wurde, hat sich
ständig weiter verbreitet, auch bei Personen, die nicht von
christlichen Werten geleitet sind. Das überlieferte Charisma hat eine
erstaunliche Kreativität entfaltet und gemeinschaftliche Leistungen
hervorgebracht, mit denen man sich an die verschiedenen Gegebenheiten von Ort
und Zeit angepasst hat. Wir erkennen immer deutlicher, dass das Charisma der
Hospitalität des heiligen Johannes von Gott nicht mehr nur unter den
Zuständigkeitsbereich der Brüder fällt, die sich durch die Profess an den Orden
gebunden haben. Man bemüht sich, eine neue Sichtweise des Ordens als “Familie”
zu entwickeln. In diesem Sinne nehmen wir in unserer Zeit wie eine willkommene
Gabe des Geistes die Möglichkeit auf, unser Charisma, unsere Spiritualität und
Sendung mit anderen zu teilen.[72] Diese
Entwicklung, die bei uns langsam an Kraft gewonnen hat, ist eine große
Herausforderung, denn sie bedeutet, dass wir so durchdrungen von unserem
Sendungsauftrag leben müssen, “dass auch unsere Mitarbeiter sich veranlasst
sehen, in gleicher Weise zu wirken.”[73] Diese
Orientierung ist nicht nur darauf zurückzuführen, dass unsere apostolischen
Werke, vor allem in den Industrieländern, immer komplexer werden, sondern auch
darauf, dass wir so dem evangelischen Imperativ entsprechen, das, was uns vom
Herrn geschenkt wurde, voller Freude mit anderen zum Wohl der Gemeinschaft der
Kirche und wirksameren Verkündigung des Evangeliums von der Barmherzigkeit zu
teilen.
34. Unsere
Brüder in den Missionen 23. haben einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet,
dass sich das Charisma des heiligen Johannes von Gott verbreitet und bei
anderen Kulturen Wurzeln gefasst hat. Heute steht ein weiterer Schritt bevor,
nämlich der, dass nach der Inkulturation die Verleiblichung des Charismas
des Ordens durch einheimische Brüder erfolgen muss. Das verlangt,
dass an die Stelle der Formen, in denen die ausländischen Brüder, die als
Missionare ins Land kamen, die Weihe in der Hospitalität gelebt haben, die
Stile und Formen des jeweiligen Landes treten, wobei natürlich der
ursprüngliche Kern und die zeitlosen Werte des Charismas gewahrt bleiben
müssen. Diese Forderung stellt sich noch dringender im Bereich des Apostolats,
wo die Organisation der sozialen und medizinischen Tätigkeit vom Muster der
Ersten Welt hin zu Formen orientiert werden muss, die der jeweiligen Realität
entsprechen und sich harmonisch in das jeweilige soziale und kirchliche Umfeld
eingliedern, ohne
dass dabei auf die Tradition des Ordens verzichtet wird, eine würdige Pflege zu
gewährleisten, welche sich die Fortschritte von Wissenschaft und Technik
zunutze macht und von qualifizierten Brüdern und Mitarbeitern durchgeführt wird.
35. Auf
diese Weise wird das Charisma des heiligen Johannes von Gott auf einer Seite
mit den Werten der verschiedenen Kulturen bereichert und der Orden auf der
anderen Seite imstande sein, kritisches Gewissen an den Orten zu sein, wo die
medizinische und soziale Versorgung mangelhaft ist, indem er eine gesunde
Entwicklung medizinischer und sozialer Strukturen fördert, die allen offen
stehen, ganz besonders den Benachteiligsten.
II. Das Fundament: Barmherzigkeit und Hospitalität
als Grundkategorien
36. Der
20Orden
hat das Charisma des heiligen Johannes von Gott in zwei Worten artikuliert, die
eng miteinander zusammenhängen: “Barmherzigkeit” und “Hospitalität”.[74]
Wir begegnen diesen Worten auch in der Heiligen Schrift. Außerdem handelt es
sich um zwei Begriffe, die zwei menschliche Grundwerte zum Ausdruck bringen,
welche bei allen Kulturen großes Ansehen genießen. In der Folge sollen zu
diesen beiden Kernbegriffen als den Eckpfeilern der Spiritualität des Ordens
einige kurze Überlegungen angestellt werden. Zu diesem Zweck soll:
Ø
zunächst die
Barmherzigkeit als biblische und anthropologische Kategorie beleuchtet werden;
Ø
sodann
werden wir die Hospitalität im biblischen und anthropologischen Sinn untersuchen;
Ø
schließlich
soll die Rolle, den diese beiden Grundbegriffe im Zusammenhang mit dem Charisma
des Ordens spielen, erhellt werden, wobei wir uns ganz besonders auf die neuen
Konstitutionen von 1984 stützen werden.
1. Ausgangspunkt: Barmherzigkeit und Hospitalität, Schuld und Gewalt
37. Barmherzigkeit
ist, vor allen anderen Dingen, die Fähigkeit zu Verständnis, Mitgefühl,
Vergebung und Versöhnung vor menschlicher Schuld und Sünde. Als Menschen ist
uns die Freiheit gegeben, den Willen Gottes zu erfüllen oder gegen seinen
Willen und unser Menschsein zu handeln, kurz, den Bund, den Gott mit dem
Menschen geschlossen hat, zu brechen. Wer sein Menschsein achtet und sich
positiv gegenübersteht, bewirkt Harmonie, fördert seine Selbstentfaltung und
schafft ein frohes und solidarisches menschliches Miteinander. Die Missachtung
des göttlichen Schöpfungsplans wirkt sich hingegen schwerwiegend auf unser
inneres Gleichgewicht aus und zerrüttet es. Es kommt zu Schuldbewusstsein und
Schuldgefühlen, von denen alle Dimensionen unseres Lebens in Mitleidenschaft
gezogen werden.
Ø
Wenn sich
jemand vor Gott schuldig weiß und schuldig fühlt, sprechen wir von Sünde.
Ø
Wenn sich
jemand vor sich selbst und den anderen schuldig weiß und schuldig fühlt,
sprechen wir von “moralischer” oder
“sittlicher” Schuld.
Ø
Wenn jemand
eine grundlegende Norm unseres Wertesystems bricht, erwachen n1Schuldbewusstein und Schuldgefühle.
38. Deswegen
ist es falsch, Schuld zu leugnen. Zugleich darf aber auch nicht das Entstehen
von übertriebenen Schuldkomplexen gefördert werden, welche die Realität
verzerren. Vergeben, im Sinne der menschlichen Fähigkeit, sich selbst und
anderen zu vergeben, ist die umfassendste Form, Schuld und Sünde zu überwinden.
39. Hospitalität
ist, vor allen anderen Dingen, die Fähigkeit, für den anderen offen zu sein und
ihn anzunehmen. Aus dieser Fähigkeit erwächst dem Menschen spontan eine weitere
wichtige Fähigkeit, nämlich die, auf Gewalt zu verzichten. Gewalt gibt es dort,
wo Menschen einander den Platz streitig machen und nicht fähig sind, in Frieden
zusammenzuleben und sich einander als Personen zu begegnen. Innere
Gewaltbereitschaft führt dazu, dass man den Konflikt, die Auseinandersetzung
und Entwürdigung des Anderen systematisch sucht. Gewalt aktiviert die
schlimmsten Eigenschaften des Menschen und stimuliert seine Aggressivität.
Gewalt hat ihren Ursprung nicht im Krieg aller gegen alle, sondern in der
Feindschaft einer Menschengemeinde la– Familie, Dorf, Nation, Religionsgemeinschaft,
Kulturgemeinschaft – gegen Fremdes und Fremde. Wo eine solche gewaltsame
Einstellung zum allgemeinen Gesetz wird, sieht man sich gewöhnlich als
alleinigen Repräsentanten der Zivilisation und bekämpft alles Andersartige.
Gewalt entsteht dort, wo Andersartigem und Fremdem das Lebensrecht verweigert
wird.
40. Es
gibt auch religiöse Gewalt. Sie entsteht, wenn eine Gruppe behauptet: “Gott ist
mit uns!” und seine Gegenwart bei Fremden leugnet. Wer überzeugt ist, dass Gott
ausschließlich mit ihm ist, nimmt für sich alle Rechte in Anspruch. Diese Einstellung
führt zu einem gefährlichen egoismoEgoismus,
der sich unter dem Deckmantel religiöser Motive verbirgt: “Meine Existenz
verlangt die Auslöschung des Anderen.” Deswegen ist Gewalt, die aus
Glaubensgründen ausgeübt wird, radikal fundamentalistisch und lebensbedrohlich
für Andere, aber auch äußerst destruktiv für diejenigen selbst, die sie
ausüben. Nur die Annahme des Anderen, des Fremden, die Hospitalität – also
Fremdenfreundlichkeit und nicht Fremdenfeindlichkeit – setzt der Gewalt ein
Ende.
2. Die Barmherzigkeit
a) Der Gott der Barmherzigkeit
41. Die
wichtigste Eigenschaft Gottes ist nach dem Alten Testament die Barmherzigkeit
und nicht die Gewalt.[75]
Die Barmherzigkeit ist unermesslich größer als sein Zorn: “Einen Augenblick nur
verbarg ich vor dir mein Gesicht in aufwallendem Zorn, aber mit ewiger Huld
habe ich Erbarmen mit dir” (Jes 54, 8). Die Stelle, die am besten die
Barmherzigkeit als grundlegenden Wesenszug Gottes zum Ausdruck bringt, findet
sich in Ex 34, 6-7:
“Der Herr ging an
ihm vorüber und rief: Jahwe ist ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig,
reich an Huld und Treue Er bewahrt Tausenden Huld, nimmt Schuld, Frevel und
Sünde weg, lässt aber den Sünder nicht ungestraft; er verfolgt die Schuld der
Väter an den Söhnen und Enkeln, an der dritten und vierten Generation.”
42. Gott wird hier als “Rahum” bezeichnet, also
als jemand, der von einer innigen, mütterlichen, herzlichen Liebe erfüllt ist.
Diese barmherzige Liebe ist geschenkte Liebe und nicht Erwiderung auf etwaige
Verdienste. Sie ist eine Forderung, die aus dem Herzen selbst kommt.
Barmherzigkeit ist also Güte, Herzlichkeit, Geduld, Verständnis und
Vergebungsbereitschaft auch und gerade bei Übertretungen des göttlichen
Gesetzes..
43. Tatsächlich
zeigt sich die Barmherzigkeit gerade dort, wo der Mensch den Bund mit Gott
bricht. Jedes Mal wenn sich das Volk Gottes seiner Untreue bewusst wurde, rief
es die Barmherzigkeit Gottes an. Die Bündnisbrüche bewirkten den Zorn und Groll
Gottes. Doch mit den Propheten (ExequielEzechiel und Jesaja) verwandelten sich die
Drohungen in trostvolle Verheißungen und barmherzige Kundgebungen ,
in Evangelium (Gute Nachricht) für die Armen (Jes 40; 61).
b) Die Menschwerdung des barmherzigen Gottes
44. In
Phil 2, 6-11 lesen wir: Gott “entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und
den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und
war gehorsam bis zum Tod am Kreuze.” Der allmächtige Gott verzichtet auf
seinen Machtanspruch: “Ich
aber bin unter euch wie der, der bedient" ” (Lk 22, 27; vgl. Mt 22, 25-28). Der
allmächtige Gott zerstört nicht mechanisch das Böse und den Tod, sondern nimmt
sie auf sich . Deshalb nimmt unser Gott vor dem
Leiden der Unschuldigen und den absurden Seiten des Lebens die Gestalt
unbesiegbarer Schwäche an. Gott macht sich dem Schwachen gleich und leidet mit
dem Menschen. Das Leiden wird so zum Brot, das Gott mit uns teilt. Die
göttliche Barmherzigkeit ist das Bußwerk Gottes, die Schwäche Gottes. Die
Schwäche Gottes entspricht der Schwäche des Menschen. Deswegen dürfen wir uns
von ihm immer Vergebung erwarten, denn erst im Erbarmen zeigt sich unser Gott
dem Menschen in seinem ganzen Gottsein.
45. Das
Neue Testament stellt uns Jesus als großherzigen Vergeber dar, als jemand, der
Heil und Heilung durch Vergebung wirkt. In ihm kommt die Barmherzigkeit Gottes
zur vollen Wirkung. Gerade in einer so wichtigen Sache wie der Vergebung, die
allein Gott zuzustehen scheint (vgl. Mk 2, 7; Lk 15), tritt Jesus besonders augenscheinlich an
die Stelle von Gottvater. Jesu
Sorge gilt dem ganzen Menschen. Er dringt bis in sein Innerstes, bis in die
entlegensten Winkel des menschlichen Herzens vor, ohne sich dabei jedoch nur
der Seele bzw. der Psyche zuzuwenden, sondern sieht ihn stets als
leib-seelische Einheit. “Jesus selbst war die Therapie, die er anwandte” (Hanna
Wolff). Durch die Vergebung löst Jesus bei den Betroffenen einen Prozess
vollkommener Wiederherstellung aus. In Jesus offenbart sich die Barmherzigkeit.
Jede Form von Gewalt liegt ihm fern. Die Menschwerdung ist die Erniedrigung
Gottes (Kenose Gottes), ist das Zeichen dafür, dass Gott nicht Gewalt ist,
sondern die Schwäche liebt und sich selbst schwach macht. Jesus trat nicht in
der Gestalt einer außergewöhnlichen heiligen Persönlichkeit auf, vielmehr „war
sein Leben das eines Menschen” (Phil 2, 7) von dieser Welt. Jesus wird zum Bruder
aller Menschen ohne Ausnahme. Er liebt alle, weil er ein getreues Bild Gottes
ist und Gott ist die Liebe (1 Joh 4, 7). Er lehnt kompromisslos jede Form von
Gewalt ab und stellt seinen Vater nicht als gebietenden Herrn dar, sondern als
Freund, nicht als Herrscher, sondern als Diener, und verkündet, dass die
wesentlichen Dinge nicht den Weisen, sondern den Kleinen geoffenbart werden (Mt 11, 25; Lk 10, 21). Der
Leitfaden, der sich durch die Heilsgeschichte zieht, die Jesus begonnen hat,
ist, dass das Starke sanft werden und auf Gewalt und Machtdenken verzichten
muss. Deswegen fordert Jesus unermüdlich alle auf, zu vergeben und immer wieder
von neuem zu vergeben (bis siebenundsiebzigmal, Mt 18, 22). Jesus erweist sich so als großer Erzieher, der hin zu
ruhigen Quellen führt und lehrt, wie gesellschaftliche und überbrachte Gewalt
überwunden werden können.
46. Das
Loblied, mit dem der Brief an die Epheser beginnt, preist die Größe Gottes, die
insbesondere darin gesehen wird, dass er uns - in und durch Jesus - Vergebung
von den Sünden gewährt. Während die schenkende Liebe eine der überraschenden
Seiten an Gott ist, macht die Barmherzigkeit ihn uns zugänglich und nahe. Unser
Gott ist in der Tat nicht nur ein gebender Gott, sondern auch und vor
allem ein vergebender, ein barmherziger Gott. Gerade die Barmherzigkeit
macht das Wesen unseres Gottes und seiner Gegenwart unter den Menschen aus.
“Wer außer Gott kann Sünden vergeben?” (Lk 5, 21; Mk 2, 7). Jesus
tritt ganz besonders unter diesem Aspekt an seine Stelle. In der Menschwerdung
des Sohnes Gottes findet die Barmherzigkeit ihren höchsten Ausdruck. Der Abba
Jesu ist “der Vater des Erbarmens und der Gott allen Trostes” (2 Kor 1, 3), ein
Gott “voll Erbarmen” (Eph 2, 4).
47. Die Identifikation Jesu mit den Menschen,
besonders denjenigen, die an Hunger und Durst leiden, die fremd, obdachlos,
krank und im Gefängnis sind oder sonst wegen einer Not leiden (Mt 25, 34-45), zeigt, wie groß die
Barmherzigkeit ist, die er verleiblicht, so groß, dass er selbst Opfer der
Gewalt wird, welche jene erleiden, mit denen er sich identifiziert. Doch mit
ihm kennt man kein Erbarmen, so dass er sich am Kreuz schmerzvoll fragt: “Mein Gott, mein
Gott, warum hast du mich verlassen?” (Mt 27, 45). Sein Gebet wurde
erhört und mündete in die Auferstehung. Er erwachte im Schoß des Vaters wieder: Mein Sohn bist du,
heute habe ich dich gezeugt (vgl. Ps 2, 7; Hebr 1, 5). Aus dem barmherzigen
Schoß des Vaters wurde er für die Ewigkeit geboren.
c) Die Barmherzigkeit im
Charisma des Ordens
48. Die
„Barmherzigkeit“ ist der Eckpfeiler des Charismas und der Spiritualität des
heiligen Johannes von Gottla [76]
und seines Ordens[77].
Wir wollen in der Kirche eine lebendige, gemeinschaftliche Darstellung der
Barmherzigkeit sein.
Ø
Ausgangspunkt: Wir sind uns bewusst, dass wir in dem
Maß barmherzig zu sein imstande sind, in dem wir uns, wie einst Johannes von
Gott, von der Barmherzigkeit Gottes ansprechen und durchdringen lassen: “Wenn
wir recht bedenken würden, wie groß das Erbarmen Gottes ist, so würden wir nie
unterlassen, das Gute zu tun.”[78]
Wir wollen unseren Herrn Jesus Christus „über alle anderen Dinge dieser Welt
lieben und seine Liebe und Güte mit barmherziger Liebe zu den Armen und
Bedürftigen beantworten”, wobei es unser Bemühen ist, die „mütterliche Liebe“
der „allzeit unberührten“ Jungfrau und Gottesmutter Maria unter ihnen
aufleuchten zu lassen (Konst. 4b.c).
Ø
Unser
spirituelles Ziel ist, “die Gesinnungen Christi zum kranken und
bedürftigen Menschen zu verleiblichen und sie durch Werke der Barmherzigkeit zu
offenbaren.” “Wir machen uns schwach mit dem Schwachen” und wollen für ihn
Zeichen und Ankündigung des angebrochenen Reiches Gottes sein (Konst. 3).
Wir erwidern den Ruf Gottes, der an uns ergangen ist, indem wir eine intensive
Liebe zu den Armen, Hilfsbedürftigen und Sündern entfalten.
Ø
Der Stil,
der unsere Gemeinschaft seit ihrem Entstehen kennzeichnet, äußert sich in
folgenden Tugenden: “...
demütigem, geduldigem und verantwortungsvollem Dienen; Achtung vor der Person
und Treue zu ihr; Verständnis, Wohlwollen und Selbstlosigkeit; Anteilnahme an
Ängsten und Hoffnungen...”
(Konst. 3b).
3. Die
Hospitalität (Gastfreundschaft)
49. Das
2733Charisma,
das unser Orden empfangen hat, wird traditionsgemäß als “Hospitalität”
bezeichnet. Dieser Begriff, der in seiner ursächlichen Bedeutung als
Gastfreundschaft im weitesten Sinne zu verstehen ist, hat nicht nur sprachlich
seine Ausdruckskraft gewahrt, sondern wird heute von einigen anerkannten
Denkern auch als grundlegende Kategorie des neuen, ethischen Codex betrachtet,
den unsere Zeit so dringend notwendig hätte.[79]
Deswegen soll im Folgenden einiges zu diesem Kernbegriff unserer spezifischen
Ordensspiritualität gesagt werden.
a) Was ist Hospitalität
50. Hospitalität
ist zuallererst ein menschliches Beziehungsmuster, bei dem eine Seite
Gastfreundschaft sucht (Gast) und eine andere Gastfreundschaft gewährt
(Gastgeber). Diese Beziehung beinhaltet Rechte und Pflichten. Gast und
Gastgeber stehen in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander. Der Gast ist
ein Abwesender, der jederzeit kommen und sein Gastrecht geltend machen kann. Wo
Gastfreundschaft gepflegt wird, hat der Abwesende das Recht, empfangen
zu werden, und der Gastgeber die Pflicht, ihn zu empfangen-huesped.
51. Warum
gibt es die Gastfreundschaft unter den Menschen? Diese Frage lässt sich nicht
leicht beantworten. Was gesagt werden kann, ist, dass Gastfreundschaft nichts
Mechanisches ist, denn der Gast kann wieder gehen bzw. der Gastgeber seine
Gastfreundschaft aufkünden. Sie ist jedoch auch nicht willkürlich, weil ein
Gastgeber sich gewöhnlich verpflichtet fühlt, den ankommenden Gast aufzunehmen,
auch wenn er ihm ungelegen kommt.
52. Das wichtigste Kennzeichen der
Hospitalität/Gastfreundschaft ist die Aufnahme und die Zuerkennung des
Gaststatus an den Ankommenden vonseiten des Gastgebers. Doch diese Anerkennung
und Aufnahme trägt besondere Züge 293:
Ø
Hospitalität/Gastfreundschaft
ist grundsätzlich universal. Jeder Mensch kann Gast sein. Einen Menschen
als Gast anerkennen, bedeutet, dass man anerkennt, dass alle Menschen ein potentielles
Gastrecht haben. In diesem Sinn ist ein jeder Mensch auf dieser Welt ein
potentieller Gast oder umgekehrt ein potentieller Gastgeber. In vielen
Kulturkreisen ist es verboten, den Gast nach seiner Herkunft und nach seinem
Namen zu fragen. Das kommt daher, dass er ein symbolisches Zeichen für das
Abwesende bleiben soll. Dieser Schutz der Anonymität des Gastes bedeutet, dass
wir in jedem Gast stellvertretend „alle“ Menschen sehen sollen. Die Pflichten,
die wir gegenüber den Besuchern haben, die zu uns kommen, sind nicht abstrakt,
sondern sehr konkret. Wenn man den Fremden so nicht nach seinem Namen, seiner
Herkunft und seiner Abstammung fragt, kündet das nicht von Desinteresse oder
sogar von Verachtung, sondern von der inneren Bereitschaft, allen Menschen ohne
Ansehen von Namen, Herkunft und Abstammung Gastfreundschaft zu gewähren.
Ø
Hospitalität/Gastfreundschaft
ist ein moralisches und politisches Gütezeugnis, das dann gegeben ist, wenn der
Gast nicht nur in seiner Eigenschaft als Individuum, sondern als ständiger
Botschafter bzw. Vertreter anderer Menschengruppen, Gemeinschaften, Völker oder
Nationen aufgenommen wird. Hier stellt uns die Hospitalität vor eine große
ethische und politische Herausforderung, nämlich der Aufnahme des Fremden, des
Anderen, kurz, des Menschen, der nicht zu „den Meinen“ gehört. Hospitalität ist
in diesem Sinn Anerkennung des Andersartigen: Wir akzeptieren, dass der Gast
anders ist als wir, und, was ganz besonders wichtig ist, lassen ihm die
Freiheit, anders zu sein.
Ø
Hospitalität/Gastfreundschaft
ist grundsätzlich heilig. Bei vielen
Völkern ist der Fremde, der zu Gast kommt, von Geheimnis umgeben. Ja, ihn
umhüllt eine gewisse Heiligkeit. Der Gast könnte ein Gott sein. Dass das
Göttliche zu den Menschen zu Gast kommt, ist sowohl in der griechischen
Mythologie, als auch in der Bibel und bei vielen anderen Kulturen ein immer
wiederkehrendes Thema. Das Göttliche, so heißt es, verkleidet sich gern bis zur
Unkenntlichkeit, um in dieser Form die Menschen um Hilfe zu bitten. Im Brief an
die Hebräer heißt es in diesem Sinn, dass manche, ohne es zu wissen, Engel
beherbergt haben (Hebr 13, 2). Auf diese Weise wurde das Gastrecht auf ein
religiöses Fundament gestellt: Gehe mit Fremden so um, als ob Gott zu dir zu
Besuch käme. Die Gestalt des Gastes erlangt so etwas Undefinierbares, das ihn
zu einem Ort der Ungewissheit macht, an dem etwas Entscheidendes für uns auf
dem Spiel steht. Etwas zugleich Furchteinflößendes und Anziehendes ist ihm zu
eigen Dadurch wird der Gast zum
Vermittler zwischen zwei verschiedenen Sphären. Im Akt der Gastfreundschaft
vollzieht sich die Begegnung zwischen zwei verschiedenen Ebenen: das Göttliche,
Ferne, Unermessliche und Unbegreifliche kommt zu Gast zu den Menschen. Diese
Begegnung, die gelegentlich die Form eines gewaltsamen Einbruchs haben kann,
der die bestehende Ordnung zerstört und Vertrautes durcheinander bringt,
vollzieht sich immer unter dem Zeichen des Ungewissen und Verwirrenden.
Ø
Hospitalität/Gastfreundschaft
ist ein Ereignis. Sie ist weder
vorhersehbar noch kontrollierbar. Wir wissen weder, wann sie von uns gefordert
wird, noch von wem. Der Gastgeber muss immer bereit ein, denn zur undenkbarsten
Stunde kann der Gast an seine Tür klopfen.
Ø
Hospitalität/Gastfreundschaft
ist immer eine einmalige Begegnung
und bringt stets die Sorge um einen ganz konkreten
Menschen mit sich. Deswegen muss sie je nach den Eigenschaften und
Erfordernissen der Beteiligten (Gast und Gastgeber) gestaltet und interpretiert
werden
. Die Rechte und Pflichten, welche die Gastfreundschaft
beinhaltet, haben zwar grundsätzlichen Charakter, spielen sich jedoch stets in
einem fest umrissenen Horizont ab. So kann man etwa grundsätzlich bereit sein,
die Verpflichtungen zu erfüllen, welche sich aus der Forderung ergeben, dass
man für jeden Menschen unabhängig von seinen Eigenschaften Sorge tragen muss,
weil er Teil der Menschheit ist. Doch diese Forderung tritt uns immer in der
Gestalt eines ganz konkreten Menschen entgegen. Wenn also ein Gastgeber auf den
universalen Gast warten würde, weil dieser seiner Meinung nach der einzige ist,
der seine Gastfreundschaft verdient, und alle anderen Besucher, die an seine
Tür klopfen, abweisen würde, weil keiner von ihnen vollauf seinen
Menschlichkeitsgedanken erfüllt, würde Gastfreundschaft nie geschehen.
b) Die Hospitalität in der Offenbarung
53. Die
jüdisch-christliche Offenbarungsgeschichte hat seit jeher eine ganz besondere
Sensibilität für den Fragenbereich der Hospitalität/Gastfreundschaft gezeigt3631juded.[80]
An ihrem Anfang finden wir Gott, der den Menschen in seinem Garten empfängt und
sich unter allen Aspekten um seinen Gast sorgt (“Gott, der Herr, ließ aus dem Ackerboden allerlei
Bäume wachsen, verlockend anzusehen und mit köstlichen Früchten”). Er bot ihm
Essen und Kleidung (“Von
allen Bäumen des Gartens darfst du essen...Gott, der Herr, machte Adam und
seiner Frau Röcke aus Fellen und bekleidete sie damit”) (Gen 2, 8-9,
15-17; 3, 21). An ihrem Ende finden wir Gott, der den Menschen um
Gastfreundschaft bittet: “Ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wer meine Stimme
hört und die Tür öffnet, bei dem werde ich eintreten, und wir werden Mahl
halten, ich mit ihm und er mit mir” (Offb 3, 20).
54. Im Vollzug der Hospitalität/Gastfreundschaft
wird der Mensch zum Gast Gottes und Gott zum Gast des Menschen. Zugleich werden
dadurch alle Menschen Gäste füreinander. 3137Adam
und Eva waren im Garten Eden Gäste Gottes. Abraham, und nach ihm das Volk, das in Ägypten warEgipto, wurden in das Land
geführt, in dem Milch und Honig fließen, und waren dort Gäste Gottes: “Das Land
gehört mir, und ihr seid nur Fremde und Gäste bei mir” (Lev 25, 23; vgl.
Ps 23, 5; 27, 10). Gott war Gast bei Abraham und setzte sich zu ihm vor
das Zelt bei den Eichen von Mamre. Danach war er zu Gast beim Volk, das durch
die Wüste wanderte, und wohnte im Zelt der Begegnung. Schließlich wohnte er im
Tempel: “Die Herrlichkeit des Herrn erfüllte das Haus des Herrn” (1 Kön
8, 10-11). Das Geschehen der Hospitalität/Gastfreundschaft öffnete den Menschen
die Augen, dass sie Gäste Gottes auf dieser Welt sind und einander als Gäste
begegnen sollen. Abraham und Moses fühlten sich als Fremde in der Fremde. In
Ägypten machte das Volk Gottes dieselbe Erfahrung. Dadurch begriffen sie, dass
die Hospitalität/Gastfreundschaft zum innersten Wesen des Menschen gehört.
55. Hospitalität/Gastfreundschaft
ist die Empfängnis eines jeden Menschen im mütterlichen Schoß.
Hospitalität/Gastfreundschaft erfährt und schenkt man in Zelten, Häusern, Städten
und Ländern. Hospitalität/Gastfreundschaft beschränkt sich nicht nur auf den
Empfang des Gastes, sondern beinhaltet auch, dass man den Gast in den eigenen
Interessenbereich „einschließt“, vor Feinden schützt, wie sich selbst
respektiert und in Notfällen die Sorge angedeihen lässt, die man Mitbürgern
angedeihen lässt.
56. Lebendige
Sinnbilder der Hospitalität/Gastfreundschaft im Alten Testament sind: Abraham
(die gastliche Aufnahme der drei Männer); hombesdie
Witwe von SareptaSarepta und Elija (die einander
gegenseitg Gastfreundschaft gewähren); die Prostituierte von JericóJericho, RahabRahab (die die
Botschafter von Josua aufnimmt); der Alte (der den Leviten und seine Frau
aufnimmt, Ri 19), Tobias, der Erzengel Raphael und Rut.
57. Im
Neuen Testament erreicht die Hospitalität/Gastfreundschaft den Höhepunkt ihrer
Ausdruckskraft. 3339Jesus ist das
Sakrament Gottes, das uns aufnimmt, dient und heilt, das unsere Würde und
Gesundheit wiederherstellt, das sich mit uns identifiziert, das uns die Füße
wäscht und für uns stirbt. Ganz besonders im Lukasevangelium tritt uns Jesus
als Weg der Hospitalität entgegen. Andererseits erfährt auch Jesus die
Hospitalität/Gastfreundschaft der Menschen: im Schoße Mariens, bei einigen
Pharisäern, bei Marta und Maria, bei Zachäus usw. Die christliche Spiritualität
achtet die Hospitalität/Gastfreundschaft so sehr, dass sie die Gegenwart Jesu
in Armen, Kranken, Gefangenen und allen Menschen erkennt, die unserer
Solidarität, Liebe und Hilfe bedürfen.
58. Das
große christliche Gleichnis der Hospitalität/Gastfreundschaft ist das Gleichnis
vom barmherzigen Samariter. Auf die Frage des Rechtsgelehrten: Wer ist mein
Nächster? antwortet Jesus mit dem Beispiel des barmherzigen Samariters. Man
könnte glauben, dass Jesus mit dem Gleichnis sagen will, dass der Nächste der
Mann ist, der unter die Räuber gefallen ist, also der Mensch in Not. Doch Jesus
formuliert die Frage des Rechtsgelehrten um und fragt: Wer hat sich als
Nächster erwiesen? (Lk 10, 36). Worauf es Jesus ankommt, ist also nicht
so sehr, dass man im hilfsbedürftigen Menschen seinen Nächsten erkennen soll,
sondern dass man sich durch tätige Barmherzigkeit zum Nächsten des
Hilfsbedürftigen machen soll. Deswegen ist es nicht notwendig, dass der
Rechtsgelehrte sich auf die Suche nach hilfsbedürftigen Menschen macht, sondern
sich, wie der barmherzige Samariter, auf seinem Lebensweg durch tätige
Barmherzigkeit zum Nächsten macht. In dieser Parabel verschmelzen auf
wunderbare Weise Hospitalität und Barmherzigkeit.
c) Die Hospitalität bei unserem heiligen Stifter Johannes von Gott
59. 51Johannes
von Gott machte die Hospitalität zu seinem Lebensweg und Lebensziel. Auf diesem
großartigen, biblischen und anthropologischen Weg war es jedoch sein besonderes
Anliegen, die Hospitalität den Ärmsten, den Untersten auf der menschlichen
Stufenleiter, den körperlich und geistig Kranken ohne Ausnahme erfahrbar zu
machen. Diese Hospitalität wurde zu seinem Lebensgrundfue . Sie ist
das Charisma, mit dem er beschenkt wurde und das eine so beeindruckende und zuweilen
unbegreifliche Wirkung an ihm entfaltete, dass er niemand die Aufnahme
verweigern konnte, ja vielmehr diesen anderen, entstellten Menschen geradezu
suchte, um sich ihm ganz hinzugeben und gleich zu machen. Johannes von Gott
gehört damit zu den Menschen, die den heiligen Charakter des Fremden erkannt
haben.
60. 52Seine Hospitalität bestand
darin, im Kranken seinen Bruder und Nächsten zu sehen und zu dienen. Seine Hauptsorge war, den
Kranken alles Notwendige für Leib und Seele zu beschaffen: „Bevor er am Morgen das Haus verließ.... und wenn er am Abend nach Hause kam, ging
er, so müde er auch war, niemals schlafen, ohne vorher alle Kranken, einen nach
dem anderen, zu besuchen und sie zu fragen, wie sie den Tag verbracht hätten,
wie es ihnen gehe und was sie bräuchten, wobei er sie mit herzlichen und
liebevollen Worten an Leib und Seele aufrichtete.“[81] Dem Herrn seine Liebe
in den Armen und Kranken zu erweisen, erfüllte ihn mit grenzenloser Freude. [82]
61. Die
Nächstenliebe des heiligen Johannes von Gott war sehr vielseitig. Das zeigt deutlich
folgende Beschreibung seines Hospitals: Da dies ein Haus für alle ist, werden
alle Arten von Kranken aufgenommen und auch alle Arten von Menschen. Es gibt
hier deshalb Versehrte, Verletzte, Aussätzige, Stumme, Verrückte, Gelähmte, mit
Krätze Behaftete, sehr alte Menschen und viele Kinder; überdies viele Pilger
und Reisende, deren Weg zu uns führt.[83] Wie vielseitig und schöpferisch Johannes von
Gott war, hatte er bereits mit seiner besonderen Form des Bettelns unter Beweis
gestellt, die er in eine Art Apostolat verwandelte, indem er den Menschen
bewusst machte, dass die Hauptnutznießer einer jeden Gabe die Spender selbst
sind. Er schloss
keinen von seiner grenzenlosen Liebe aus, sondern umfing damit Arme wie Reiche,
denn seine Liebe hatte ihren Ursprung in der Liebe zu Jesus, in dem er alle
Menschen ohne Unterschied wie Brüder und Schwestern liebte.
62. Die
Identifizierung mit Christus machte aus Johannes von Gott einen vorzüglichen
Lehrer der Barmherzigkeit: Gott
schenkte ihm ein ausnehmend mitfühlendes und menschliches Herz. Wie Jesus, lehrte er mehr
durch Taten als durch Worte. Er sorgte sich nicht
darum, Statuten oder Dienstregeln zu verfassen, sondern beschränkte sich
darauf, die Gabe, von der er erfüllt war, in die Praxis umzusetzen, Gutes zu
tun, etliche Stunden der Nacht dem Gebet zu widmen, die Kranken einzeln zu
besuchen und allen mit großer Geduld zuzuhören, sie zu trösten und einem
jedem je nach Dringlichkeit und Möglichkeit zu helfen. Wie Jesus,
lebte, liebte und diente er, indem er sein Leben für alle hingab. Wie Jesus,
hinterließ auch er nur ein Gebot, das sein Werk in Zukunft erhellen und seinen
Geist lebendig erhalten sollte.[84] Die Brüder, die in seine
Nachfolge traten, lernten von ihm, die Armen und Kranken mit derselben Hingabe
aufzunehmen, zu pflegen und zu lieben. Erst später wurden die Regeln dieser
gelebten Liebe in den Konstitutionen des Ordens schriftlich festgehalten, um
das Modell der Hospitalität, das die Brüder von ihrem Stifter empfangen hatten,
in der Zeit zu bewahren:
“In unseren Hospitälern soll dafür gesorgt werden, dass
der Dienst, der dem Herrn in seinen Armen erwiesen wird, ihm wohlgefällig ist.
Deswegen (...) sollen
ihnen, bevor man sie mit der gebotenen Liebe in ein Bett legt, die Haare und
Nägel geschnitten werden, da dies der Gesundheit nicht schadet. Außerdem soll
man ihnen mit zu diesem Zweck angemessen warm zubereitetem Wasser die Hände und
Füße waschen und, bei Bedarf, den ganzen Körper. Danach sollen sie in ein
sauberes Hemd gekleidet werden und ihnen eine Mütze oder ein Kopftuch
umgebunden werden. Hat man dies getan, soll der Kranke säuberlich in das Bett
gelegt werden, das mit frischen Leintüchern und Kopfkissen bezogen sein soll,
welche im Winter vorgewärmt werden sollen, damit für alles Notwendige für sein
leibliches Wohl vorgesorgt ist.” [85]
d) Die Hospitalität in den Konstitutionen und Schriften des
Ordens
63. Der
Daseinsgrund eines Barmherzigen Bruders ist, mit seinem Leben zu zeigen, dass 5434“der
barmherzige Jesus von Nazaret in der Zeit lebendige Gegenwart” ist, und seine
“Gesinnungen zum kranken und bedürftigen Menschen zu verleiblichen”, um damit
zu bezeugen, dass “der mitleidende und barmherzige Christus des Evangeliums
unter den Menschen“ konkret weiter lebt.[86]
Jesus von Nazaret ist die “Quelle und Krone” unserer Spiritualität.[87]
Der Barmherzige Bruder hat eine ganz besondere Sendung und Aufgabe: Jesus durch
den Dienst an den Kranken und durch die Aufnahme der Armen und Verlassenen
lebendige Gestalt werden zu lassen. Jesus verkündete das Reich Gottes
denjenigen, die müde und beladen waren. Denjenigen, die unter dem Joch von Not
und Krankheit litten, verhieß er Befreiung und denjenigen, die verstört waren,
Heil und Heilung.
64. Der
Zweck der Ordenskonstitutionen ist, dem Orden eine zeitgemäße Interpretation
seiner Spiritualität im Wandel der Zeiten zu bieten. Nach dem Zweiten
Vatikanischen Konzil kam man im Orden zur Einsicht, dass ohne ein tiefgehendes
Umdenken und ohne einen neuen spirituellen Elan die Forderung des Konzils nach
Erneuerung nicht erfüllt werden konnte.[88]
Der Erneuerungsprozess, der darauf im Orden eingeleitet wurde, zielte in
verschiedene Richtungen:
Ø
Humanisierung der Betreuunghumanizacion: Das Hauptziel des Ordens ist, die Würde
eines jeden Menschen zu schützen und für sie einzutreten (Konst. 10d; 12c; 23a;
28b; 43d)[89].
Das Apostolat des Barmherzigen Bruders fällt in diesem Sinn mit der
Humanisierung zusammen. Dabei haben wir die Entdeckung gemacht, dass der
Barmherzige Bruder zuerst selbst ganz Mensch werden muss, um vermenschlichend
auf andere und an anderen wirken zu können: “Das eigene menschliche Wachstum
pflegen, um das anderer fördern zu können”. Ohne Pflege der Menschlichkeit geht
der tiefere Sinn des Charismas der Hospitalität verloren.
Ø
Das Ziel der Berufung des Barmherzigen Bruders ist, sich nach dem Vorbild des Bundes, den Gott mit dem
Menschen geschlossen hat, zum Verbündeten des leidenden Menschen zu machen.
Ø
Sie
beinhaltet weiter, geschwisterliche Bande unter den Menschen zu stiften. Johannes von Gott verstand sich als Bruder
aller Menschen: vom
Ärmsten bis zum Kronprinz Philipp.[90] Die Fähigkeit,
geschwisterliche Bande zu stiften, muss den Barmherzigen Bruder ganz besonders
auszeichnen. Angefangen beim leidenden Menschen bis hin zu den Menschen, die
mit ihm im Dienst der Hospitalität zusammenarbeiten, muss er allen Menschen ein
Bruder sein (45b; 46b.c; 23),
Mitarbeitern, freiwilligen Helfern und Wohltätern, mit denen er im Stil partnerschaftlichen
Miteinanders gemeinsam dem Leben dienen soll.[91]
Ø
Die Hospitalität
muss auf der Grundlage der Option
für die Armen und auf
der Grundlage der Humanisierung su (Konst. 5a)[92] des Dienstes an den
Kranken und Hilfsbedürftigen verstanden werden.
4. Barmherzigkeit und Hospitalität in unserer Zeit: die
Beziehung zum Fremden
a) Die Beziehung zum “Fremden”
65. Hospitalität
und Barmherzigkeit sind im Wesentlichen zwei menschliche Beziehungsformen, mit
denen der Mensch in seinen Mitmenschen dem Nächsten, dem Bruder und dem
„Fremden“ begegnet. Diese fremde Realität kann ein Freund sein 41(und
Gemeinschaft bedeuten!) oder ein Feind (und Feindschaft bedeuten!), ein Fremder, der uns bedroht, aber auch
unser Körper selbst als Schauplatz des Leidens oder auch die äußeren Folgen
unseres Handelns (vgl. Röm 7). Die Begegnung mit dem “Anderen”, mit dem
“Freund”, “Feind”, “Fremden” kann verschiedene Reaktionen bewirken: Freude,
Herzlichkeit, Solidarität, Irritation, Angst, Neugier, Interesse am Exotischen.
Das Unbekannte am Anderen ruft Angst hervor und erscheint bedrohlich und
faszinierend zugleich: bedrohlich, weil es das Eigene in Frage stellt; faszinierend,
weil es Möglichkeiten andeutet, die dem eigenen Leben bisher „fremd“ waren.
66. Das
Fremde ist immer etwas, das 42außerhalb
des eigenen Bereiches, des eigenen Raumes liegt, d.h. zu etwas Anderem
gehört. Das Fremde ist etwas, das sich uns entgegenstellt und uns unbegreiflich
und ungewöhnlich erscheint. Etwas wird nur als fremd erfühlt, wenn es zum
„Eigenen“ in Beziehung gesetzt wird. Damit etwas als „fremd“ bzw. „eigen“
bezeichnet werden kann, muss anerkannt werden, dass zwischen diesen beiden
Begriffen eine Beziehung besteht. Deswegen kann man Fremdes im Grunde nur als
Fremdes bezeichnen, wenn wir es uns bereits in einem gewissen Ausmaß zu „eigen“
gemacht haben: Wir erkennen das Eigene am Fremden und das Fremde am Eigenen.
Deswegen ist der Gast nicht der Wanderer, der kommt und wieder geht, sondern
der Wanderer, der kommt und bleibt,
auch wenn nur einstweilig. Der Gast besetzt einen Zwischenraum. Aber auch seine
Gastgeber begeben sich in diesen Zwischenraum, indem sie ihn beherbergen. Der
Raum, in dem sie sich begegnen, ist keinem von beiden mehr zu eigenhuesped.
67. Das
Fremde ist aber auch und vor allem etwas, das 3743außerhalb unserer Zeit liegt. Jeder Mensch hat seine ganz
besondere innere Zeit. Andere werden nicht nur als andere Welten, sondern auch
als „andere Zeiten” erlebt. Zusammenleben heißt deswegen, Zeiten und Rhythmen
abstimmen, das Tempo der anderen mit meinem eigenen harmonisieren. Hospitalität
hat in diesem Sinn sehr viel mit dem Respekt vor der inneren Zeit des anderen
zu tun und betrifft nicht nur die Achtung seines Raumes. Wenn man den anderen
von seiner Zeit, von seinem Rhythmus her betrachtet, wird er oft als ungelegen,
als jemand Lästiges erlebt, der den Lauf der Dinge verlangsamt oder verzögert, que se
nos escapa o detiene nuestra velocidad particular. Die anderen
sind immer entweder zu langsam oder zu schnell. Sie haben einen Rhythmus, der
uns, wie auch immer, fremd oder unpassend erscheint. Deswegen sind die eigentlichen
Fremden nicht so sehr diejenigen, die fern von uns leben, sondern diejenigen,
die in einer anderen Zeit leben. Bei Menschen, die am gesellschaftlichen Rand
leben, handelt es sich deswegen nicht so sehr um ein räumliches Randdasein, als
vielmehr um ein zeitliches. Aus diesem Grund hat Hospitalität viel mit der
Fähigkeit zu tun, „Zeit zu verlieren“ und „Zeit zu schenken”.
68. Das
Fremde3844 – sei es nun
räumlich oder zeitlich – tritt immer als unvorhergesehene und neue Anfrage
an uns und verlangt von uns als solche eine Antwort. Auf diese Anfrage
nicht zu antworten, fällt unter die Fülle der möglichen Antworten: Auf diese
Weise vermeidet man künftige Fragen und schützt sich gegen eine ungewisse
Zukunft. Das Fremde kann eine Krise der eigenen Identität auslösen. Darin
besteht sein Reichtum und seine Gefahr. Die kulturelle Erfahrung des Fremden
zieht immer eine Auseinandersetzung mit möglichen Alternativen zum eigenen
Leben nach sich und stellt so das Gewohnte in Frage. Das Fremde beinhaltet die
Chance, die eigenen - vielfach engen - Positionen zu erweitern und zu
korrigieren. Durkheim sagte in diesem Sinn, dass die sittliche Qualität einer
Kultur an ihrem Verhältnis zum Fremden ablesbar ist. Dasjenige, dem wir
antworten, überschreitet immer das, was wir als Antwort zu bieten haben.
b) Hospitalität und Barmherzigkeit können erlernt werden
69. Eine
so verstandene Hospitalität und Barmherzigkeit, als Liebe und Verzicht auf
Gewalt, offenbart uns die grundlegenden Wahrheiten über den Menschen. Der
Mensch erkennt und erfährt sich als Mensch in der Begegnung mit anderen
Menschen. Diese Erkenntnis und Erfahrung ist immer ein intersubjektiver
Vorgang. Wir erkennen unsere Rechte und Pflichten in dem Maß, in dem wir uns
der Begegnung mit dem anderen öffnen. Sich als Gast oder Gastgeber erkennen,
als jemand, der aufgenommen wird, oder umgekehrt als jemand, der
Gastfreundschaft gewährt, begründet eine Identität, welche Rechte und Pflichten
beinhaltet. Der Einzelne wird erst durch die bejahende oder ablehnende
Sichtweise des anderen zur menschlichen Person konstituiert.
70. Wie
zutreffend ist doch die Aussage von 4046Merleau-Ponty:
“Wir müssen lernen, Eigenes als Fremdes zu betrachten, und Fremdes als
Eigenes.” Dieser Lernprozess lässt sich am besten durch gelebte Hospitalität
und Barmherzigkeit vollziehen, die weder das Andere unterwerfen will, noch ihm
gleichgültig gegenübersteht, sondern fähig ist, mit dem Andersartigen zu
koexistieren und die eigene Gefährdung genauso wie die des anderen zu ertragen.
Hospitalität und Barmherzigkeit erlernt man, indem man sich daran gewöhnt, sich
für Fremdes zu interessieren, es zu respektieren und seine
„Eigentümlichkeit“ anzunehmen.
c) Barmherzigkeit und Hospitalität als Sendung “heute”
71. Die
heutigen Lebensbedingungen haben eine nie gekannte menschliche Mobilität
bewirkt, so dass der Kontakt mit Fremdem und Fremden für die Menschen beinahe
zu etwas Selbstverständlichem geworden ist41 47.
Starke Aus- und Einwanderungswellen sind ein Element davon. Wir leben in einer
mobilen und globalen Gesellschaft. Wir leben in einer multikulturellen
Gesellschaft, in der Pluralismus tagtäglich erfahren und gelebt wird. Toleranz
mit dem Anderen und dem Fremden ist ein tägliches Gebot. Diese Situation zeigt
uns, dass es heute keine kompakten, homogenen Blöcke mehr gibt, keine genau
definierten und umgrenzten Realitäten, vielmehr erleben wir immer wieder, wie
schnell und überraschend das Eigene fremd und das Fremde gewohnt wird. Unsere
komplexen Gesellschaften fordern eine größere Sensibilität für die
Ausgeschlossenen, die durch eine übertriebene Behauptung der eigenen Identität
oder die bestehenden sozialen Ordnungen erzeugt werden. In der zeitgenössischen
Gesellschaft erleben wir zur Zeit, dass das Individuum seinen Gravitationspunkt
verloren hat. Das Individuum fühlt sich heute viel weniger als früher an ein
Land gebunden; es ist unkontrollierbarer geworden und lebt freier und
zwangloser–-. In dem Szenarium, in dem wir uns
befinden, hat es wenig Sinn, auf eine Identität zu beharren, die sich als genau
definiert und definitiv verstehen möchte. Heute spricht man besser von einer
“vielschichtigen Identität” (Amin Maalouf). Am Fremden lernt man das Eigene
besser verstehen.
72. Dass
es in unserer Welt eine Vielzahl von unerträglichen Situationen gibt, ist
hinlänglich bekannt. 4248Die Zahl der
Armen und Entrechteten nimmt nicht ab, sondern zu, trotz Fortschritt der
Technik und Globalisierung. Die Heiligkeit des Menschen wird auf dem Altar
neuer Götter geopfert, denen sich die moderne Gesellschaft zuwendet und
huldigt. In der Erziehung, welche die
Gesellschaft (von den Kommunikationsmitteln bis hin zum gesellschaftlichen und
wirtschaftlichen Umfeld) den neuen Generationen bietet, spielt der Wert der
Hospitalität keine Rolle mehr. Was zählt, ist ein übersteigerter
Individualismus und eine materialistische und genussorientierte Weltanschauung.
Diese Lebenseinstellung steht jedoch Phänomenen wie Drogenkonsum und
Drogenhandel, Pornographie, psychischen Störungen, der Entwürdigung der
menschlichen Sexualität im allgemeinen, dem Zunehmen von Armut und
Ungerechtigkeit und dem Auftreten neuer Krankheiten, die Millionen von Menschen
bedrohen, ziemlich hilflos gegenüber. Sie ist nicht fähig, diesen Phänomenen
Einhalt zu gebieten. Hand in Hand mit diesem menschlichen Niedergang geht eine
verheerende Umweltzerstörung (ganze Meeres- und Küstenstreifen sind von der
Erdölindustrie verseucht worden; die Luftverschmutzung hat durch die Textil-
und Lebensmittelindustrie sowie andere Industriezweige nie gekannte Ausmaße
angenommen; dazu ist in jüngster Zeit die genetische Manipulation gekommen).
73. Eine
weitere große Problematik, die unsere Fähigkeit zur Hospitalität herausfordert,
ist die Bevölkerungsexplosion. 49Die Weltbevölkerung wächst jeden Tag
um 220.000 Menschen. Dieses rapide Bevölkerungswachstum wirft neue,
schwerwiegende Probleme auf: Entwurzelung der Familien, Verstädterung,
unverträgliche Ausbeutung der verfügbaren Ressourcen der Erde zur Befriedigung
der Grundbedürfnisse der wachsenden Bevölkerung. Wohin man auch blickt, hat man
den Eindruck, dass der Mensch den Sinn für die Heiligkeit des Lebens verloren
hat: Bürgerkriege, Gewalt gegen wehrlose Frauen, Ausbeutung unschuldiger Kinder
und ein inhumaner Kapitalismus, der die Kluft zwischen Reichen und Armen immer
breiter werden lässt, bestimmen das Bild. 30% der Menschen leben im Überfluss, 70% in
Armut und ohne Aussicht auf Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse. Dazu kommt,
dass die Kulturen der armen Völker aufgrund mangelnder Mittel und der
Verlockung durch fremde, materialistische Lebensmodelle immer stärker bedroht
sind
que seducen.
74. Glücklicherweise gibt es daneben auch
zahlreiche Einrichtungen und Initiativen (Freiwilligenvereine, nichtstaatliche
Organisationen, Bewegungen für Frieden, Gerechtigkeit, Umwelt, Würde des
Menschen, gegen Fremdenfeindlichkeit usw.), in denen die Hospitalität in ihrer
ganzen Vielfalt – durch herzliche Aufnahme, Wertschätzung, Dienstbereitschaft
und Solidarität – mit ungebrochener Strahlkraft weiter wirkt. Außerdem gibt es
viele Völker auf der Welt, die ihre kostbare Tradition der Hospitalität bewahrt
haben. Es stimmt zwar, dass auch bei diesen Völkern der Wert der Hospitalität
im Sinken ist, weil er vielfach dem noch wichtigeren Wert der Sicherheit
geopfert wird. Die durch Gewalt, Krieg, Kriminalität und Terrorismus bewirkte
Verunsicherung wird als derart bedrohlich empfunden, dass die traditionellen
Werte der Hospitalität davon teilweise schwer in Mitleidenschaft gezogen worden
sind. Zu den Einrichtungen, die vor diesem Horizont tatkräftig für den
unschätzbaren Wert der Hospitalität eintreten, gehört der Orden der
Barmherzigen Brüder mit seiner jahrhundertealten Tradition. Er will den
Herausforderungen der Zeit entgegentreten und mit neuem Elan seine spezifische
Berufung erfüllen, indem er Lebensräume schafft, in denen Organisation,
Professionalität, Technik und Humanisierung sich harmonisch ergänzen und in
konkreten Haltungen und Handlungen der Aufnahme, des Dienstes und der
Solidarität zur Linderung menschlichen Leids Ausdruck finden.
III. Unser Spiritueller Weg:
“Heute” den Weg des Heiligen Johannes von Gott gehen
1. Spiritualität heute
75. In
der Kirche, wie auch in unserer Welt, begegnen wir einem großen Durst nach
Spiritualität. Vor der Sinnlosigkeit, vor der Anhäufung der Probleme, die
unlösbar scheinen, vor dem Schwindeln in einer Zeit fortwährender Bewegung
spüren wir alle das Bedürfnis, zu den Wurzeln des Geheimnisses, zu dem Geist
zurückzukehren, der unserem Sein Sinn und Halt gibt. Die Menschheit dürstet
nach Spiritualität. Die Kirche ist diesem Durst mit verschiedenen spirituellen
Wegangeboten entgegengetreten.
76. Wir
erleben heute eine Art Globalisierung 57der
Spiritualität. Der interreligiöse Dialog hat unter diesem Gesichtspunkt
Wunderbares erreicht. Zugleich fordern aber auch sogenannte regionale Formen
der Spiritualität ihr Recht. So spricht man heute von einer afrikanischen,
asiatischen, amerikanischen oder europäischen Spiritualität. Zu Beginn dieses
neuen Jahrtausends sehen wir Spiritualität außerdem in einer betont ganzheitlichen
Sichtweise. Spiritualität hat mit Leib und Seele, mit dem Individuum und der
Gesellschaft, mit dem Lokalen und Globalen, mit dem religiös Eigenstem wie auch
mit dem Ökumenischen zu tun… Dasselbe erleben wir in unserem Orden. Auch wir
haben eine globalisierte Spiritualität, mit der die Brüder auf die empfangene
Gabe antworten, doch zugleich äußert sich unsere Spiritualität in den
verschiedenen Regionen der Welt in besonderen eigenen Formen.
77. Wir
verstehen Spiritualität als Entwicklung, als Weg. Sie vollzieht sich in
Etappen. Unsere Konstitutionen weisen uns dazu das Ziel. Um dieses Ziel zu
erreichen, muss zuerst der richtige Weg bzw. die geeigneteste Methode der
Spiritualität gefunden werden. Der Geist ist unser “innerer Lehrer”. Er führt
uns zur Vervollkommnung der Liebe, des Bundes, der Vereinigung mit Gott, dem
Mitmenschen und dem Universum. In diesem Leben ist es uns nicht gegeben, das
Ziel zu erreichen. Gregor von Nyssa sagt hierzu treffend in “Der Aufstieg des
Moses” (Originaltitel: De vita Moysis):
“Wer auf dem Weg der Tugend stehen bleibt, ist bereits
auf dem Weg des Lasters... Alles was Grenzen hat, ist nicht Tugend. Für die
Tugend gilt nämlich, dass die einzige Grenze der Vollkommenheit die
Grenzenlosigkeit ist... Der Apostel, der ohne Unterlass auf dem Weg der Tugend
schreitet, hört nie auf, weiter zu streben, denn es erscheint ihm gefährlich,
auf dem Weg stehen zu bleiben… Wahrscheinlich ist der vollkommene Mensch
derjenige, der stetig nach einem höheren Gut strebt.” 59
78. Die Kirche weist uns Ordenschristen in dem
Dokument “Neubeginn in Christus” dieselbe Perspektive. Dort heißt es:
“Gerade in der Einfachheit des Alltäglichen wächst und
reift das geweihte Leben beständig, um zur Verkündigung eines Lebensstils zu
werden, der eine Alternative zu jenem der Welt und zur vorherrschenden Kultur
darstellt…. Neben der aktiven Präsenz neuer Generationen von geweihten
Personen, die die Präsenz Christi in der Welt und den Glanz der kirchlichen
Charismen lebendig machen, ist die verborgene und fruchtbare Präsenz von
geweihten Männern und Frauen, die Alter, Einsamkeit, Krankheit und Leiden
erfahren, gleichfalls bedeutsam. Ihrem bereits geleisteten Dienst und der
Weisheit, die sie anderen mitteilen können, fügen sie nun einen eigenen,
wertvollen Beitrag hinzu, indem sie sich mit der Hingabe Christi vereinen, der
für seinen Leib, der die Kirche ist, gelitten hat und verherrlicht wurde (vgl. Kol 1, 24)” (Neubeginn in
Christus, Nr. 6). [93]
2. Paradigma bzw. Modell unseres spirituellen Weges
79. “Unsere
Hospitalität hat ihren Ursprung im Leben Jesu von Nazaret” (Konst. 20), den
unser heiliger Stifter Johannes von Gott in Treue nachahmte, indem er sich ganz
dem Dienst und Heil der Armen und Kranken hingab (Konst. 1a). Heute sind wir
der heilige Johannes von Gott: Wir teilen seine Gabe, seinen Glauben, seine
Sensibilität für das menschliche Leiden, seine restlose Hingebungsbereitschaft,
seine Demut und die Kreativität seiner Nächstenliebe.[94]
Sein spiritueller Weg wird uns vom Heiligen Geist als Reifungsprozess zur
Entfaltung des Charismas der Hospitalität vorgeschlagen. Auch wir sind, wie er,
Menschen auf dem Weg, Wanderer und Pilger inmitten einer globalisierten und
zunehmend komplizierten Welt. Seine innere Pilgerschaft, sein innerer Gipfelweg
hinab zum tiefsten, menschlichen Elend sind das spirituelle Programm unserer
Sendung und Gemeinschaft (Konst. 5) – sind das Haus und die Schule unserer
Spiritualität.
80. Die
Etappen, die Johannes von Gott durchschritt -“Leere – Berufung - Veränderung
– Gleichgestaltung mit Christus”-, zeigen uns, in welchen Etappen sich
unser Weg abspielen muss. Diese Etappen sind nicht als ein linearer und
aufeinanderfolgender Vorgang zu verstehen, sondern als ein kreisförmiger, weil
sie sich in jedem Lebensalter wiederholen und neu zu gestalten sind. Auf diese
Weise wird Johannes von Gott für uns sinnbildlich und konkret zu dem Weg, der
uns von Leere (Kenosis) zu Leere und von der Leere zum Dienst bis zum Tod führt
60(vgl. Phil 2, 6-11).
a) Die Erfahrung der Leere: aufbrechen, um “neu geboren zu werden”
81. Bei
jeder Reise verlässt man einen Ort, um an einen anderen zu gelangen. Wer das
Gewohnte verlassen will, muss ¿Cuál está siendo nuestra formación? El tiempo de
formación es "el tiempo de los métodos". Es el tiempo en que
aprendemos a hacer las cosas: estudiar, expresamos, realizar nuestro trabajo
profesional, aprendemos a meditar, a orar, a ser buenos religiosos en nuestro
Instituto. Desde aquí hacemos críticas a los demás: ellos no han sabido hacer,
decir: nosotros haremos las cosas de otra manera, porque pondremos en
práctica aquello que sabemos. En esta etapa Moisés ve la
realidad con "los ojos de los métodos",
es decir, a través de una ideología que poco a poco vamos haciendo nuestra. No
nos adecuamos a la realidad tal como ella es.
Entramos en contacto no con la realidad misma, sino con la imagen que de ella
tenemos. aufbrechen:
Diese Aufbrucherfahrung macht gewöhnlich der, der sich in seinem normalen
Leben, in seinem gewohnten Lebensumfeld nicht mehr zurecht findet und sich
plötzlich wie ein Fremder im eigenen Haus fühlt. Damit beginnt in der Regel ein
Prozess, der den Anfang eines Weges markiert, bei dem wir nicht genau wissen,
wohin er uns führen wird. Wir sind Johannes von Gott und wie er haben wir die
Leere der Dinge dieser Welt gespürt. Mit ihm machen wir die Erfahrung des Aufbruchs.
82. Diese
Erfahrung tritt uns in vorbildlicher Weise in der biblischen Gestalt des Moses
und des Volkes Gottes entgegen. In seinem ersten Lebensabschnitt gestaltete
Moses sein Leben nach der Vernunft der Ägypter. Dann entdeckte er Schritt für
Schritt auf einer langen Wanderschaft durch die Wüste, dass sein Leben und das
des Volkes von Jahwe
bestimmt waren. Deswegen verzichtete er auf unmittelbare Gewissheiten und
falsche Götter und überließ sein Leben der Initiative des einen Gottes, der ihn
aufforderte, die Zelte abzubrechen und sich trotz Hindernissen und Barrieren
auf den Weg zu machen – eben aufzubrechen. Als stärkste Hindernisse
erwiesen sich dabei nicht so sehr die Wüste und schwer überquerbare Flüsse,
sondern innere, geistige und gefühlsmäßige Schranken (Angst, Kleinmut und Bequemlichkeit, die das
sichere Heute dem unsicheren Morgen vorzieht).
83. Am
Beginn eines jeden spirituellen Wegs steht die Erfahrung der Begrenztheit der
Welt und des Lebens. Die Gnade Gottes öffnet einem die Augen für die
Zufälligkeit aller Dinge: Nichts von dem, was wir sehen, ist absolut notwendig!
Man sucht nach einem Sinn für das Leben und die Welt und findet nur
bruchstückhafte oder widersprüchliche Antworten. Was einem gerade noch als
vielversprechend erschien, erweist sich schnell als Täuschung. Ungestillte
Gefühle, Frustrationen, Enttäuschungen und Misserfolge (Familie, Freundschaft,
Studium, Projekte...) zwingen uns, uns über die Dauerhaftigkeit der Werte zu
befragen, die in der Gesellschaft gelten, und nach neuen Ausschau zu halten, um
unserem Leben einen Sinn zu geben. Selbst der größte Erfolg kann die Unruhe des
menschlichen Herzens nicht stillenLa experiencia de vacío
en los diferentes momentos del camino personal, como llamada que estimula a superar
las seguridades en las que tendemos a situarnos.: “Du hast uns zu
dir hingeschaffen, o Herr, und unser Herz ist unruhig, bis es Ruhe findet in
dir” (hl. Augustinus). Die wichtigste Frage aber stellt uns Jesus: “Was nützt
es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sich selbst
verliert und Schaden nimmt?” (Lk 9,
25). Die Erfahrung des Gerufenwerdens, d.h. der Berufung ist der erste Schritt
hin zur Lebensänderung. Die Stimme Gottes erklingt manchmal mächtig, manchmal
leise. Doch unüberhörbar lädt sie uns ein „aufzubrechen“ und weckt die
Sehnsucht nach Neuem.
84. Diese
Erfahrung kann man verschiedene Male in seinem Leben machen. Man macht sie vor
allem dann, wenn es notwendig ist, dass man „neu geboren“ wird, d.h. nach
schweren inneren oder äußeren Misserfolgen. In der Regel befindet man sich in
solchen Momenten in einer chaotischen Lebensphase, in der kein Weg in die
Zukunft zu führen scheint und man innerlich die Erfahrung des Todes macht.
Diese Erfahrung der Leere kann zu Entmutigung, zu einem passiven
Ertragen der Realität bzw. zu einer Einstellung führen, dass man sich vom Leben
treiben lässt, anstatt es selbst in die Hand zu nehmen. Eine solche Situation
kann auch ein Alarmsignal sein, dass man das Steuer der eigenen Existenz aus
der Hand gegeben hat und nicht mehr auf die eigene innere Stimme hört.[95]
Die Erfahrung der Leere kann, wenn sie bewusst angenommen und ertragen, und
nicht oberflächlich abgetan wird, zu einer Erfahrung der Gnade werden, die eine
innere Neubelebung und einen inneren Neubeginn ermöglicht.
85. Die
heilige Theresa von Avila bezeichnet diese Etappe als die ersten beiden
Wohnstätten der Seele, Johannes vom Kreuz spricht vom Anfang des Aufstiegs zum
Karmelberg und Johannes von Gott beschreibt sie uns als eine Erfahrung des
Todes inmitten einer von Tod und Ausweglosigkeit gekennzeichneten Welt. Diese
Etappe entspricht den ersten Schritten des geistlichen Lebens, von denen der
heilige Johannes von Avila, der Seelenführer unseres Ordensstifters, sagt, dass
man dabei lernen müsse, die Sprache der Welt, des Teufels und des Fleisches zu
verlernen (“Audi, filia”, I A).
b) “Berufung” und Rufe im
Leben: “Höre, mein Sohn!”
86. Sobald eine Person aufhört, für und aus
sich selbst zu leben, entdeckt sie, dass ihr Leben ein geheimnisvoller Entwurf
ist. Sie wird fähig, die Stimme Gottes zu vernehmen und die Kraft des Geistes
zu erleben, der sie zum “Unbekannten” führt und leitet. Das Berufungserlebnis
wird gern mit einer „Betörung“ oder „unwiderstehlichen Anziehung“ verglichen.
Jesus, der Sohn Gottes, kommt uns entgegen, ja, tritt uns gewissermaßen in den
Weg und lädt uns ein, Weg zu wechseln und ihm nachzufolgen.
87. Berufung geschieht, jedenfalls
anfangs, beinahe unmerklich. Sowohl Augenblicke des Glücks als auch Augenblicke
der Entmutigung, die auf Frustrationen und Enttäuschungen folgen, sind Sprache
Gottes. Jedenfalls ertönt und setzt sich die Stimme Gottes plötzlich in der
Tiefe einer Person durch: “Höre, mein Sohn, wende dein Ohr mir zu.” Etwas
Unerklärliches zieht uns, noch im Widerstreit oder bereits in Übereinstimmung
mit unserem tiefsten Sehnen, an der Form an, in der Jesus von Nazaret die Liebe
zum Vater und seinen Brüdern, den Menschen, gelebt und bezeugt hat. Wir spüren
plötzlich das dringende Bedürfnis, Lebensstil zu wechseln und mit einem monoton
und eintönig praktizierten Christentum ohne größere Komplikationen zu brechen,
mit dem wir uns, fast immer unbewusst, bemühten, das Wohlwollen Gottes zu
verdienen.
88. Das
Geheimnis Gottes erobert den Menschen nicht immer in Räumen strenger
Weltabgeschiedenheit, Zurückgezogenheit und innigen Gebets. Häufig erfolgt
diese Eroberung, wie bei Johannes von Gott, durch die Begegnung mit den
Gekreuzigten dieser Welt, den Entrechteten und Verachteten. In ihnen entdecken
wir das Antlitz Gottes; aus ihnen schallt uns, unüberhörbar, der Ruf Gottes
entgegen; mit ihnen spricht uns Gott in einer Weise an, der wir nicht mehr
ausweichen können. Im Antlitz der Verunstalteten entdecken wir die Gegenwart
des Verklärten.
89. Die Berufung ist eine Etappe, in der
sorgfältige Abwägung, spirituelle Begleitung und die Beantwortung vieler Fragen
notwendig ist. Die Meister des geistlichen Lebens sprechen vom “Anfang des
Weges” oder von der dritten inneren Bleibe. Auf dieser Etappe ist die Askese
ein unverzichtbares Mittel, um den Weg zu erkennen, den Gott uns vorschlägt.
90. Im Laufe des Lebens erfolgen “neue Rufe”,
die den ersten Ruf vertiefen und festigen. Gemeint sind Momente, in denen wir
erkennen, dass eine Neuorientierung vonnöten ist bzw. dass wir umdenken lernen
müssen (Metanoia), und in denen wir das innere Bedürfnis spüren, uns neuen
apostolischen Herausforderungen zu stellen. Auf das Rufen Gottes in solchen
Momenten zu antworten, ist genau so lebenswichtig wie die Erwiderung auf den
ersten Ruf. Dieses Rufen unbeantwortet zu lassen, bedeutet, in seiner
spirituellen Entwicklung stehen zu bleiben.
91. Das Eingangstor zum spirituellen Weg ist
ohne Zweifel die Berufung, doch diese Berufung verlangt unsere ganz persönliche
Antwort. Diese Antwort äußert sich vor allem im Gebet und im demütigen Gehorsam
und Dienst. Der heilige Johannes von Avila empfahl: “Höre auf das erste Wort…
Höre nur auf Gott, der die letzte Wahrheit ist” (Audi, Filia, I, B) 1.)
“mit der Kraft des Glaubens” (Audi, Filia, I. B),2.).
c) Veränderung und Weihe
92. Wer sich von Gott zur Nachfolge des
heiligen Johannes von Gott berufen fühlt und auf diesen Ruf antwortet, erfährt
an sich eine geheimnisvolle, fortschreitende, innere Veränderung. Er wird vom
Heiligen Geist zu einer Lebensform hingestaltet, geweiht und befähigt, mit der
er sich schrittweise von seinem Selbst loslöst und befreit.
93. Auch zu uns spricht Gott, wie zum heiligen
Johannes von Gott, durch die Schreie der Menschen, die unter Krankheit, Armut
und Ungerechtigkeit leiden. Durch diese Schreie erwacht und erstarkt in uns die
Fähigkeit zu mitfühlender und barmherziger Liebe, das Verständnis für den
Anderen, Wohlwollen, Solidarität und Geschwisterlichkeit. Plötzlich bestimmt
eine andere Werteleiter unser Leben. Durch die Weihe in der Hospitalität
befähigt uns der Heilige Geist, mit unserem Leben die besondere Liebe des
Vaters zu den Leidenden sichtbar zu machen und in der Zeit die Lebensform Jesu
von Nazaret fortzuschreiben, indem wir in Keuschheit, Armut, Gehorsam und
Hospitalität leben und durch den Dienst an Gott im leidenden Menschen an der
Sendung der Kirche mitarbeiten (Konst.1d; 2b; 7b).
94. Diese umgestaltende Macht des Geistes
feiern und empfangen wir in der liturgischen Feier der Ordensprofess (vgl. ET.
47; Konst. 9a). Die Profess besiegelt unser Einverständnis, dass Gott über die
verschiedensten Ereignisse unseres Lebens seine weihende Hand hält und uns
ständig neu weiht.
95. Es genügt nämlich nicht, an der Weihefeier
teilzunehmen, vielmehr muss man sich ständig neu weihen lassen. Wo diese
Bereitschaft besteht, wirkt Gott alles Andere. An diesem Punkt bricht eine
mystische Etappe an, in der Gott durch Jesus und den Heiligen Geist zur
gestaltenden und bestimmenden Kraft im Leben seiner Auserwählten wird. Die
Meister des geistlichen Lebens bezeichnen diese Etappe als vierte Bleibe oder
auch als die Etappe des Übergangs vom asketischen zum mystischen Leben.
Johannes von Gott hat diese Etappe nicht in kontemplativer Weltabgeschiedenheit
erlebt, sondern in der mystischen Betrachtung seines karitativen, barmherzigen
Wirkens der Hospitalität. Er fühlte sich vom Heiligen Geist durch die Berührung
mit dem menschlichen Elend gesalbt. Auch wir befinden uns auf diesem Weg der
ständigen Weihe. Der heilige Johannes von Avila lehrte, dass der Gläubige, der
auf die Stimme Gottes hört, ein neues Gespür und eine neue Empfänglichkeit für
den Willen Gottes entwickelt, die dazu führt, dass er diese Welt, und selbst
das Elternhaus, verlässt und vergisst (Audi,
Filia, II-V).
d) Mystische
Gleichgestaltung mit dem armen, geächteten
und leidenden Jesus
96. Der Weg im Geiste, der die vollkommene
Identifizierung mit dem Herrn zum Ziel hat, kann in diesem Leben nie als
abgeschlossen betrachtet werden. Die letzten Etappen fordern von uns eine immer
tiefgehendere innere Umgestaltung, die treffend als “mystische Vereinigung”
bzw. authentische Symbiose mit dem Herrn bezeichnet wurde: “Nicht mehr ich
lebe, sondern Christus lebt in mir” (Gal,
2, 20). Der Heilige Geist zeigt sich und wirkt in uns als Hospitalität und
gestaltet uns dem mitleidenden und barmherzigen Christus des Evangeliums gleich,
damit seine barmherzige Gegenwart in der Zeit lebendig bleibt (Konst.
2).
97. Auf
den letzten Etappen des geistlichen Lebens entdecken wir Kräfte in uns, die
jede Vorstellung und Erwartung übertreffen. Wer sich nicht bis hierher führen
lässt, wird frustriert bleiben. Diese letzten Etappen werden von den Meistern
des geistlichen Lebens die “letzte Bleibe” oder auch die “Ersteigung des Berggipfels”
genannt. Johannes von Avila schreibt, dass Gott sich auf dieser Etappe von der
Seele des Gläubigen gefangen nehmen lässt (Audi, Filia, VI).
3. Unser Weg ist der Weg
des Volkes Gottes
98. Unser gemeinschaftlicher und persönlicher,
geistlicher und charismatischer Weg entfaltet sich innerhalb des großen
geistlichen Weges des Volkes Gottes und der Kirche. Ein Geschehen, an dem sich
der geistliche Weg der Kirche in paradigmatischer, beispielhafter und
belehrender Weise zeigt, ist der sakramentale und liturgische Kreislauf. Das
ist auch unser Weg. Der liturgisch-sakramentale
Zyklus des liturgischen Jahres ist die natürliche Umgebung unseres
spirituellen Weges. In diesem Zyklus erschließt sich uns die Offenbarung in
ihrer Gesamtheit. Das Schriftwort, das
uns die Kirche Tag für Tag, Woche für Woche zur Betrachtung empfiehlt, ist die
beste geistliche Nahrung und die beste Führung auf den Wegen des Geistes.
99. Das Zweite Vatikanische Konzil erklärt: Die
Liturgie ist “der Höhepunkt, dem das Tun der Kirche zustrebt, und zugleich die
Quelle, aus der all ihre Kraft strömt [...] Aus der Liturgie, besonders aus der
Eucharistie, fließt uns wie aus einer Quelle die Gnade zu; in höchstem Maß
werden in Christus die Heiligung der Menschen und die Verherrlichung Gottes
verwirklicht, auf die alles Tun der Kirche als auf sein Ziel hinstrebt.”[96]
Durch die tägliche Feier der Eucharistie im Kontext des liturgischen Zyklus:
Ø
nehmen wir
am Opfer Jesu und an dem Opferkult teil, den er für den Vater dargebracht hat (Konst. 7c);
Ø
erfüllen und
machen wir unsere Sendung als Hospitalfamilie sichtbar[97];
die in der Eucharistie gegenwärtige Liebe Jesu erneuert unseren Geist als Barmherzige Brüder (Konst. 30);
Ø
der
eucharistische Raum und die Gegenwart Jesu in unseren Tabernakeln macht unsere
Kommunitäten zu authentischen Schulen der Hospitalität.[98]
Unsere eucharistische Hospitalität ist Quelle unserer charismatischen
Hospitalität. Und unsere charismatische Hospitalität stärkt und belebt die
eucharistische Hospitalität, die wir durch die tägliche Feier der Eucharistie
und durch die Anbetung der realen Gegenwart des Herrn an unseren Orten der
Andacht entfalten.
100. In den Bußzeiten der Kirche, wie auch bei
gemeinschaftlichen und persönlichen Feiern der Versöhnung, feiern wir die
Barmherzigkeit Gottes, erkennen wir unsere Mitwirkung und Verflechtung ins
Böse, öffnen uns Gott und der Gemeinschaft und empfangen die umgestaltende
Gnade des Herrn. Das Sakrament der Versöhnung nimmt einen zentralen Stellenwert
in unserer Spiritualität ein, steht doch die Barmherzigkeit und bedingungslose
und freundliche Aufnahme des Anderen im Mittelpunkt unseres Lebens.
101. Das
Sakrament der Krankensalbung hat seit jeher einen bevorzugten Rang
beim seelsorglichen und geistlichen Dienst an den Kranken eingenommen. Johannes
von Gott setzte sich nach Kräften dafür ein, dass es den Kranken gespendet
wurde. In der Tradition des Ordens ist es als ein wahrer Liebesbeweis zu den
Kranken durch die Jahrhunderte hindurch bewahrt worden. Mit dem Sakrament
der Krankensalbung schenkt uns die Kirche die Möglichkeit, die barmherzige
und umgestaltende Nähe Jesu zu feiern. Die gemeinschaftliche Feier dieses
Sakraments lässt sowohl die Empfänger als auch die Spender die heilende
Gegenwart unseres Herrn Jesus Christus inmitten von Schmerz und Krankheit
spürbar erfahren. Die Teilnahme an der Krankensalbung und an dem von der Kirche
für die Kranken eingerichteten Gebet stellt ein wichtiges Moment für unser
geistliches Wachstum als Barmherzige Brüder dar.
102. Das Stundengebet, an dem wir regelmäßig
teilnehmen, festigt auf vorzügliche Weise unsere Weggemeinschaft mit dem Volk
Gottes. Das Gebet der Psalmen und Hören des Schriftwortes leitet uns, wirksamer
als ein doppelschneidiges Schwert, zielsicher auf dem Weg des Herrn. Deswegen
wollen und können wir auf diesen lebenswichtigen Rhythmus nicht verzichten.
Durch die Teilnahme am Gebet der Kirche treten wir mit der ganzen Menschheit in
Verbindung, besonders mit der leidenden Menschheit, welche die leidenden Kirche
Christi ist. Es ist sehr wichtig, dass wir uns dieser Dimension unserer
Spiritualität bewusst sind: Wir sind die Stimme, die im Namen der vielen, die
dazu nicht in der Lage sind bzw. noch nicht das Glück seiner göttlichen
Kindschaft erfahren haben, den Gott des Lebens und Vater der Barmherzigkeit
loben und preisen, ihm danken und um Hilfe bitten.
4. Unser Weg ist der
spirituelle Weg des Ordens und seiner Kommunitäten
a) Weitergabe des Charismas
103. Unser geistlicher Weg ist der Weg des Ordens
und der Kommunitäten, in die wir uns eingliedern. Spiritualität hat viel mit
Weitergabe, ansteckender Kraft und Gemeinschaft zu tun. Gerade deswegen ist die
Gemeinschaft, der Orden (der heutige wie der geschichtliche) so wichtig als
Schule der Spiritualität der Hospitalität. Wir empfangen nämlich das Charisma
der Hospitalität in einer Gemeinschaft, in der wir von unserem Herrn Jesus
Christus als Brüder versammelt wurden, um gemeinsam zum Vater zu gehen und
den Menschen die Frohe Botschaft des Heiles zu bringen (Konst. 26 a). Wer
sich heute unserer Ordensgemeinschaft anschließt, gliedert sich in eine große
spirituelle Tradition ein und verpflichtet sich, diese Tradition mit
schöpferischer Treue weiter zu geben, indem er im Zusammenwirken mit dem
Heiligen Geist die Gabe der Hospitalität auch bei anderen Menschen, die damit
beschenkt sind, erweckt.
104. Die älteren Brüder und Ordensteile spielen in
diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Sie sind Zeugen und Verwalter der
spirituellen Tradition des Ordens. Der Kontakt mit ihnen ist belebend. Ihre
Gegenwart und ihr Einfluss sind vor allem dort wichtig, wo aufgrund des jungen
Alters des Ordens die Gefahr besteht, dass die Verbindung zu den Ursprüngen
verloren geht. Deswegen ist es Aufgabe der älteren Brüder und der Brüder, die
im Schoß der großen Ordenstradition aufgewachsen sind, eine Art charismatische
Vaterschaft auszuüben.
b) Geschwisterliche Liebe
105. Wie Johannes von Gott sind wir berufen,
geschwisterliche Bande untereinander und zu anderen Menschen anzuknüpfen. Eine
der negativsten Folgen der Säkularisierung, von der heute unsere Umgebung
geprägt ist, ist, dass wir Ordenschristen unsere gesellschaftliche Identität
verloren haben. Wir sind zu gesellschaftlichen Außenseitern geworden, in dem
Sinn, dass die Gesellschaft unsere Rolle als geweihte Menschen nicht mehr
anerkennt. Jeder Mensch hat das Bedürfnis, sich in die Gesellschaft zu
integrieren und von der Gesellschaft akzeptiert zu werden. Diesem Mangel kann
nur begegnet werden, indem unsere Gemeinschaften eine starke Zugehörigkeit und
Zusammengehörigkeit entwickeln, damit der Einzelne aus und im
gemeinschaftlichen Zusammenhalt seine Identität stärken kann. Der wichtigste
Bezugsort, der unserer Identität Sinn gibt, ist deswegen die Gemeinschaft, in
der wir leben. Dort wo eine Gemeinschaft aus spirituellem Egoismus nicht
imstande ist, dieses individuelle Grundbedürfnis der geweihten Person zu
befriedigen, kommt es nicht selten vor, dass die Betreffenden außerhalb der
Gemeinschaft eine Alternative suchen oder dass diese Dimension zur Privatsache
wird oder auch dass man seine gesellschaftliche Identität ganz in der Tätigkeit
sucht, die man ausübt (Krankenpfleger, Sozialassistent usw.), indem man die
Zugehörigkeit zur Gemeinschaft auf die Aufgabe reduziert, die einem übertragen
ist, und sich so nicht so sehr mit dem, was man ist, identifiziert,
sondern mit dem, was man tut.
106. Die Gabe der Hospitalität befähigt uns, die
Annahme des Anderen sowie Verständnis, Wohlwollen und Dienstbereitschaft
gegenüber ihm in erster Linie im Schoß der eigenen Gemeinschaft zu leben und zu
pflegen (Konst. 36b). Die erfahrene Barmherzigkeit drängt uns, in unseren
Mitbrüdern Träger derselben Gabe zu sehen und untereinander Bande der
Gemeinschaft im Geiste anzuknüpfen. Dadurch zeigen und bezeugen wir, dass von
Alter, Kultur und Herkunft bedingte Unterschiede ihr Gewicht verlieren, wenn
man einander im Zeichen von Werten begegnet, die auf echtem menschlichem
Zusammenleben gründen, sprich den anderen so annimmt und wertschätzt, wie er
ist.
107. Das brüderliche Miteinander besitzt nach wie
vor eine große, aktuelle Zeichenhaftigkeit und Aussagekraft. Es ist ein
untrügliches Zeichen dafür, dass wir an Jesus als den Gesandten des Vaters
glauben und uns als seine Jünger verstehen (vgl. Joh 13, 35; 17, 21; Konst.
26b). Die Fähigkeit, diese Zeichenhaftigkeit in unserer Gesellschaft zu
bewahren, hängt vor allem von der Fähigkeit der Brüder ab, Gemeinschaften zu
bilden, in denen man in geschwisterlicher Liebe zusammenlebt. Die Gemeinschaft
ist ein Wert, an dem das Evangelium unmittelbar sichtbar wird: Am
Gemeinschaftsleben muss erkennbar werden, “dass die geschwisterliche
Gemeinschaft, noch eher als Weg für eine bestimmte Sendung, göttlicher Ort ist,
an dem die mystische Gegenwart des auferstandenen Herrn erfahren werden kann”
(vgl. Mt 18, 20; VC 42).
c) Gemeinschaftliche
Gotteserfahrung und gemeinschaftliche
Suche nach dem Willen Gottes
108. Unsere Gemeinschaft als Barmherzige Brüder
ist der ideale Nährboden für unsere Spiritualität. Sie ist Biozönose
(Lebensgemeinschaft), Biotop (Lebensraum), Lebens- und Entwicklungsort. Unsere
Gemeinschaften werden in dem Maß zu “Schulen der Spiritualität” werden, in dem
wir Brüder erkennen, dass der tiefste Grund, aus dem wir einander begegneten
und uns zusammengetan haben, unsere persönliche Gotteserfahrung ist und dass
unsere Gemeinschaft der bevorzugte Ort ist, an dem Gott in seiner ganzen
Fülle erfahrbar und an andere mitteilbar werden muss (Konst. 27; vgl. DCVR.
15). Deswegen ist es dringend notwendig, dass wir die Tendenz zum
Individualismus bei der Gestaltung unseres Innenlebens überwinden und die
Gemeinschaft im Geiste sowie den Dialog und die Begegnungen zum Austausch über
den Glauben und über die Schwierigkeiten, die uns hindern, bzw. die Mittel, die
uns dabei helfen, fördern. Wir müssen uns bemühen und dafür einsetzen, dass ein
gemeinsamer Weg gegangen wird und man sich gegenseitig durch brüderliche
Unterstützung, Unterweisung und Mitteilung der eigenen Glaubenserfahrung hilft.
109. Die liturgischen Feiern, das gemeinsame Gebet
und die Begegnungen der Gemeinschaft sind Zeiten, in denen wir, geleitet vom
Heiligen Geist und indem wir Christus als Mitte unserer Versammlungen
empfangen, das Glaubensgespräch und die Glaubensmitteilung praktizieren, unser
Leben bewerten und überprüfen sowie den Willen Gottes für unsere Gemeinschaft
und für jeden Bruder erkennen können und sollen (vgl. Konst. 38, 3).
110. Eine Gemeinschaft der Barmherzigen Brüder
muss in bezeichnender Weise eine Gemeinschaft geistlicher Entscheidungsfindung
sein. Wahrscheinlich ist das einer der entwicklungsfähigsten Aspekte in der
Zukunft. Den Geist erkennen, ist etwas, das weit über geistige
Scharfsichtigkeit hinausgeht. Auf diesem Gebiet darf sich niemand dem anderen
überlegen fühlen. Bei der geistlichen Entscheidungsfindung stellt sich eine
Gemeinschaft demütig vor Gott mit dem Wunsch, seinen Willen zu erkennen.
Deswegen verlangt ein solches Suchen inniges Gebet und Hinhören auf Gott und
auf den Mitbruder sowie das Bewusstsein, dass Gott seine Geheimnisse gern den
Einfachsten, Ärmsten und Jüngsten kundtut
d) Dienstgemeinschaften
der Hospitalität
111. Die Sendung der Hospitalität, die ein
zentrales Daseinsmotiv des Ordens ist, wirkt durch die Gemeinschaften des
Ordens und nimmt in ihnen konkrete Gestalt an. Gemeinschaft und Sendung fordern
und ergänzen einander (vgl. Konst. 41a; 43c).
112. Wir sind nicht auf eigene Rechnung tätig: Die
Gemeinschaft sendet uns und gibt uns zugleich Rückhalt und Glaubwürdigkeit als
Barmherzige Brüder (vgl. Konst. 43c). In und aus der Gemeinschaft verkünden die
Brüder den Armen und Kranken das Evangelium Jesu. Nicht alle sind in der Lage,
direkt daran mitzuwirken, doch alle tragen in maßgeblicher Weise die Arbeit der
Gemeinschaft mit. Tatsächlich sind für die aktiven Brüder die Brüder, die aus
Alters-, Krankheits- oder Dienstgründen keine berufliche Tätigkeit ausüben,
eine wichtige Stütze. Dieser Gemeinschaftsgeist muss ganz besonders dort
gepflegt und gelebt werden, wo die Brüder zumeist alt sind und die
professionellen Anforderungen eine weitere Ausübung des Dienstes an den Armen
und Kranken nicht gestatten.
113. Mit unserer Berufung zur Hospitalität hat
Gott uns erwählt, eine Gemeinschaft des apostolischen Lebens zu bilden (Konst.
5b; vgl. Mk 3, 13-14). Erst in der Sendung erreicht unsere Gemeinschaft ihre
volle Sinndeutung (Konst. 41a) und zeigen sich die Früchte unserer Begegnung
mit Gott und den Brüdern. Erst in der Sendung wird die Umgestaltung
unserer Identität zu Ordenschristen sichtbar und der mitleidende und
barmherzige Christus des Evangeliums, in und durch uns, als liebende Annahme,
Dienstbereitschaft und Hingabe an die Kranken und Armen erfahrbar (Konst. 2c;
5a). Keine Ebene unseres Lebens macht für sich allein unsere Identität aus.
Unsere Umgestaltung zu Barmherzigen Brüdern erfolgt kraft der Gabe der
Hospitalität (Konst. 2b). Deswegen kann die apostolische Tätigkeit nicht vom
Gebet oder Gemeinschaftsleben getrennt werden, noch ist es denkbar, dass allein
die Tätigkeit oder Arbeit, die wir leisten, Christi Gegenwart unter uns
stiftet. Die Hospitalität macht uns zu Barmherzigen Brüdern und Barmherzige
Brüder bleiben wir, sowohl wenn wir im Vollbesitz unserer Leistungsfähigkeit
beruflich aktiv sind, als auch wenn uns Alter oder Krankheit nicht mehr
gestatten, den Kranken und Armen zu dienen, denn unser konstituierendes Merkmal
als Barmherzige Brüder ist, dass wir gestaltgewordene Hospitalität sind,
aus der an jedem Ort und zu jeder Zeit Hospitalität strömt und wirkt.
114. Die apostolische Tätigkeit bedeutet keine
Unterbrechung des Gemeinschaftslebens (Konst. 43c). Vielmehr findet dieses
einen nachhaltigen Ausdruck in der Zerstreuung, mit der wir zum Wohl des
hilfsbedürftigen Menschen tätig sind. Außerdem gehört es zum innersten
Wesenskern unserer Spiritualität, dass wir uns der Bande bewusst bleiben, die uns
in der Zerstreuung einigen. Wir müssen in unserem Getrenntsein verbunden
bleiben, indem wir alle gemeinsam das geistliche Programm unserer Gemeinschaft
mittragen, und dürfen uns nie alleine fühlen. Mitten unter dem Volk wirken, ist
eine spezifische Form des Apostolates der Hospitalität wie auch des
Gemeinschaftslebens, denn daran zeigt sich, dass unsere Gemeinschaft für die
Anderen und nicht für sich selbst besteht (Konst. 5b; 41a).
e) Gemeinschaften mit
einem starken kirchlichen Zugehörigkeitsgefühl
115. Wir dürfen nie vergessen, dass unsere
Gemeinschaften zur großen Gemeinschaft der Kirche und darin zu den Teilkirchen
mit ihren Seelenhirten gehören. Deswegen lassen wir uns von ihren geistlichen
Impulsen, von ihrem Lehramt und vom unergründlichen Walten des Heiligen Geistes
in ihr leiten und arbeiten an ihrer Sendung mit, das Reich Gottes sichtbar zu
machen (Konst. 1d; 5a; 41a). Dabei sind wir uns bewusst, dass die Kirche Jesu
ohne das Zeugnis karitativen Dienstes und der Sendung, den Kranken Heilung zu bringen,
unvollständig wäre. Die apostolischen Werke des Ordens müssen Orte sein, an
denen öffentlich die christliche Liebe bekannt, verkündet und gepflegt wird, so
wie man in einer Pfarrei öffentlich den Glauben bekennt und feiert.[99]
116. Die Gemeinschaft mit der Kirche belebt bei
den Brüdern ihre Berufung zu „mitleidenden und barmherzigen Priestern“ in der
Nachfolge Christi (vgl. Konst. 7c; 30 b): Inmitten des leidenden Volkes bringen
sie dem Vater ihre Existenz und die Leiden der Armen und Kranken als Opfergabe
dar. Außerdem werden sie so zu Propheten des barmherzigen Gottes, der in die
Welt der Armen hinabsteigt, um ihnen seine Liebe zu beweisen und die
Situationen sozialer und struktureller Ungerechtigkeit anzuklagen. Der
Barmherzige Bruder verleiblicht in der Welt den Liebesauftrag Jesu, der seinen
höchsten Ausdruck darin fand, dass der Herr seinen Jüngern die Füße wusch. Er
soll zum lebendigen Zeichen dieser Geste der Hospitalität und
Dienstbereitschaft werden, damit die Gegenwart Jesu bei der Eucharistie nicht
nur auf einen sich gleichförmig wiederholenden Ritus beschränkt bleibt, sondern
lebendiges Gedächtnis an seine Hingabe wird, mit der er den Menschen neues
Leben schenkt und sie als seine Brüder auf eine Stufe mit seiner Würde stellt
(vgl. Joh 13, 1-17; Lk 22, 17-21).
5. Unserer “persönlicher”
geistlicher Weg
117. Es genügt nicht, den Weg des Volkes Gottes zu
gehen und zu teilen. Jeder von uns ist ein einzigartiges Wesen mit einer
einmaligen Persönlichkeit. Auch der spirituelle Weg ist von einer individuellen
Dimension geprägt, die durch nichts ersetzt werden kann und unter unsere
absolute und unübertragbare Verantwortung fällt.
a) Das persönliche Gebet
als geistlicher Weg
118. “Der Ursprung unserer karitativen Sendung ist
die barmherzige Liebe des Vaters – vgl. 1 Joh 4, 10-11 -. Sie verlangt von uns,
dass wir im gemeinschaftlichen und persönlichen Gebet unser inneres Leben und
unsere apostolische Tätigkeit harmonisch miteinander zu verbinden suchen. So
werden wir fähig, die Liebe zu Gott und den Dienst an den Brüdern in Einheit zu
leben” (Konst. 28a). Im Gebet wünscht Jesus, mit uns Wunder der Barmherzigkeit
zu wirken (hl. Benedikt Menni). Er
beugt sich über unsere Schwäche, blickt uns mit unendlicher Zärtlichkeit an,
umfängt uns mit der ganzen Liebe seines Herzens, wie er sich über das Bett der
Kranken beugte, die Kinder und Sünder anblickte und Maria Magdalena, Zachäus
und Petrus mit seiner Liebe umfing. Im Gebet sollen wir uns von Jesus anblicken
und von seinem Lebenslicht anstrahlen lassen, um den Willen Gottes zu erkennen
und ihn mit kindlichem Gehorsam zu befolgen.
119. Bei der Begegnung mit Gott im persönlichen
Gebet prüft der Bruder die Wahrheit und Dynamik seines Weges im Geiste. Die
liebevolle und regelmäßige Begegnung mit unserem dreieinigen Gott greift immer
tiefer und weiter, bis jeder Moment unseres Lebens ein Beten ist. An der
Qualität unseres persönlichen Gesprächs mit Gott sehen wir, wie tief sich der
Geist in uns eingesenkt hat. Es stimmt zwar, dass wir nicht wissen, wie wir
richtig beten sollen. Doch der Geist kommt uns zu Hilfe (Röm 8, 26-27). Er
weist uns den Weg zu einem reifen Gebet und überrascht uns mit seinen
Eingebungen im Gebet. Wenn unsere Alltagssorgen und unsere Arbeit kein inniges
Gebetsleben zulassen, bleiben wir auf unserem geistlichen Weg stehen, ja laufen
Gefahr, uns zurückzuentwickeln.
b) Eine persönliche
geistliche Ordnung
120. Jeder Bruder muss seinen geistlichen Weg in
einer persönlichen geistlichen Ordnung schriftlich niederlegen. Diese Ordnung
sollte man sich reiflich überlegen, gemeinsam mit seinem Seelenführer bzw.
Spiritual ausarbeiten und soweit als möglich mit den Mitbrüdern der Kommunität
besprechen.
121. Die persönliche Lebensordnung ist ein Zeugnis
unserer ständigen Antwort auf unsere Berufung. An ihr erkennen wir am klarsten,
ob wir die Berufung, mit der wir beschenkt wurden, verantwortungsvoll
angenommen haben und inwiefern wir bereit sind, sie an jedem Ort und zu jeder
Stunde mit entsprechenden Handlungen konsequent in die Praxis umzusetzen, denn
um Familie Jesu zu sein und uns Brüder nennen zu dürfen, können wir es nicht
dabei belassen, das Wort des Herrn zu hören, sondern müssen es in die Tat
umsetzen.
122. Unsere Lebensordnung ist Antwort auf den Bund
mit Gott und zielt auf das anbrechende Reich Gottes. Keuschheit, Armut,
Gehorsam und Hospitalität, die unseren Einsatz für den Bund Gottes mit seinem
Volk kennzeichnen, erlangen ihren vollen Sinn erst in der Hinordnung auf das
Reich Gottes und in der apostolischen Nachfolge Christi. Durch die Ausübung der
evangelischen Räte befähigt uns der Heilige Geist, prophetisch gegen Systeme,
die auf Ungerechtigkeit, Diskriminierung der Schwachen, Verschwendung und
Gewalt gegründet sind, aufzustehen. Die evangelischen Charismen, mit denen uns
der Heilige Geist für ein Leben in der Hospitalität beschenkt hat, entwickeln
sich durch den leidenschaftlichen Einsatz und eine große Liebe zum Volk. Sie
verwurzeln uns immer tiefer bei ihm und in seiner Geschichte und gestalten uns
immer mehr den Schwachen der Erde gleich.
123. Ein wesentliches Element unserer persönlichen
Lebensordnung muss die absolute Bereitschaft sein, uns als Barmherzige Brüder
für die Menschen hinzugeben. Diese Bereitschaft ist das klarste Zeichen der
Spiritualität eines Barmherzigen Bruders, welche immer eine Spiritualität der
Hingabe, des ständigen Dienstes und umfassender Aufnahme ohne Wenn und Aber
ist. Dabei handelt es sich um einen konkreten Weg, der zum Gipfel der Liebe
führt und auf den man sich, wie Jesus und Johannes von Gott, dadurch macht, dass
man zu den tiefsten Abgründen menschlicher Armut und Schwäche hinabsteigt,
indem man dem leidenden Menschen mit der Haltung eines Barmherzigen Bruders
beisteht: mit demütigem, geduldigem und verantwortungsvollem Dienen; mit
Achtung vor der Person und Treue zu ihr; mit Verständnis, Wohlwollen und
Selbstlosigkeit (Konst. 3b) und seine Ängste und Hoffnungen teilt.
c) Kontemplative Menschen
bei der apostolischen Tätigkeit
124. Die apostolische Tätigkeit ist nicht nur
etwas Äußerliches. Sie ist Sakramentalisierung der Sendung des Geistes und des
Auferstandenen. Deswegen müssen wir Innenleben und tätiges Leben harmonisch
miteinander verbinden (vgl. Konst. 28a; 103a). Bei der apostolischen Tätigkeit
hören wir nicht auf, in Verbindung mit Christus zu sein. Im Gegenteil: bei der
apostolischen Tätigkeit stehen wir in einer ganz besonderen Verbindung mit ihm.
Halten wir uns vor Augen, dass “eine ständige Gefahr für die Arbeiter des
Evangeliums darin besteht, sich so sehr von der eigenen Tätigkeit für den Herrn
vereinnahmen zu lassen, dass man vor lauter Tätigkeit den Herrn vergisst”
(Johannes Paul II.). Ein wesentliches Moment unserer Spiritualität besteht
darin, dass wir, wenn wir an unseren Dienst gehen, uns stets bewusst sein
müssen, dass wir in den Schwachen Jesus selbst dienen. Die “Mystik” der
Hospitalität verlangt, dass wir mit einer kontemplativen Einstellung leben. Wir
haben das Privileg, Christus ununterbrochen betrachten zu können: die Schwachen
– jeder Mensch ist klein und schwach – sind lebendige Darstellungen
Jesu. Die Nähe zum menschlichen Leib mit seinen Schwächen, den wir wie Jesus
pflegen und heilen wollen, um seine unantastbare Würde sichtbar zu machen und
ihn als Ort religiöser und christlicher Erfahrung zu ehren, ist ein
grundlegendes Element unserer Spiritualität.
125. Die Fruchtbarkeit unseres apostolischen
Dienstes stärken wir, indem wir uns den Leidenden solidarisch verbunden wissen.
Dabei ist uns bewusst, dass unsere barmherzige Liebe zu ihnen niemals ein
einseitiges Tun ist (Konst. 42c): Das Apostolat der Hospitalität ist Quelle
der Spiritualität, und zwar nicht nur, weil der Bruder dadurch evangelisiert,
sondern er selbst bei seinem evangelisierenden Tun evangelisiert wird. Gott
spricht zu uns durch die anderen, vor allem durch die, die unsere Hilfe
brauchen: hier wird er zu Klage, Bitte und Dank... und lädt uns ein, seine
Boten zu erkennen: der Immigrant oder Kranke ist der „Andere“, der das
Verschiedenartige und das Fremde verkörpert, mit dem der Heilige Geist uns
überraschen will. Die Werte erkennen, die es bei anderen Völkern und Menschen
gibt, und sich von ihnen beeindrucken und bereichern lassen, ist eine Quelle
der Spiritualität. Die Konsequenzen eines solchen Offenseins sind
unvorhersehbar, genauso wie der Heilige Geist unvorhersehbar ist.
126. Das Apostolat der Hospitalität ist eine
authentische Schule und ein authentischer Prüfstein für die Humanisierung, denn
es drängt uns, uns immer tiefer Jesus gleichzugestalten, der der Menschheit das
Gesicht gegeben hat, das der Vater seit Anbeginn für sie vorgesehen hat. Dieses
Gesicht muss von Egoismus und Lieblosigkeit gereinigt werden, damit Aufnahme,
Verständnis, Dienstbereitschaft und Selbsthingabe durch gelebte Barmherzigkeit
und Sorge um den anderen es zeichnen. Der Kranke mit seinen Bedürfnissen ist
nicht nur Empfänger, sondern auch Urheber unserer Liebes- und Verstandeskraft:
Er ist unsere „Universität“ (P. Marchesi),
denn er lehrt uns ohne viele Theorien die wahre Wissenschaft und
Lebensweisheit. Wir teilen das Apostolat der Hospitalität mit den Heil-,
Pflege- und Sozialberufen und allen Menschen, die in unseren apostolischen
Werken mitarbeiten. Diese Zusammenarbeit erfordert, dass wir ständig unsere
Haltungen und Motivationen hinterfragen und prüfen, ob die Leidenden in der
Mitte unserer apostolischen Tätigkeiten und aller unserer Bemühungen stehen
(Konst. 103b); ob wir unsere ganze Arbeitskraft und Fähigkeiten dem
Dienst an Gott durch den Dienst an den Kranken und Hilfsbedürftigen widmen
(Konst. 22b; 1d); ob wir persönlich und gemeinschaftlich ethische Wegweiser,
kritisches Gewissen und kreative Vordenker[100]
sind - heute würden wir Neugründer[101] einer Form von Hospitalität sagen, die in
Übereinstimmung mit der Hospitalität des heiligen Johannes von Gott steht; ob
wir persönlich und gemeinschaftlich seinen Geist lebendig erhalten und fördern
(Gst. 127 b); ob wir so durchdrungen von unserem Sendungsauftrag sind, dass
auch unsere Mitarbeiter sich veranlasst sehen, in gleicher Weise zu wirken (Konst.
23a). Gemeinsam mit unseren Mitarbeitern haben wir die Aufgabe, die Werte der
menschlichen Person zu pflegen und zu fördern und eine echte „Kultur der
Hospitalität“ zu entfalten und zur Wirkung zu bringen.
d) Die leibliche
Dimension unseres geistlichen Weges
127. Die Fleischwerdung des Wortes lebt in der
Zeit fort und nimmt in der menschlichen Person konkret Gestalt an: sowohl im
Bruder, der dient, als auch im Kranken und Hilfsbedürftigen, dem gedient wird.
Der Leib ist das Medium, mit dem ich mich anderen mitteile, und gehört
untrennbar zum spirituellen Prozess. Unser Leib ist der Tempel des Geistes und
Glied des Leibes Christi. Seine Aufgabe ist, Gott zu verherrlichen. Unser Leib
trägt unauslöschbar die Zeichen unserer Geschichte und tiefsten Erlebnisse. Er
ist der Schauplatz unseres Lebensabenteuers. Er hat eine eucharistische
Berufung: Er soll, wie der Leib unseres Ordensvaters Johannes von Gott,
Opfergabe werden. Durch die Keuschheit, wie wir sie als Barmherzige Brüder
leben, bezeugen wir die Fruchtbarkeit unseres Lebens, denn mit ihr erfüllen
wir unsere Sendung, dem Leben zu dienen und es zu fördern, und betonen die
Würde und den Wert des Leibes (Konst. 10d).
128. Die leib-seelische Einheit zeigt uns, dass es
keine Spiritualität ohne Leib gibt, aber auch dass jede authentische
Wertschätzung des Leibes im Spirituellen mündet. Es steht außer Diskussion,
dass zwischen leib-seelischer Einheit und geistlichem Leben eine enge
Wechselbeziehung besteht. Daher die Notwendigkeit, ein gesundes Gleichgewicht
zu unserer Leiblichkeit zu suchen und zu festigen: Frieden, innere Ruhe, Liebe
und Herzlichkeit erfährt und überträgt man durch die Sinne. Jesus legte den
Kranken seine Hände auf, wenn er sie heilte (Lk 4, 40).[102]
e) Wachsamkeit und Offenheit für den Geist
129. Wir Barmherzigen Brüder wollen für das Wirken
des Geistes in unserer Zeit an allen Stätten unseres Tuns wachsam und hellhörig
bleiben. Das kann zur Folge haben, dass wir unsere Spiritualität auch in der
Form des Martyriums zu leben bereit sein müssen[103],
insbesondere dort, wo sich unsere Sendung nicht so sehr im Tun, als vielmehr im
Erleiden vollzieht. Das gilt gleichermaßen für Situationen, in denen wir im
Zeichen des interreligiösen Dialogs Jesus als unseren Herrn und Diener aller
Menschen bekannt machen und uns zu seinen Zeugen aus einer Spiritualität der
Kenosis und Demut machen, wie auch für Situationen, in denen wir gemeinsam mit
mutigen Laienchristen für unseren Glauben einstehen und bis zur Hingabe „ad
vitam“ bereit sind, wie auch für Situationen, die von Gewalt und Konflikten
beherrscht sind und in denen wir uns zu Boten und Zeugen von Gerechtigkeit und
Frieden machen.
6. Die Ausbildung als
geistlicher Weg
130. Der geistliche Weg vollzieht sich in Miniatur
bereits bei der sogenannten “charismatischen Initiation”, die in den ersten
Lebensjahren im Orden stattfindet und dann durch die ständige Weiterbildung ein
ganzes Leben lang fortgeführt wird.[104]
a) Erste Etappe:
charismatische Initiation
131. Bei der Grundausbildung und Berufsausbildung
lernt der Bruder bestimmte Dinge: er lernt studieren, sich auszudrücken, eine
berufliche Tätigkeit, meditieren, beten und ein guter Bruder zu sein... Es ist
die Zeit der “Ideale” – der Heiligkeit, der Gemeinschaft, der “Verleiblichung
in der Welt” -.[105]
Aus dieser Perspektive bewertet und kritisiert er die anderen, die es meistens
nicht richtig gemacht haben, weswegen er es anders machen wird, weil er die
Dinge anders sieht. In dieser Etappe sieht man die Dinge in der Hauptsache mit
„den Augen der Methode“, sprich, durch eine ideologische Brille. Man ist
außerstande, sich der Realität, so wie sie ist, anzupassen. Deswegen setzt man
sich mit ihr nicht direkt auseinander, sondern mit dem Bild, das man sich von
ihr gemacht hat. Da ist es dann nicht überraschend, wenn es im beinharten
Kontakt mit der Realität ein bitteres Erwachen gibt und unsere Ideale auf eine
harte Probe gestellt werden. Frustrationen und Misserfolge können als Schule
für die „Konkretisierung in der Welt“ dienen, wenn man sich zur Einsicht
durchringt, dass der Mensch extrem zerbrechlich ist, bloße Ideen keinen Wert
haben und die anderen und gewachsene Strukturen wohl eine Einschränkung, aber
auch ein großer Reichtum sein können.[106]
132. Ähnliche Erfahrungen macht man im Apostolat,
wenn der Augenblick kommt, sich aus Alters- oder Krankheitsgründen von der Arbeit
zurückzuziehen. Solche Augenblicke der Krise sind eine Herausforderung, um am
eingeschlagenen Weg festzuhalten, die Kraft der Hospitalität unter Beweis zu
stellen und zu erkennen, dass wir dazu berufen sind, Hospitalität zu sein und
das Reich Gottes wie Jesus zu verkünden (Konst. 21), der die Erfahrung des
Scheiterns, Leidens, der Angst, Zerbrechlichkeit und Verlassenheit bis zum Tod
am Kreuz machen musste, um den leidenden und verlassenen Menschen zu verstehen
und zu erlösen (vgl. Heb 2, 14-18).[107]
b) Zweite Etappe: verantwortliches Handeln
133. Nach der Grundausbildung gliedert sich der
Barmherzige Bruder mit allen Rechten und Pflichten in die apostolische
Tätigkeit ein. Bei diesem Schritt von einem beschützten und geleiteten Dasein
zu eigenverantwortlichem Handeln bedarf der junge Bruder einer speziellen und
intensiven Begleitung, damit er lernt, in Fülle die Jugend der Liebe und des
Enthusiasmus für Christus zu leben.[108]
134. Im mittleren Alter besteht die Gefahr der
Routine oder Verbitterung aufgrund ausbleibender oder karger Erfolge. Das ist
der Moment, um im Licht des Evangeliums und des Charismas, unsere „erste
Liebe“, unsere ursprüngliche Berufung zu hinterfragen. Gerade in dieser Zeit
gilt es, neue Impulse und Motive zu finden, um unserer Berufung treu zu
bleiben. In dieser Zeit schärft sich außerdem der Sinn fürs Wesentliche.[109]
135. Im reifen Alter neigt man dazu, in
Individualismus, Starrheit oder Bequemlichkeit zu verfallen. Der geistliche Weg
hilft, unsere Lebensfreude zu stärken, uns zu läutern und selbstlos hinzugeben.
Dieser Altersabschnitt bietet uns die Möglichkeit, die Gabe und Erfahrung der
geistlichen Vaterschaft zu seiner vollen Reife zu bringen.[110]
c) Dritte Etappe:
wachsende Einschränkungen
136. Das fortgeschrittene Alter kennzeichnet sich
durch den fortschreitenden Rückzug aus dem tätigen Leben, sei es aufgrund
Krankheit oder Ruhestand. Obwohl diese Zeit häufig von Leiden gekennzeichnet
ist, bietet sie dem alten Bruder die Möglichkeit, sich vom Ostern des Herrn
anstrahlen zu lassen. Im Alter nimmt die Berufung zur Hospitalität die Züge
geduldigen Erleidens an, durch das wir uns dem leidenden Christus
gleichgestalten können. In dieser Gleichgestaltung erreicht der geheimnisvolle
geistliche Prozess, den man vor vielen Jahren begonnen hat, seinen Höhepunkt.
Der Tod wird als größte Liebestat und vollkommene Hingabe seiner selbst bewusst
erwartet und erlebt.[111]
d) Entscheidende Momente
137. Unabhängig von den Etappen, gibt es in
unserem Leben einschneidende und entscheidende Momente. Äußere Umstände, wie
ein Schicksalsschlag, ein Misserfolg, ein geschichtliches Ereignis, oder innere
Geschehnisse, wie eine Krankheit, eine Depression, ein schmerzlicher Verlust,
eine zerbrochene Freundschaft, eine Glaubens- oder Identitätskrise können unser
Leben derart unter Spannung setzen, dass es darunter zu zerbrechen droht. In
solchen Augenblicken spielen die geistliche Begleitung[112],
das Gebet, die Nähe der Brüder und der Halt von Freunden eine entscheidende
Rolle. Nur so kann der Bruder den Sinn seines Bundes mit Gott und die
wohltuende Tatsache erkennen, dass Gott diesen Bund gestiftet hat und niemals
seine Treue aufkünden wird. Prüfungen sind ein Werkzeug des Heiligen Geistes,
um die Entfaltung der Betroffenen, ihre Gleichgestaltung mit Christus und die
Konsequenz ihrer Nachfolge des Gekreuzigten zu fördern.[113].
Schluss
138. Wenn
wir Barmherzigen Brüder den Durst nach Spiritualität, den es im Orden gibt,
zulassen, werden wir vom Heiligen Geist überrascht werden. Etwas Neues wird in
unser Leben treten. Barrieren werden fallen. Unmögliches wird möglich werden.
Plötzlich werden unsere Wüsten in Blüte stehen und unser Durst gestillt sein.
Wir werden frohe und begeisterte Boten der Guten Nachricht von der
Barmherzigkeit und von der Hospitalität sein - Vorboten einer neuen Welt
inmitten einer von Leiden und Verlassenheit gekennzeichneten Welt.
139. Das
Volk Gottes, ja die gesamte Menschheit, braucht unser Zeugnis, denn unser Geist
ist von einer großen Menschlichkeit geprägt. Zugleich müssen wir uns bewusst
sein, dass auch wir vom Volk Gottes und von der gesamten Menschheit, in die wir
untrennbar eingegliedert sind, spirituelle Kraft und Energie empfangen.
Deswegen sind wir überzeugt, dass unsere Spiritualität um so tiefer und stärker
wirken wird, je mehr wir uns Kirche, Volk Gottes und Menschheit fühlen.
Entfalten wir unsere Spiritualität, indem wir unsere Gaben mit den anderen
teilen und uns von den Gaben der anderen bereichern lassen.
140. Folgen
wir als Propheten der Barmherzigkeit, gedrängt vom Geist des heiligen Johannes
von Gott, der Einladung, die Papst Johannes Paul II. am Beginn dieses dritten
Jahrtausends in dem Schreiben Novo
millenio ineunte an uns gerichtet
hat: “Duc in altum! Gehen wir voll Hoffnung voran!”[114]
Christus Jesus, unsere Hoffnung (1 Tim 1,1), wird uns die Kraft geben, unserer
prophetischen Sendung treu zu bleiben.
2. Kirche und Orden in dieser Welt
I. Geschichtliches und Kulturelles Gedächtnis:
Die Ursprünge unseres Charismas
1. Der spirituelle Weg des heiligen Johannes von Gott
a) Leere: Raum schaffen für die Gnade – erste Etappe
b) Berufung: zum Dienst an Gott – zweite Etappe
c) Veränderung: umgestaltet vom Wort Gottes – dritte Etappe
d) Gleichgestaltung: arm wie Jesus und die Armen – vierte Etappe
2. Tradition: Überlieferung des Geistes unseres Stifters
und Vaters
a) Vater und Bruder im Geist: die ersten Brüder
b) Das Vermächtnis des Geistes der Hospitalität
3. Das Charisma des heiligen Johannes von Gott heute:
Sendung des Miteinanders und Inkulturation
II. Das Fundament: Barmherzigkeit und
Hospitalität
1. Ausgangspunkt: Barmherzigkeit und Hospitalität, Schuld
und Gewalt
a) Der Gott der Barmherzigkeit
b) Die Menschwerdung des barmherzigen Gottes
c) Die Barmherzigkeit im Charisma des Ordens
3. Die Hospitalität (Gastfreundschaft)
a) Was ist
Hospitalität
b) Die Hospitalität
in der Offenbarung
c) Die Hospitalität
bei unserem heiligen Stifter Johannes von Gott
d) Die Hospitalität
in den Konstitutionen und Schriften des Ordens
4. Barmherzigkeit und Hospitalität in unserer Zeit: die
Beziehung zum Fremden
b) Hospitalität und Barmherzigkeit können erlernt werden
c) Barmherzigkeit und Hospitalität als Sendung “heute”
III. Unser Spiritueller Weg:
“Heute” den Weg des Heiligen Johannes von Gott
gehen
2. Paradigma bzw. Modell unseres spirituellen Weges
a) Die Erfahrung der Leere: aufbrechen, um “neu geboren zu werden”
b) “Berufung” und Rufe im Leben: “Höre, mein Sohn!”
d) Mystische Gleichgestaltung mit dem armen, geächteten und
leidenden Jesus
3. Unser Weg ist der Weg des Volkes Gottes
4. Unser Weg ist der spirituelle Weg des Ordens und seiner
Kommunitäten
c) Gemeinschaftliche Gotteserfahrung und gemeinschaftliche Suche
nach dem Willen Gottes
d) Dienstgemeinschaften der Hospitalität
e) Gemeinschaften mit einem starken kirchlichen
Zugehörigkeitsgefühl
5. Unserer “persönlicher” geistlicher Weg
a) Das persönliche Gebet als geistlicher Weg
b) Eine persönliche geistliche Ordnung
c) Kontemplative Menschen bei der apostolischen Tätigkeit
d) Die leibliche Dimension unseres geistlichen Weges
e) Wachsamkeit und Offenheit für den Geist
6. Die Ausbildung als geistlicher Weg
a) Erste Etappe: charismatische Initiation
b) Zweite Etappe: verantwortliches Handeln
c) Dritte Etappe: wachsende Einschränkungen
Schluss
[1] Regel und Konstitutionen für das Hospital von Johannes
von Gott in Granada (1585) Tit. 1º, 1ª Konstitution, aus Erste
KonstitutionenRegla y, Tit. 1º, 1ª ConstituciónMadrid 1977, S. 12.
[2] Primitivas Konstitutionen von 1587,Del
principio y suceso de la Congregación de los hermanos de Juan de Dios, IntroducciónEinleitung, ebd.., S. 81-82.
[3] “Johannes von Gott ist nicht unser
Eigentum. Johannes von Gott gehört der ganzen Kirche und der ganzen Menschheit.
Ebenso wenig sind wir die Alleinverantwortlichen dafür, dass er in der
Geschichte weiterlebt. Doch mit der Hilfe Gottes ist es unsere Aufgabe dafür zu
sorgen, dass er und sein Orden in der Zeit weiterleben”, Fr. Pascual Piles, Lasst euch vom Geist
leiten (Gal 5, 16), Rundschreiben an die Brüder des Ordens, Rom, 24.
Oktober 1996, (9.3), S. 70.
[4] Vgl. Dokumentation
des 65. Generalkapitels der Barmherzigen Brüder, Granada, 6. bis 24.
November 2000; Charta der Hospitalität des Hospitalordens vom heiligen
Johannes von Gott, Rom, 8. März 2000; Die Barmherzigen Brüder und ihre
Mitarbeiter – Gemeinsam dem Leben dienen, Rom, 8. März 1992; Johannes
von Gott lebt, Rom, Oktober 1991; Neuevangelisierung und Hospitalität an
der Schwelle zum dritten Jahrtausend. 63. Generalkapitel der Barmherzigen
Brüder, Bogotá, 2. bis 28. Oktober 1994; Marchesi,
P., Die Hospitalität der Barmherzigen Brüder – Aufbruch in das Jahr 2000,
Rom, 1986; Piles Ferrando, P., Lasst
euch vom Geist leiten (Rundschreiben an die Brüder des Ordens), Rom, 24.
Oktober 1996; Piles Ferrando, P.,
Hospitalität im dritten Jahrtausend: die Prophetie des heiligen Johannes von
Gott leben (Rundschreiben), Rom, 2. Februar 2001.
[5] “Der Hospitalorden des heiligen Johannes
von Gott lebt und wirkt mitten in dem „globalen Dorf“, das heute die Welt ist.
Gegliedert in 21 Ordensprovinzen, einer Vizeprovinz, 6 Generaldelegaturen und 5
Provinzdelegaturen, ist er mit 1500 Brüdern, 40.000 Mitarbeitern und ca.
300.000 Gönnern auf allen fünf Kontinenten in 46 Nationen vertreten und wirkt
in 293 Werken für eine Vielzahl von kranken, armen und hilfsbedürftigen
Menschen. Obwohl wir alle Glieder ein und derselben Familie – des Ordens –
sind, leben wir in grundverschiedenen Situationen. So leben einige von uns eingebunden in hoch technisierten Strukturen
und Gesellschaften, während andere in Strukturen und Ländern tätig sind, die
gemeinhin als unterentwickelt bezeichnet werden; einige leben in Ländern, in
denen Frieden herrscht, während andere in einem von Gewalt und Krieg
gekennzeichnetem Klima leben oder unter den Folgen eines solchen Klimas leiden;
einige von uns genießen dort, wo sie leben, volle Freiheit, während andere in
einem Umfeld leben, in dem ihre Freiheit und Grundrechte stark eingeschränkt
sind; einige sind in Krankenhäusern tätig, andere haben soziale Fragen zu ihrer
Aufgabe gemacht oder engagieren sich für Randgruppen; einige haben zur Aufgabe,
dem Menschen zu leben zu helfen, andere, ihm ein würdiges Sterben zu erlauben;
unabhängig davon, dass sich die Tätigkeit von uns allen an der Idee der ganzheitlichen
Pflege orientiert, gibt es Aspekte, die uns von Mal zu Mal für die physische
Gesundheit, die geistige Gesundheit, die Verbesserung der Lebensverhältnisse
u.v.m. im Einsatz sehen; schließlich leben einige von uns in der nördlichen
Hälfte der Erde, andere in der südlichen, einige im Westen, andere im Osten.”
Charta der Hospitalität des
Hospitalordens vom heiligen Johannes von Gott – Die Betreuung kranker und
hilfsbedürftiger Menschen in der Nachfolge des heiligen Johannes von Gott, Johann von Gott Verlag, Wien –
München - Frankfurt, März 2000, S. 4.
[6] Johann von Gott wusste sehr wohl, dass
der Mensch, der zu sich selbst finden und die Klippen des Lebens meiden will,
wachsam und empfänglich sein muss: “Seid immer auf der Hut”, denn es kann
geschehen, dass Ihr in diesem Leben “verloren geht.” Vgl. Heiliger
Johannes von Gott (HJG), Briefe, Erster Brief an die Herzogin von Sesa (1DS), 7; Brief an Luis Bautista (LB), 6;
in J. Sánchez, Origen y camino de nuestra espiritualidad).
[7] HJG, Briefe, passim.
[8] Während der Belagerung Fuenterrabías, erbot sich
Johannes von Gott, nach Essbarem Ausschau zu halten, als in seinem Lager die
Verpflegung ausging: “Er stieg auf eine französische Stute”, die den Feinden
abgenommen worden war. Ohne Zügel sprengte er in freiem Lauf über einen
abschüssigen Waldabhang zu einigen Gutshöfen. Doch die Stute scheute, als sie
plötzlich die “Plätze wiedererkannte, an denen sie sich gewöhnlich aufhielt”.
Johannes gelang es nicht, das Pferd zu zügeln, so dass er schwer auf den felsigen
Boden fiel, wo er blutend wie tot liegen blieb. Als er wieder zu sich kam,
spürte er Ohnmacht, Schmerz, Gefahr wegen der Nähe zum Feind, Angst und
Hilflosigkeit in dieser großen Not... Als er
sich zu erheben imstande war, “kniete er sich nieder, erhob die Augen
zum Himmel und rief den Namen der Jungfrau Maria an.” Auf einen Stock gestützt,
gelang es ihm, langsam wieder ins Lager zurückzukehren, wo man ihn sofort “zu Bett gehen hieß.” Francisco de Castro, Geschichte
des Lebens und der heiligen Werke von Johannes von Gott (im Folgenden
kurz Castro), Regensburg 1977, S. 38, in J. Sánchez, aebd.).
[9] Castro, S. 40.
[10] “Er wuchs im Haus seiner Eltern auf, bis er
im Alter von acht Jahren ohne deren Wissen von einem Kleriker in die Stadt
Oropesa gebracht wurde” (Castro S. 37).
[11] “Alles vergeht... während wir in diesem
Jammertal sind” (1DS 6; 2DS 10). “Denkt
immer daran, wie der Tod all das Elende dieser Welt zunichte macht und uns zum
Schluss nur ein Stück zerrissenes und schlecht geflicktes Tuch übrigbleibt”
(3DS 15).
[12] 1DS 10.
[13] 2DS 18.
[14] BC 6vCastro, S. 43
[15] “Trotz dieses heftigen Verlangens sah
Johannes damals noch nicht den Weg, den der Herr ihm für seinen Dienst zeigen
wollte... Deshalb war er traurig und konnte nicht Ruhe und Frieden finden.”BC 9. Castro, S. 46
[16] Castro,BC 6v-16 S. 48
[17] Ebd.14ss., S. 51-52
[18] IbdEbd. 16S. 53
[19] Vgl. Castro, S. 54 f.
[20] Castro, S.
55-56
[21] BC 19ss Ebd., S. 57-58
[22] BC 23ss Ebd., S. 59-60
[23] Ebd., S. 63
[24] IbdEbd.,23v. S. 60
[25] Vgl. Castro, S. 46
[26] Castro, S. 72
[27] Ebd., S. 70
[28] J.
Sánchez Martínez. “Kénosis-diaconía” en el itinerario espiritual de
San Juan de Dios, Jerez, 1995, S. 331, 441
[29] 2GL., 5
[30] Ebd. S. 82
[31] Castro, S. 74BC
36.
[32] IbdEbd., S. 82
[33] Seligsprechungsverfahren des hl. Johannes
von Gott, L 52/1.23, f 81. Vgl. J. Sánchez
Martínez. “Kénosis-diaconía” S. 190-191.
[34] IbdEbd. L
52/1.20, f 73v
[35] Castro, S. 101
[36] 1GL 11
[37] Castro, S. 82
[38] Ebd. , S. 82
[39] 1DS 15s. Bei Castro heißt es ähnlich:
“...denn sein Herz ertrug es nicht, einen Armen in Not ohne Hilfe zu lassen.”: BC
57v S.
96.
[40] BC 44 Castro, S. 82
[41] Castro, S. 97-98
[42] J.
Sánchez Martínez. “Kénosis-diaconía” S. 331, 441.
[43] 2GL., 7
[44] 2DS 2
[45] 2GL 17
[46] 2GL Ebd., 8
[47] 2GL Ebd., 7
[48] BC 76 Castro, S. 114
[49] Ebd., S. 115
[50] Ebd., S. 56
[51] LB 13
[52] Ebd. 8, 9
[53] Ebd. 6
[54] Ebd. 7
[55] Ebd. 9
[56] Ebd. 15
[57] Ebd. 10
[58] Ebd. 11. 13, 9
[59] Ebd. 15
[60] Vgl. 1DS 13
[61] J.
Sánchez Martínez. “Kénosis-diaconía”Id , S. 292,
307, 393.
[62] Von „Gefährten“ ist in den ersten
Schriften in Wirklichkeit nirgendwo die Rede. In der Biographie von Castro wird
im 20. Kapitel nur ein Gefährte von Johannes von Gott, und zwar Anton Martín,
erwähnt. Aber in den Unterlagen des Rechtsstreits (zwischen Barmherzigen
Brüdern und Hieronimyten), die zeitlich
vor der Biographie von Castro verfasst wurden, wird immer wieder von den „Brüdern
im Gewande“ von Johannes von Gott gesprochen. Von Gefährten ist dann
ausführlich in den Biographien von Dionisio Celi und Antonio Govea die Rede.
Johannes von Avila (den der Heilige in seinen Briefen liebevoll “Angulo” nennt)
nennt vier Gefährten namentlich: Anton Martín, Pedro Pecador, Alonso Retingano
und Domingo Benedicto.
[63] L.
Ortega Lázaro, El hermano Antón Martín y su hospital en la calle
Atocha de Madrid (1500-1936), Madrid 1981,. S. 31. Vgl. 17-19
[64] Vgl. J.
Sánchez Martínez. “Kénosis-diaconía”Id , TT 8/5; T
9/5; T 10/5, S. 346, 356, 364.
[65] Vgl. J.
Sánchez Martínez. “Kénosis-diaconía”Id , T 11/20,
S. 383: Sie nahmen alle Arten von Armen und Kranken auf, ohne darauf zu achten,
ob es Christen oder Mauren warenimportana. Keinen ließen
sie ohne Hilfe.
[66] Bereits in den ersten Konstitutionen wird
dieser wesentliche Aspekt unterstrichen.
[67] Wie an Johannes von Gott, macht uns an
Jesus seine radikale Hingebungsfähigkeit betroffen, die bis zum Opfertod am
Kreuz ging. Darum nimmt die Betrachtung der Passion Christi, « des
Schmerzensmannes“ (Is 53, 3), einen
bedeutenden Platz in unserer Spiritualität ein (Konst. 33). In diesem Punkt
geht die Tradition des Ordens auf unseren heiligen Stifter zurück, der
bekanntlich ein großer Verehrer der Passion Christi war. Bei der Betrachtung
des gekreuzigten Christus versenkte sich unser Ordensvater sowohl in die
Leiden, die er ertrug, als auch in die Kraft der Liebe, mit der er sie ertrug
und die mit einschloss, dass man auch seinen Feinden vergibt. Auf diese
Liebesfähigkeit wies er hin, als er an Luis Bautista schrieb: “Gedenkt unseres Herrn Jesus Christus und
seines geheiligten Leidens, der das Übel, das sie ihm antaten, mit Gutem
vergalt. Genauso müsst Ihr handeln”(Nrn. 10.11). Johannes forderte nicht
dazu auf, das Leiden Christi durch ein Leben der Buße und Abtötung nachzuahmen,
sondern durch ein Leben liebevoller Hingabe an den Dienst des leidenden
Mitmenschen. Im leidenden Antlitz der Kranken und ohnmächtigen Dasein der Armen
erkennt und betrachtet Johannes von Gott Christus. Ihnen zu dienen, ist für ihn
kein Kreuz, ja nicht einmal ein Opfer, sondern eine spontane Erwiderung auf die
Liebe Gottes, die sein Leben überflutet hat und aufgrund der er nicht anders
kann, als alle zu jeder Zeit und an jedem Ort zu lieben, ganz besonders die
Schwächsten.
[68] Unsere Spiritualität ist ihrem Kern nach
christozentrisch. Johannes von Gott war ein leidenschaftlicher Freund Jesu. Von
ihm haben wir gelernt, unser Leben auf Christus hinzuordnen und dessen Form des
Dienens, Liebens und Heilens zu betrachten. Jesus von Nazaret ist unser
Meister, der uns die Haltungen und Handlungen lehrt, die wir verleiblichen
müssen, um sein Werk der Liebe fortzuführen. Wie Jesus müssen wir uns vom
menschlichen Elend und Leid betroffen fühlen (vgl. Mt 9, 36) und im Dienst am
Menschen und in der Linderung von Leid das einzige sehen, was in unserem Leben
zählt (vgl. Mk 6, 34-44). Wie Jesus spüren wir, dass, wenn wir hilfsbedürftigen
Menschen helfen und dienen, eine innere Kraft von uns ausströmt (vgl. Lk 8,
40-48). Wenn wir betrachten, wie Jesus sich mit den Armen und Kranken
identifiziert und ihre Leiden und Krankheiten auf sich nimmt (vgl. Mt 8, 17),
erstarkt jedes Mal von Neuem unser Entschluss, uns dem Dienst an den Leidenden
zu widmen und wie Jesus Knechtgestalt anzunehmen und unter Einsatz des eigenen
Lebens das Leben der Armen zu fördern und zu schützen (vgl. Mt 12, 15-21; 20, 28).
[69] Die Jungfrau Maria,
Sinnbild der Kirche und die erste geweihte Person überhaupt (vgl. VC 112), ist
für uns ein Modell, wie wir Christus in der Hospitalität dienen sollen.
Johannes von Gott war von einer innigen Liebe zu Maria erfüllt: er verehrte sie aufs Tiefste und ahmte ihre
Lebensform nach; er war ein ergebener Diener Mariens und spürte ihre Nähe und
ihren Schutz in den schwierigsten Augenblicken seines Lebens. Alle Briefe des heiligen Johannes von Gott
beginnen mit den Worten: Im Namen unseres Herrn Jesus Christus und unserer
Herrin, der Unbefleckten Jungfrau Maria. Er wollte, dass alles, was man
tut, “... zum Dienst unseres Herrn Jesus
Christus und unserer Herrin, der Jungfrau Maria, gereiche” (1 GL 11). Er betete immer den
Rosenkranz und lud andere ein, ein Gleiches zu tun: “Als letzten Hinweis sage ich Euch, dass es mir mit dem Rosenkranzgebet
sehr gut gegangen ist, und wenn Gott will, werde ich ihn beten, sooft ich kann”
(LB 17). Er übertrug auf seine
Gefährten das Vertrauen in die Jungfrau Maria und den Wunsch, sie beim Dienst
am den Armen und Kranken nachzuahmen. Als Beispiel sei hier nur Anton
Martín genannt, der in seinem Testament schrieb: Im Namen der Heiligsten
Dreifaltigkeit... und der seligen und glorreichen Jungfrau, unserer Herrin und
seiner heiligen Mutter Maria, die meine Herrin und Fürsprecherin in allen
Dingen ist... [...]... zum Dienst an unserem Herrn Jesus Christus und seiner
glorreichen Mutter (L. Ortega Lázaro, El Hermano Antón Martín
y su Hospital en la C. Atocha de Madrid. 1550-1936, Madrid, 1981, S. 8).
In Übereinstimmung mit der Tradition des Ordens findet sich in den
Konstitutionen die Gestalt Mariens im Mittelpunkt unserer Spiritualität: Die selige Jungfrau Maria ist in
einzigartiger Weise Vorbild unserer Weihe (Art. 25), denn sie kennzeichnet sich
durch eine vorzügliche Hospitalität,
die in der restlosen Hingabe an den Menschen und an das Werk Jesu Ausdruck
gefunden hat (vgl. Art. 42b). Ihr Beispiel spornt uns an, wie sie unseren
Pilgerweg des Glaubens zu gehen (vgl. LG 58) und sie nachzuahmen, indem wir uns
mit liebender Fürsorge den Leidenden zuwenden und uns so mit dem Opfer ihres Sohnes vereinen, das sich in den Leiden und
Schmerzen der Menschheit fortsetzt (Art. 34a; vgl. Art. 4d). Maria hat als
Heil der Kranken und Mutter der Barmherzigkeit schon immer einen einzigartigen Platz im Leben unserer
Ordensgemeinschaft eingenommen (Konst. 42b) und muss einen einzigartigen
Platz im Herzen eines jeden Bruders haben. Wir erweisen ihr unsere Liebe, indem
wir uns bemühen, wie sie mit Schlichtheit, Bereitwilligkeit, Hingabe und Treue
den Willen Gottes anzunehmen und zu erfüllen (vgl. Konst. 4c). Zugleich verehren
wir sie mit kindlicher Zuneigung, indem wir ihre Feste feiern, vor allem das
der Schutzfrau unseres Ordens, und mit den traditionellen Mariengebeten
verehren, in vorzüglicher Weise mit dem Rosenkranzgebet (vgl. Konst. 4d; 42b).
Die Jungfrau des Magnifikats versinnbildlicht in vorzüglicher Weise einen
Grundaspekt unserer Spiritualität: Der barmherzige Gott erfüllt seine
Verheißung von der Befreiung des Menschen und beugt sich mit einer besonderen
Vorliebe zu den Armen und Schwachen hinab, indem er die Macht seiner
Barmherzigkeit den Hochmut der Mächtigen dieser Welt, die die Schwachen
unterdrücken, besiegen lässt. Wie Maria müssen wir uns der Gemeinschaft der
Armen angehörig fühlen, die ungerechte Situation, in der sie leben, als unsere
betrachten und uns, getragen vom Evangelium, für ihre umfassende Befreiung
einsetzen (vgl. Lk 2, 46-53).
Andererseits ist Maria für uns, wenn wir an ihren Besuch bei Elisabeth
denken, der sie mit großer Schlichtheit ihre Hilfe anbietet, ein einmaliges
Vorbild der Hospitalität, das noch an Wirkung gewinnt, wenn wir bedenken, dass
Gott an Maria sein Heilswerk kundtut und in Bewegung setzt. Der im Schoß
Mariens fleischgewordene Gott erhebt, indem er sie als Mittlerin erwählt, die
seinen Geist Elisabeth und dem Kind, das sie in ihrem Schoß trägt, mitteilt
(vgl. Lk 2, 41-44), das Geschehen der
Hospitalität, dem wir bei diesem Besuch beiwohnen, in den Rang eines
Sakraments, das Ankündigung und Erfüllung seines Heilswerkes ist.
[70] Konst. 1984 103a
[71] Ebd.
1984, 103
[72] VC 54
[73] Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil begann
in unserem Orden in der Mitte der 80iger Jahre eine Bewegung, die den Aufbau
einer partnerschaftlichen Beziehung zu den Mitarbeitern zum Ziel hatte.
In jüngster Vergangenheit hat die Kirche diesen Schritt in offiziellen
Dokumenten gutgeheißen und begrüßt, indem sie erklärte, dass die Laien an
der Sendung der Ordensleute teilnehmen und mitarbeiten, „so dass ein neues,
hoffnungsvolles Kapitel in der Geschichte der Beziehungen zwischen den Personen
des geweihten Lebens und den Laien begonnen hat” (vgl. VC 54; Konst. 23a).
[74] Vgl. V.A,. Riesco, La Hospitalidad manifestación del
Ser de Dios en favor del hombre. Fundamento bíblico de nuestra espiritualidad.
[75] Ein nicht leicht zu erklärender Aspekt
ist, dass Gott im Alten Testament manchmal gewaltsame und teilweise sogar
dämonische Züge trägt. Ein Grund dafür ist sicher, dass man damit das Geheimnis
des Bösen zu erklären versuchte und Jahwe allen Götzen als den einzigen Gott
entgegenstellte.
[76] Die Richtigkeit dieser Aussage können wir
im ersten Kapitel (Grundkonstitution) unserer derzeitigen Konstitutionen
nachprüfen. Dort wird zunächst Johannes von Gott als ein Mensch dargestellt,
der, “von der Macht der barmherzigen Liebe des Vaters umgestaltet... die Liebe
zu Gott und zum Nächsten in ungetrübter Einheit“ lebte und1m "in Treue den Heiland in seinen
Gesinnungen und Werken der Barmherzigkeit“ nachahmte, indem er „in restloser
Hingabe den Armen und Kranken“ diente (Konst. 1).
[77] Gleich anschließend heißt es: "Unser
Hospitalorden hat seinen Ursprung im Evangelium von der Barmherzigkeit (Mt 8,
17; 25, 34-46), wie es vom heiligen Johannes von Gott in seiner ganzen Fülle
gelebt wurde" (Konst. 1). Und weiter: Durch die Weihe des Heiligen Geistes
werden die Brüder dem barmherzigen und mitleidenden Jesus gleichgestaltet und
haben an der barmherzigen Liebe des Vaters teil. So vergegenwärtigen sie in der
Zeit die barmherzige Liebe Jesu von Nazaret (Konst. 2).
[78] 1 HS 13
[79] Vgl. Daniel
Innerarity, Ética de la
hospitalidad, Península-Verlag, Barcelona 2001.
[80] Vgl. N.B. Pagadut, Be hospitable,
Claretian Publications, Quezon City, PhilipiinesPhilippinen 1992.
[81] Castro,
S. 75; 83
[82] ... und der Zeuge erinnert sich, dass er
einmal, als er in die Küche kam, ihn fröhlich in die Hände klatschend und
singend antraf. Der
Zeuge sagte zu ihm: «Warum
seid ihr so froh, Vater». Da
antwortete er: «Wer
Gott dient, ist immer froh».
(Zeuge 30. In Gómez Moreno, ebd. S. 214).
Er war oft dort und sah ihn, wie er die Kranken
besuchte, sie liebevoll pflegte, ihnen Bettwäsche zurecht machte und sie bequem
lagerte, wobei unentwegt ein Lächeln um seinen Mund spielte und er eine
unendliche Liebe und Barmherzigkeit ausstrahlte, so dass es schien, als ob er
alle Kranken am liebsten auf seinem Schoß liebkost hätte. (Zeuge 59. In Gómez Moreno, ebd., S. 231-232)
[83] 2 GL., 5
[84] Liebt unseren Herrn Jesus Christus über
alles auf der Welt, denn, wie viel Ihr ihn auch liebt, er liebt Euch mehr.
Bleibt immer in der Liebe, denn wo keine Liebe herrscht, ist Gott nicht –
wenngleich Gott überall ist (LB
13).
[85] Konst.
1587, Kap. 17. ebd., S. 95.
[86] Konst. 2 c.; 3 a; 5 a
[87] Vgl. GS 22; Konst. 20
[88] “Die Erneuerung, die wir anstreben, zielt
in zwei Richtungen: Erstens wollen wir damit die Schwächen, die unserem Leben
anhaften, und die Barrieren, die unser brüderliches Miteinander behindern,
beseitigen. Zweitens wollen wir unsere „Stärken“ mit neuer Kraft zur Geltung
bringen, denn sie werden uns helfen, zu einer Einheit zu finden, so wie sie
zwischen Vater und Sohn herrscht” (P. Marchesi,
Die Grundlagen der Erneuerung, Rom, 1978, S. 18).
[89] “Wir müssen uns bewusst sein, dass das
wichtigste Bedürfnis des Menschen nicht wirtschaftlicher Natur ist, sondern als
schätzenswerte Person anerkannt zu werden, deren Würde in sich selbst gegeben
ist, die es um ihrer selbst willen verdient, Pflege, Zuwendung und Liebe ohne
Ansehen ihrer Kultur, Herkunft. Rasse usw. zu empfangen“ ( P. Marchesi, Vermenschlichung, Madrid
1981, Begleitschreiben, S. 18).
[90] „Kaum war Johannes am Hof angelangt,
unterrichteten der Herzog von Tendilla und andere Herren, die ihn kannten, den
König, berichteten ihm von den Taten von Johannes von Gott und führten diesen
schließlich in den Palast. Dort wandte sich Johannes an den König, indem er ihn
folgendermaßen ansprach: „Herr, ich bin gewohnt, alle Brüder in Jesus Christus
zu nennen...“ (Castro, ebd., S. 94)
[91] Vgl. Hospitalorden
des Hl. Johannes von Gott, Die Barmherzigen Brüder und ihre
Mitarbeiter – Gemeinsam dem Leben dienen.
[92] In den 80iger Jahren suchte der Orden
unter dem Einfluss des Gedankens der Humanisierung, seine Sendung in
Übereinstimmung mit den alten und neuen Nöten der Menschheit zu reorganisieren.
Eine besonders interessante Verlautbarung in dieser Hinsicht war die
Schlusserklärung der Provinzialekonferenz vom Jahr 1981: “Wir glauben fest an die fortschreitende Erneuerung des Ordens und
wollen uns dafür nach Kräften einsetzen. Wir sind überzeugt, dass wir die
Erneuerung nur erreichen können, wenn alle Mitglieder unserer Gemeinschaft
bereit sind, mit einer ständigen Haltung des Neubeginns die Forderungen zu
erfüllen, die uns aus unserer Weihe als Barmherzige Brüder an Gott entstehen,
und wenn wir uns alle bemühen, diese Haltung in konkreten Antworten zum
Ausdruck zu bringen, so wie sie von uns von Kirche und Gesellschaft erwartet werden.
An diesem geschichtlichen Wendepunkt, an dem die grundlegenden Werte der
menschlichen Person auf einer Seite eingefordert, auf der anderen verletzt
werden, sehen wir es kraft des Charismas, das wir empfangen haben, als
unsere Pflicht an, entschieden für die Achtung und für den Schutz der
menschlichen Würde einzutreten. Das hat uns zur Überzeugung geführt, dass
die Humanisierung in dem Sinn, in dem sie in der Person Jesu Christi Gestalt
angenommen hat, an diesem geschichtlichen Wendepunkt das einigende und
verbindende Band ist, das uns helfen kann, den Erneuerungsprozess mit
konkreten Handlungen in das Leben zu übertragen” (P. Marchesi, ebd., S. 91-92).
[93] Vgl. auch Nr. 10: “Wir leben in einer
Zeit, in die der Geist einbricht und neue Möglichkeiten eröffnet. Obschon die
charismatische Seite der verschiedenen Formen des geweihten Lebens in ständiger
Bewegung und niemals vollendet ist, bereitet sie gemeinsam mit dem hl. Geist in
der Kirche das Kommen Dessen vor, der kommen muss, Dessen, der bereits die Zukunft
der voranschreitenden Menschheit ist.” Siehe auch die Nrn. 18, 21 usw.
Vergessen wir nicht, dass das Sinnbild des “Weges” das zentrale Motiv dieses
Dokuments ist.
[94] Vgl. Generalleitung, Johannes von Gott
lebt, Rom, 1991, S. 12-13.
[95] So erging es Johannes von Gott: Nachdem
er sich als einen menschlich Entwurzelten erkannt hatte, vernahm er eine innere
Stimme, die ihn bereits in Oropesa aufgefordert hatte, das Hirtenleben
aufzugeben und sich dem Dienst des Herrn „außerhalb seiner Heimat“ zu widmen,
denn “er litt sehr darunter, dass im Haus des Grafen von Oropesa die Pferde
wohlgenährt, glänzend herausgeputzt und in warme Decken gehüllt im Stall
standen, während die Armen schwach, nackt und der schlechten Behandlung ihrer
Mitmenschen ausgesetzt waren. Deshalb sagte er zu sich selbst: „Johannes, wäre
es nicht besser, du würdest die Armen Jesu Christi nähren und pflegen als die
Tiere des Feldes?“ (Castro, S.
45-46).
[96] SC 10
[97] „In der Eucharistie verbindet Christus
uns tatsächlich mit sich selbst in seiner österlichen Hingabe an den Vater: wir
opfern und sind selbst Geopferte. Die Weihe zum Ordensleben selbst nimmt
eucharistische Züge an: sie ist eine völlige Hingabe seiner selbst und ist aufs
engste mit dem eucharistischen Opfer verbunden. Hier treffen alle Formen des
Gebets zusammen, hier wird das Wort Gottes verkündet und angenommen, hier sind
wir aufgerufen zu einer Beziehung zu Gott, mit den Brüdern und mit allen
Menschen: es ist das Sakrament der Kindschaft, der Geschwisterlichkeit und der
Sendung. Als Sakrament der Einheit in Christus ist die Eucharistie gleichzeitig
Sakrament der kirchlichen Einheit und der Einheit der Geweihten“ (Neubeginn
in Christus, Nr. 21).
[98] “Sein immerwährendes Dasein zur Stärkung,
zum Trost und zur Wegzehrung der Kranken ermutigt uns, an der Seite des
leidenden Menschen zu bleiben und ihn in seinem Schmerz und seiner Einsamkeit
zu begleiten ” (Konst. 30c).
[99] Die Kirche braucht uns, so wie wir sie
brauchen... Daher ist die Kommunikation innerhalb der Kirche von grundlegender
Bedeutung. Identität und Programm unserer Berufung und unseres Charismas müssen
den Gläubigen bekannt sein und als Ansporn und Vorbild dienen, sowie als ein
Weg erkannt werden, auf dem die aus der Taufe heraus allen gemeinsame Berufung
zur Heiligkeit verwirklicht werden kann (P.
Marchesi, Unsere Hospitalität – Barmherzige Brüder- Im Aufbruch in
das Jahr 2000, Rom, 1986, Nr. 89).
[100] Vgl. P.
Marchesi, Unsere Hospitalität – Barmherzige Brüder – Aufbruch in das
Jahr 2000, Rom, 1986, Nrn. 66-86.
[101] Die Spiritualität beim Dienst äußert sich
in Enthusiasmus, prophetischer Phantasie und apostolischer Kreativität.
Mangelnder Geist führt zu Routine, Monotonie und ständiger Wiederholung. Wo
hingegen das machtvolle Wirken des Geistes zugelassen wird, wirkt es wie ein
Feuer, das alles belebt und neu schafft. Für einen Bruder, der vom Geist der
Hospitalität durchdrungen ist, wird seine Berufung nie zur Gewohnheit, vielmehr
entdeckt er ständig die Neuheit des Reiches Gottes bei allem, was er tut.
[102] Unser Leib ist engstens mit der Natur
verbunden. Er ist der Teil der Natur, den wir am stärksten zivilisiert haben.
Unsere Spiritualität erlangt so auch eine ökologische Dimension, die wir
absolut nicht unterschätzen dürfen, denn auf diese Weise entwickeln wir eine
besondere Scharfsichtigkeit für die Kräfte, aber auch für die Schwächen und
Gefährdungen des menschlichen Leibes.
[103] Am Lebenshorizont eines Barmherzigen
Bruders steht immer die Möglichkeit des Martyriums, das der „Ernstfall“ der
christlichen Hingebungsbereitschaft, der Bekennung des Glaubens und der
Verkündung der Hoffnung ist. Das Martyrium ist ein Geschenk. Als solches ist es
auch immer anerkannt worden. Es ist ein Geschenk für den Märtyrer und für den
Orden. Es ist ein paradoxes, aber wirkliches Geschenk. Wir können es von vorneherein
ablehnen, indem wir Gefahren meiden, Sicherheit suchen und jedem Risiko
ausweichen. Ein solches Leben verdient jedoch nicht, das „Leben eines
Barmherzigen Bruders“ genannt zu werden. Das Martyrium als Horizont gibt dem
Leben des Barmherzigen Bruders eine besondere Farbe. Zu den Formen des
Martyriums gehören auch Einsatzformen an der Seite der Armen und Entrechteten,
die zu gesellschaftlicher Ausgrenzung, Isolierung und Verurteilung führen. Das
ist dann der Fall, wenn ein Barmherziger Bruder sagen kann: „Ich war im
Gefängnis“, „Ich wurde ausgewiesen“ usw.
[104] Orden
Hospitalaria de San Juan de Dios. Proyecto
de Formación de los Hermanos de San Juan de Dios.
Roma 2000: “In unserem Ordensleben gibt es bedeutende Etappen, die
wir mit besonderer Sorgfalt pflegen müssen: die ersten Jahre der
Grundausbildung mit ihren verschiedenen Etappen, das Alter der Reife, Momente
der Krise und der allmähliche Rückzug aus dem tätigen Leben. Das Leben der
Ordensinstitute und vor allem ihre Zukunft hängen zum Teil von der Weiterbildung
ihrer Mitglieder ab. Es gehört zu den Pflichten eines jeden Ordensinstituts,
den Mitgliedern angemessene Mittel und die erforderliche Zeit für eine wirksame
Ausbildung zur Verfügung zu stellen.” Hospitalorden des heiligen Johannes von Gott. Die Ausbildungsordnung
der Barmherzigen Brüder (AO) Rom 2000, Nr. 132). Vgl.
Hospitalorden des heiligen Johannes von Gott: Die ständige Weiterbildung im Orden, Rom 1991.
[105] IbAO.
Nrn. 39 und
44
[106] IbEbd.,
Nrn. 46-57.
Grundelemente unseres Ausbildungsmodelles: Die Ausbildung im Orden ist
ganzheitlich, ein Entwicklungsprozess, ein Erfahren und Erleben, sie orientiert
sich am Einzelnen, erfolgt graduell und differenziert, macht frei und
prophetisch und ist von einer universalen Offenheit gekennzeichnet.
[107] Ib Ebd., Nr. 24:
“Deswegen muss dem Kandidaten und Auszubildenden beim Ausbildungsprozess
ausgiebig die Möglichkeit gegeben werden, das Charisma und die Spiritualität
des Ordens im Licht des Lebensweges unseres heiligen Stifters zu erforschen und
zu verinnerlichen.”
[108] Ebd., Nrn. 92 und 137c
[109] Ebd., Nr. 26h. Die ständige
Weiterbildung im Orden, Nr. 33
[110] Ebd., Nr. 136. Die ständige Weiterbildung
im Orden, Nr. 34
[111] Ebd., Nr. 44. Die ständige Weiterbildung im
Orden, Nrn. 35 und 36
[112] Auf seinem persönlichen geistlichen Weg
muss sich der Einzelne von einem spirituellen Führer begleiten lassen, und das
nicht nur in der Jugend, sondern in allen Lebensabschnitten. Die innige
Beziehung von Johannes von Gott zum heiligen Johannes von Avila ist für uns in
diesem Zusammenhang ein vorzüglicher Bezugspunkt. Wir müssen uns auf tiefster
Ebene einem im geistlichen Weg erfahrenen Bruder oder erfahrenen Schwester
mitteilen können. Das hilft uns als Orientierung, Hinterfragung und Ansporn.
Den Oberen obliegt die Aufgabe, im Rahmen des Möglichen gegenüber allen Brüdern
ihrer Gemeinschaft einen Dienst spiritueller Animation wahrzunehmen.
[113] “Alle Brüder und Auszubildenden müssen
die Fähigkeit erlangen, positive wie negative Ereignisse als Bestandteil ihrer
Lebensgeschichte anzunehmen und zu verarbeiten und darin Gott erkennen, der zu
uns spricht. ” (AO, Nrn. 27 und 50).
[114] NMI 58